Nationalrat: Stimmenmehrheit für neue Sterbehilfe-Regelung
Wien (PK) – Mehrheitlich hat sich der Nationalrat in der heutigen Sitzung für die gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe ausgesprochen, die nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof nötig wurde. Mitbeschlossen wurde ein Abänderungsantrag von ÖVP und Grünen, der Klarstellungen zu einigen Punkten enthält. Zugleich werde ein massiver Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung auf den Weg gebracht und es seien 205 Mio. € zur Suizidprävention im Ministerrat beschlossen worden, betonte Justizministerin Alma Zadić.
Außerdem wurden von den Abgeordneten in der Sitzung eine Verlängerung der Kronzeugenregelung um sieben Jahre sowie eine Verlängerung bestimmter Corona-Rahmenbestimmungen beschlossen.
Neuregelung der Sterbehilfe
Das bisherige Verbot der Hilfeleistung beim Suizid wurde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Wirkung ab 1. Jänner 2022 aufgehoben. Die Regierung hat daher eine gesetzliche Neuregelung vorgelegt. Zentrales Anliegen in diesem Entwurf zum Sterbeverfügungsgesetz ist, das vom VfGH betonte Grundrecht auf Selbstbestimmung auszuführen und zugleich gegen Missbrauch abzusichern. Die Neuregelung beinhaltet daher neben engen Auflagen, etwa betreffend schwerster Krankheiten, unter anderem ein einzuhaltendes Prozedere mit ÄrztInnen, die Einhaltung einer Bedenkzeit, eine wirksame Errichtung einer Sterbeverfügung und eine kontrollierte Abgabe eines Präparates über Apotheken. Sie beschränkt sich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen es künftig zulässig sein soll, jemandem beim Suizid Hilfe zu leisten. Bei der Tötung einer anderen Person auf deren Verlangen wird die Strafbarkeit nicht angetastet.
ÖVP und Grüne brachten in der Debatte einen Abänderungsantrag ein, der mitbeschlossen wurde. Er enthält Klarstellungen, unter anderem betreffend die Regelungen zur Abgabe des zum Tod führenden Präparats durch Apotheken sowie zu den Bedingungen, wann eine solche Abgabe zulässig ist. Außerdem soll vermieden werden, dass Informationen über die zur Abgabe bereiten Apotheken ohne deren Willen an die Öffentlichkeit gelangen. Sichergestellt werden soll auch, dass niemand gezwungen werden kann, in dieser Situation zu helfen, so Michaela Steinacker (ÖVP). Wie auch die anderen RednerInnen der ÖVP betonte sie, es sei ihr wichtig gewesen, einen möglichst engen Rahmen für die Möglichkeiten der Suizidhilfe zu setzen. Das einzuhaltende Prozedere sei sorgsam festgelegt, vor allem auch mit Aufzeigen der Alternativen und unter Einhaltung der Bedenkzeit. Ihre Hoffnung sei, dass das Gesetz keine Anwendung findet, weil mit Suizidprävention und Palliativ- und Hospizversorgung die Menschen besser begleitet werden.
Die unterschiedlichen Standpunkte zu diesem Thema sind Agnes Sirkka Prammer (Grüne) zufolge sehr ernst genommen worden. Auch sie hob als wesentliches Instrument hervor, dass die Mittel für Suizidprävention deutlich aufgestockt würden. Um eine freie Entscheidung treffen zu können, brauche es auch eine entsprechende Alternative, damit also auch den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung.
Die Meinungen in Österreich zu diesem Thema gehen sehr weit auseinander, meinte Selma Yildirim (SPÖ). Die SozialdemokratInnen sprechen sich für ein selbstbestimmtes Leben sowie Sterben in Würde aus, betonte sie. Dazu stehe aber auch aus ihrer Sicht der Ausbau von Palliativ- und Hospizversorgung im Mittelpunkt. Es finde mit der vorliegenden Neuregelung ein Paradigmenwechsel statt, hier gelte es, sehr genau auf die Auswirkungen zu achten.
Harald Stefan (FPÖ) anerkennt die Meinung des Verfassungsgerichtshofs, wie er sagte, auch wenn er das Thema persönlich anders sehe. Zudem lasse das Gesetz in diesem so heiklen Bereich viele Fragen offen, sodass er seitens der FPÖ nicht zustimmen werde. Unter anderem würden Personen, die diese Art von Hilfe leisten, vom Gesetzgeber in ihrem psychischen Druck vollkommen allein gelassen.
Johannes Margreiter (NEOS) wiederum ist dem Verfassungsgerichtshof dankbar, der die freie, selbstbestimmte Entscheidung aus der Tabuzone geholt habe. Man habe es hier mit einem sehr sensiblen gesellschaftsethischen Thema zu tun, er könne die Regelungsschritte mittragen. Es werde aber weitere Regelungen brauchen. Er gab zu bedenken, dass es in Staaten mit liberaleren Regelungen zu diesem Thema geringere Suizidraten gebe.
Justizministerin Alma Zadić erörterte, nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs sei es ihr wichtig gewesen, trotz der kurzen Zeit eine umsichtige Lösung zu finden, um schwerkranken Menschen in einer schwierigen Phase die Möglichkeit der Selbstbestimmung zu geben, zugleich aber auch Missbrauch zu verhindern und Leben zu schützen. Es wurde versucht, alle Stimmen in der Ausarbeitung einzubinden, so die Ministerin, und Wünsche umzusetzen und Befürchtungen ernst zu nehmen. Niemand soll sich für diesen Weg entscheiden, wenn es eine andere Möglichkeit gibt, hob sie den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung sowie den Ministerratsbeschluss über zusätzliche Mittel zur Suizidprävention hervor.
Verlängerung der Kronzeugenregelung
Mit Mehrheit beschlossen die Abgeordneten die Verlängerung der „großen Kronzeugenregelung“, die mit Jahresende auslaufen würde. Mit der Änderung der Strafprozessordnung wird die Regelung um weitere sieben Jahre verlängert. Zudem wird die Kriminalpolizei in den Kreis der Behörden einbezogen, an die der Kronzeuge/die Kronzeugin herantreten kann. Zusätzlich zu um Kronzeugenstatus ansuchende Unternehmen können künftig auch die einzelnen MitarbeiterInnen ihr Wissen offenbaren. Mit einem Abänderungsantrag hatten ÖVP und Grüne im Ausschuss den Entwurf noch adaptiert, um inzwischen in Kraft getretene Änderungen der Strafprozeßordnung im Gesetzestext zu berücksichtigen.
Ein Abänderungsantrag der SPÖ dazu blieb in der Minderheit. Eine neuerliche Befristung mit sieben Jahren erscheine verzichtbar, da sich die Regelungen in der Praxis bewährt haben, so der Antrag, den Christian Drobits (SPÖ) einbrachte.
Als Zwischenschritt bezeichnete Christian Stocker (ÖVP) die Verlängerung der Regelung und hob unter anderem die Einbeziehung der Kriminalpolizei hervor. Agnes Sirkka Prammer (Grüne) ergänzte, die Verlängerung sei mit einer Evaluierung verbunden. Damit werde geschaut, wie man diese Regelung besser machen könne, die per se wichtig zur Aufklärung großer Straftaten sei.
Christian Ragger (FPÖ) meinte dazu, es habe bereits eine Evaluierung gegeben. Insofern sehe er es als vertane Chance, jetzt nicht klarere Bestimmungen ohne Rechtsunsicherheiten gefunden zu haben. Aus Sicht von Johannes Margreiter (NEOS) habe die Kronzeugenregelung zu keiner Bedeutung geführt, was daran liege, dass sie nicht praxisgerecht sei. Eine Verlängerung allein ist auch aus seiner Sicht zu wenig.
Die Kronzeugenregelung ist und bleibe ein wichtiges Instrument gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität, unterstrich Justizministerin Alma Zadić. Insofern werde sie nicht nur verlängert, sondern in manchen Punkten auch verbessert, etwa mit der Möglichkeit des Herantretens an die Kriminalpolizei. Es werde aber eine Evaluierung vorgenommen, um dann auch eine verbesserte Lösung vorzuschlagen.
Verlängerung von Corona-Regelungen
Das Außerkrafttreten des 1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes wird nach einem heutigen Beschluss im Plenum um sechs Monate auf den 30. Juni 2022 verschoben werden. Das betrifft unter anderem die Möglichkeit, für weitere sechs Monate bestimmte Anhörungen, mündliche Verhandlungen und Beweisaufnahmen per Video durchzuführen sowie die Gebührenfreiheit der Unterhaltsvorschussgewährung zu gewähren. Damit Gesellschaften auch noch im ersten Halbjahr 2022 virtuelle Versammlungen durchführen können, soll auch die entsprechende Regelung des Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetzes um sechs Monate verlängert werden.
Zudem sollen für SteuerberaterInnen und WirtschaftsprüferInnen die Aufstellungs- und Offenlegungsfristen erstreckt werden. Eine Verlängerung bis 30. Juni 2022 in der Rechtsanwaltsordnung betrifft unter anderem die Möglichkeit der postalischen Erledigung von Aufgaben der Rechtsanwaltskammer. Änderungen im Zivilrechts-Mediations-Gesetz betreffen eine Berichtigung zu Übergangsbestimmungen, damit die Fortbildungsverpflichtung für eingetragene MediatorInnen auch nach dem 31. Dezember 2021 in Geltung bleibt. Im Zweiten Bundesrechtsbereinigungsgesetz soll die Bestimmung betreffend die Kosten, die einem durch die Bezirksverwaltungsbehörde vertretenen Minderjährigen in gerichtlichen Verfahren zu ersetzen sind, erst zwei Jahre später, am 31. Dezember 2023, außer Kraft treten.
Mit einem Abänderungsantrag im Ausschuss wurden weitere Fristen bis Ende Juni 2022 erstreckt. So sollen Mitgliederversammlungen von Vereinen weiterhin verschoben werden können, die achtmonatige Frist zur Durchführung von Hauptversammlungen von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften darf ebenfalls weiterhin überschritten werden.
Ein Ausschussantrag von ÖVP und Grünen verlängert die Möglichkeit von Videokonferenzen und Umlaufbeschlüssen zur Entscheidungsfindung in Gremien, die nach dem Parteien- und Medienrecht vorgesehen sind. Auch diese Möglichkeit wird bis Ende Juni 2022 verlängert.
Mit der Fristverlängerung würde die Funktionsfähigkeit der betroffenen Organisationen erhalten, erklärte Christian Stocker (ÖVP). Ein in der Sitzung eingebrachter Abänderungsantrag der SPÖ blieb in der Minderheit. Eltern seien von Unterhaltsvorschüssen abhängig. Dementsprechend sollen die damit verbundenen Gerichtsgebühren dauerhaft und nicht nur befristet entfallen, forderte Antragstellerin Petra Bayr (SPÖ). Verhandlungen und Beweisaufnahmen per Video befand Christian Ragger (FPÖ) als problematisch. (Fortsetzung Nationalrat) mbu/pst
HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.
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