Österreichs Stiftungslandschaft im Umbruch: Über 700 gemeinnützige Stiftungen stellen jährlich 70 Mio. Euro für soziale Zwecke bereit
Wien (OTS) – Gemeinnützig aktive Stiftungen haben in Österreich in den vergangenen Jahren hunderte Millionen Euro für die Sicherung des sozialen Zusammenhalts bereitgestellt – zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit, für die Inklusion von Menschen mit Behinderung, im Bereich Kunst und Kultur, Umweltschutz und Bildung und nicht zuletzt auch aktuell zur Bekämpfung von Covid-19 und seinen sozialen Folgen. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch im „Haus der Philanthropie“ in Wien zog der Verband für gemeinnütziges Stiften Bilanz und formulierte Forderungen an die Politik für verbesserte Rahmenbedingungen im gemeinnützigen Stiftungsbereich.
„Gemeinnützige Stiftungen haben auch in Österreich den Weg aus der Nische gefunden und sind zu einem unverzichtbaren Teil der Zivilgesellschaft geworden“, betonte Katharina Turnauer, Präsidentin des Verbandes und selbst Stifterin. „Mittel werden in diesen Stiftungen gebunden, damit ihr gemeinnütziger Zweck langfristig gesichert ist. Daher sind gemeinnützige Stiftungen auch ein gutes Vehikel um Gutes zu tun.“
Gemeinnützige Stiftungen als unverzichtbarer Teil der Zivilgesellschaft
Insgesamt sind in Österreich aktuell 745 Stiftungen gemeinnützig aktiv. Tendenz steigend. Die meisten Stiftungen fördern einzelne Personen oder gemeinnützige Organisationen, Vereine sowie NGOs. Manche führen eigene Projekte oder Programme durch. Einige wenige Stiftungen sind ausschließlich selbst aktiv – sie konzipieren etwa eigene Projekte, betreiben soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser oder forschen zu gesellschaftspolitischen Themen.
Ruth Williams, Generalsekretärin des Verbandes: „Gemeinnützige Stiftungen können und wollen den Sozialstaat nicht ersetzen. Sie ermöglichen aber nachhaltige Hilfe, geben ergänzende Impulse und setzen besondere Akzente für die Entwicklung unseres Gemeinwesens. Stiftungen helfen Opfern von Gewalt ebenso wie obdachlosen Menschen. Stiftungen sind im Bereich der Katastrophenhilfe im Einsatz oder fördern auch den Bau von Schulen, engagieren sich im Bereich Klima-und Tierschutz. Aber auch gerade jetzt in Zeiten der Krise leisten gemeinnützige Stiftungen wertvolle Arbeit, wenn es um die Beforschung von Covid-19 und die Bekämpfung der sozialen Folgen geht.”
Samira Rauter, Stifterin der People Share Privatstiftung und vor allem im Bildungsbereich engagiert, ergänzend: „Stiftungen bewegen langfristig und dauerhaft. Projekte können über Jahrzehnte hinweg begleitet werden. In vielen Bereichen, besonders etwa im Bildungsbereich, hängt davon der Erfolg einer Initiative ab. Manche Dinge kann man nicht über Nacht verändern. Wenn es um systemische und langfristige Veränderungen und Einwirken geht, ist man mit einer Stiftung richtig beraten. Deswegen haben wir uns zur Gründung unserer eigenen Stiftung entschieden.“
Erstes Praxishandbuch für Österreich
Bei der Pressekonferenz wurde mit [„Achtung, Stiftung! Gemeinnützige Stiftungsarbeit in Österreich: Gründen, Führen, Auflösen” ] (http://www.achtung-stiftung.at)ein neues Praxishandbuch für Stifter*innen und jene, die es noch werden wollen, präsentiert. Die Publikation ist auf Initiative von Verbands Vorstandsmitglied Sonja Jöchtl (Geschäftsführerin der Stiftung Europäisches Forum Alpbach) entstanden und ist das erste seiner Art in Österreich. Es wurde gemeinsam von Jöchtl und Williams mit den Expert*innen von LeitnerLeitner und LeitnerLaw erarbeitet und setzt einen Maßstab für zeitgemäße Best Practice in der gemeinnützigen Stiftungsarbeit.
Nikola Leitner-Bommer, Expertin für Stiftungsrecht und Partnerin bei LeitnerLaw Rechtsanwälte, betonte, dass sie in der Praxis immer wieder auf Mandant*innen trifft, die sich gerne gemeinnützig engagieren möchten, jedoch im „Stiftungsdschungel“ den richtigen Weg nicht finden. „Das Nachschlagewerk „Achtung, Stiftung!“ soll ein Werkzeug für die Praxis darstellen und ist somit in erster Linie nicht für Jurist*innen, sondern für Jedefrau, Jedermann geschrieben. Nach dem Motto „Gründen, Führen, Auflösen“ soll es als Orientierungsrahmen für steuerrechtliches und stiftungsrechtliches Knowhow aus einer Hand dienen.“
Turnauer: „Als ich 2009 unsere eigene gemeinnützige Stiftung gegründet habe, hätte ich „Achtung, Stiftung!“ schon gerne gehabt. Es waren damals viele Fragen offen, die in diesem Buch sachlich und lebendig mit Stimmen aus der Praxis er- und geklärt werden.“
Stiftungswesen komplex: Österreich hat Aufholbedarf
Das Gemeinnützigkeitsgesetz aus dem Jahr 2015 hat eine echte Trendwende und neue Möglichkeiten für gemeinnützige Stiftungen mit sich gebracht – die Zahl der Abwanderungen von Stifter*innen ins Ausland ist seither gesunken, die Zahl der neuen gemeinnützigen Stiftungen angestiegen. Leitner-Bommer dazu: „Ziel damals war es, gemeinnütziges Stiften zu erleichtern. Es war der erste Schritt in die richtige Richtung. Jetzt sollte dieser positive Kurs beibehalten werden, auch über das Jahr 2020 hinaus. Die für dieses Jahr angekündigte Evaluierung sollte demnach rasch erfolgen.“
Konkret fordert der Verband für gemeinnütziges Stiften die unbegrenzte Fortführung des Bundesstiftungs- und Fondsgesetzes über das Jahr 2020 hinaus sowie die Ausweitung der steuerlichen Begünstigung gemeinnütziger Stiftungen. Für eigennützige Privatstiftungen muss es einfacher werden, aus der bestehenden Rechtsform heraus gemeinnützig tätig zu sein. Und während Ausschüttungen von Stiftungen an Begünstigte im Sozialbereich oder im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit steuerbefreit sind, gilt das nicht für Zuwendungen an österreichische Schulen oder Bildungs-NGOs. Um dem philanthropischen Engagement einen weiteren Schub zu verleihen fordert der Verband darüber hinaus die rasche Umsetzung der geplanten Einrichtung einer Koordinations-, Beratungs- und Servicestelle für Stiftungen, gemeinnützige Vereine, soziale Unternehmen und Freiwillige, wie sie im Regierungsprogramm angeführt wird.
Markus Achatz, Finanzrechtsexperte bei LeitnerLeitner und Professor an der Universität Linz, weist darauf hin: „Das bestehende System ist wenig attraktiv, undurchsichtig und hemmt die Bereitschaft zum gemeinnützigen Tätigwerden. Damit erweist sich das Gemeinnützigkeitsrecht als Korsett mit vielen Fallstricken, was den Beteiligten oft nicht bewusst ist. Hier wäre es längst an der Zeit, das anachronistische Gemeinnützigkeitsrecht, das auf die Anfänge des 20 Jahrhunderts zurückgeht, zu modernisieren und zu vereinfachen. Wir brauchen viel mehr Ideen, die Österreich zu dem Standort gemeinnütziger Initiativen in Europa ausgestaltet und ein Umfeld für kreatives gemeinnütziges Engagement schaffen.“
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