TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom Freitag, 24. November 2023, von Manfred Mitterwachauer: „Erbsenzählerei am Brenner“
Abseits der schwarzen Krokodilstränen ob des Endes der Gratis-Maut für Wipp- und Stubaitaler ist die allgemeine Senkung der Brenner-Tarife für den Individualverkehr ein Spiel mit dem Feuer: erfreulich für Pkw-Lenker, Gift für Tirols Verkehrspolitik.
Die Tiroler VP ist im Empörungs- und Erbsenzähler-Modus. Spricht von Überrumpelung und versteigt sich sogar dazu, dem Autobahnbetreiber Asfinag einen „Maut-Raubzug“ gegen die Stubai- und Wipptaler Bevölkerung vorzuwerfen. Und das alles, weil gut 15.000 Personen künftig nicht länger zum Nulltarif unterwegs sind, sondern sage und schreibe elf Euro zu berappen haben, um 365 Tage im Jahr die Brennerautobahn befahren zu dürfen. Vergessen wird, was der Tiroler Verkehrspolitik viel mehr den Stecker ziehen könnte – die zeitgleich verkündete generelle Senkung der Brenner-Maut für den Individualverkehr.
Mangel im Kommunikationsmanagement braucht die Landesspitze nicht erst zwischen Wien und Innsbruck zu beklagen. Diesen gibt es auch hausgemacht – wie mit der Tiwag. Stichwort: Strompreise. Die Asfinag versichert aber, das Land sehr wohl auf dem Laufenden gehalten zu haben. Geändert hätte es so oder so nichts. Das Aus für die Gratis-Maut am Brenner ist nämlich der EU-Wegekostenrichtlinie geschuldet. Mit ihrer Fundamentalkritik an der Asfinag schießt die Landeshauptmann-Partei deshalb meilenweit übers Ziel hinaus. Dass das Brenner-Mautzuckerl kein Dauerlutscher ist, war auch im Landhaus schon lange bekannt. Hat die VP doch auf EU-Ebene die Richtlinie mitverhandelt. Insofern sind es Krokodilstränen, welche die VP nun vergießt. Denn auch die nunmehrige Elf-Euro-Maut dürfte fallen wie ein fauler Apfel, sofern gegen sie geklagt wird. Diskriminierend ist nämlich auch sie.
Egal, ob am Brenner, am Felbertauern oder für den noch in der Blase der schwarz-roten Landesregierung am Leben gehaltenen Fernpass-Tunnel – die Zeit der Mautvergünstigungen ist abgelaufen. Da hilft auch nicht, sich den einstigen Kampf gegen die drohende Doppelmaut im Wipptal in Erinnerung zu rufen, auf welchem letztlich die Gratis-Maut fußte. Dass die Asfinag jetzt im Gegenzug – auch um keinen neuen Widerstand zu wecken – die Brennermaut gleich für alle von 114 € (bzw. bei Vignettenanrechnung 74 €) auf 66 € senkt, mag gut gemeint sein. Treffen tut dies aber auf lange Sicht die Tiroler Verkehrspolitik. Denn dieser Spagat geht sich nicht mehr aus: einerseits mehr Kostenwahrheit für die 2,5 Millionen Transit-Lkw am Brenner einzumahnen, andererseits aber eine kräftige Maut-Senkung für die über elf Millionen Pkw pro Jahr gutzuheißen. Das macht nicht nur in Brüssel keinen schlanken Fuß mehr.
Das Wipptal und dessen Bevölkerung gehören entlastet. Doch der bisherige Weg der Einheimischen-Mauttarife ist zu Ende. Das nunmehrige Gegenmodell – Maut-Rabatte für alle – führt aber nur in eine neue Sackgasse.
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