Femizidopfer in unangemessener Weise sexualisiert
Nach Meinung des Senats 2 des Presserats verstößt der Beitrag „Sexclub-Morde: Das ist der Dreifach-Killer von Wien“, erschienen am 25.02.2024 auf „oe24.at“, gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
Im Beitrag heißt es, dass sich der Tatverdächtige in seiner ersten Einvernahme „grundsätzlich geständig“ gezeigt habe, dass er die bestialische Messermord-Attacke im „Studio 126a“ verübt habe. Via Dolmetscher deute er an, dass er Stimmen gehört habe, die ihm die Taten befohlen hätten und dass er grundsätzlich Frauen hasse. Anschließend wird ein Polizeisprecher damit zitiert, dass der Tatverdächtige weiter einvernommen werde; die Opfer seien höchstwahrscheinlich chinesische Staatsbürgerinnen, wobei eine Identifizierung noch immer nicht 100-prozentig feststehe. Laut dem Polizeisprecher dürfte auch die Betreiberin des Asia-Studios unter den Opfern sein. Am Ende des Artikels wird festgehalten, dass sich in dem Rotlicht-Lokal ein regelrechtes Blutbad abgespielt haben dürfte; die getöteten Frauen hätten massive Schnitt- und Stichverletzungen aufgewiesen, das Blut sei unter der Eingangstür regelrecht auf den Gehsteig geflossen.
Dem Beitrag sind mehrere Fotos vom Tatort und vom Täter beigefügt, dessen Augenpartie mit einem schwarzen Balken unkenntlich gemacht wurde. Zudem ist ein Foto von vier leicht bekleideten Asiatinnen beigefügt, wobei deren Gesichtszüge auf dem Foto komplett verdeckt sind. Als Fotocredit wird das „Studio 126a“ angegeben.
Eine Leserin wandte sich an den Presserat und kritisierte die Berichterstattung als reißerisch und respektlos gegenüber den Opfern, u.a. wegen der im Artikel geschilderten grausamen Details und des veröffentlichten Bildmaterials. Die Medieninhaberin nahm nicht am Verfahren teil.
Der Senat hält zunächst fest, dass Berichte über Femizide bzw. Gewalttaten gegen Frauen für die Allgemeinheit von Interesse sind; dies gilt auch für den hier zu prüfenden Artikel zur grausamen Tötung mehrerer Sexarbeiterinnen in einem Wiener Rotlicht-Lokal. Aus dem öffentlichen Interesse an der Femizidberichterstattung ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz der Opfer missachtet werden darf (vgl. Punkt 5.4 des Ehrenkodex für die österreichische Presse).
Insbesondere die Veröffentlichung von Porträtfotos eines (nicht prominenten) Femizidopfers ist geeignet, in die postmortale Persönlichkeitssphäre der verstorbenen Frau einzugreifen, sofern hierfür nicht eine Einwilligung seitens der Hinterbliebenen vorliegt oder zumindest die Gesichtszüge der Abgebildeten großflächig verpixelt wurden. Allerdings können auch andere Opferfotos, auf denen die Gesichtszüge nicht zu erkennen sind, medienethisch problematisch sein. Aus Sicht der Senate des Presserats ist dies vor allem dann der Fall, wenn die Opfer freizügig gezeigt bzw. in unangemessener Weise sexualisiert werden.
Im vorliegenden Fall werden die abgebildeten Asiatinnen lediglich in Büstenhaltern und kurzen Röcken gezeigt; die Opfer setzten sich hier für ihre sexuellen Dienstleistungen bzw. angebotenen Services in Szene. Das Medium hätte sich bewusst sein müssen, dass das Bildmaterial einen sexualisierten Gehalt aufweist und im Kontext der brutalen Ermordung pietätlos ist. Aus der Veröffentlichung auf der Website des Studios lässt sich jedenfalls nicht ableiten, dass die (verstorbenen) Opfer auch mit der Veröffentlichung auf „oe24.at“ einverstanden gewesen wären, schon gar nicht im Zusammenhang mit einem Femizid.
Im Ergebnis ist an der Veröffentlichung des Bildmaterials kein legitimes Informationsinteresse zu erkennen, diese diente vor allem der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationsinteressen gewisser Leserinnen und Leser (Punkt 10.3 des Ehrenkodex). Weiters merkt der Senat auch noch kritisch an, dass die Fotos nach wie vor unverändert in den Beitrag eingebettet sind; er empfiehlt eine Entfernung (vgl. Punkt 2.4 des Ehrenkodex). Die Medieninhaberin wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINER LESERIN
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin von „oe24.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin von „OE24“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.
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