Stärkung der Miliz: Nationalrat beschließt Wehrrechtsänderungsgesetz 2024
Der Nationalrat sprach sich heute mehrheitlich für das Wehrrechtsänderungsgesetz 2024 (WRÄG 2024) aus, mit dem mehrere Maßnahmen zur Attraktivierung der Miliz umgesetzt werden sollen. Um die Reaktionsfähigkeit des Bundesheeres im Rahmen der militärischen Landesverteidigung zu verbessern, sind Änderungen des Wehrgesetzes, des Heeresdisziplinargesetzes, des Heeresgebührengesetzes, des Auslandseinsatzgesetzes, des Militärbefugnisgesetzes und des Militärauszeichnungsgesetzes vorgesehen. Die Plenardebatte war geprägt von der Frage des Personalmangels.
Mehrheitliche Zustimmung fand auch ein Entschließungsantrag von ÖVP, Grünen und NEOS. Ziel ist die Evaluierung der bundesweiten Stationierung der Hubschrauberflotte vor dem Hintergrund von deren Modernisierung und Erweiterung.
Wehrrechtsänderungsgesetz 2024
Als wesentlichen Schritt zur Verbesserung der Personalgewinnung für die Miliz, enthält WRÄG 2024 eine Milizausbildungsvergütung („Bildungsscheck“). Für jeden Tag einer geleisteten Milizübung soll diese angespart und auf Antrag der Betreffenden für Zwecke beruflicher Ausbildungsmaßnahmen ausbezahlt werden können. Zudem ist die Möglichkeit einer Dienstfreistellung in Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes („Elternmonat“) sowie eine Härtefallregelung im Falle sozialversicherungsrechtlicher Benachteiligungen vorgesehen. Die Einführung einer neuen Tapferkeitsmedaille soll die Möglichkeit zur Würdigung besonderer Leistungen im Rahmen von Einsätzen des Bundesheeres schaffen. Weitere Neuregelungen betreffen Verwaltungsvereinfachungen beim Wechsel von Präsenzdienstarten, Dienstfreistellungen und bei Auslandseinsätzen. Nach einer auf Verlangen der FPÖ durchgeführten getrennten Abstimmung wurde das WRÄG mehrheitlich angenommen.
In der Minderheit blieb ein von Mario Lindner (SPÖ) dazu gestellter Abänderungsantrag, der einen „tatsächlichen Rechtsanspruch“ auf den „Elternmonat“ ohne faktischem Genehmigungserfordernis vorsieht. Ziel sei es, rascher eine höhere Väterbeteiligung bei der Kinderbetreuung zu erreichen.
Ebenfalls keine Mehrheit fand ein im Zuge der Debatte eingebrachter Entschließungsantrag der NEOS, der auf die Novellierung des „Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland“ (KSE-BVG) abzielt. Unter Berufung auf eine Entschließung des Nationalrats vom Oktober 2022 fordert Antragsteller Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) darin, bis spätestens Ende Juli 2024 die Einfügung einer Dringlichkeitsklausel, die Klarstellung der Entsendungstatbestände sowie die explizite Bezugnahme auf europäische Aktivitäten im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) im Gesetzestext. Vor allem die Teilnahme an der Rapid Deployment Capacity (schnelle Eingreiftruppe im Rahmen des Strategischen Kompasses der EU) würde diese Anpassungen notwendig machen, heißt es im Antrag.
Personalmangel dominiert Plenardebatte
„Einiges Sinnvolles“, wie die Milizausbildungsvergütung sah FPÖ-Mandatar Volker Reifenberger im WRÄG 2024, jedoch auch Neuerungen, die sich laut ihm negativ auf die Miliz auswirken würden – insbesondere hinsichtlich des Personalmangels. So weise die Miliz bereits jetzt ein jährliches Fehl an 120 Offizieren und 560 Unteroffizieren auf. Doch anstatt den Grundwehrdienst zu verlängern und verpflichtende Milizübungen wiedereinzuführen, wie die FPÖ es fordere, sehe das WRÄG 2024 einen „Papamonat“ auch für Grundwehrdiener vor. Dieser würde bei den Betreffenden dazu führen, dass sie nie eine volle Feldverwendungsfähigkeit erreichen würden, so Reifenberger. Auch Gerhard Kaniak (FPÖ) betrachtete dies als „absolut unverantwortlich“. Er zeigte sich zudem „irritiert“ von der Möglichkeit einer rückwirkenden Verleihung der vorgesehenen Tapferkeitsmedaille bis zum 1. August 2015. Kaniak bezeichnete das WRÄG 2024 generell als „Blendgranate“, die von den „wahren Problemen“ des Bundesheeres – im Personalbereich – ablenken solle. Sowohl Kaniak als auch Reifenberger übten harsche Kritik am Ministerium für den öffentlichen Dienst (BMKÖS), das Arbeitsplätze im militärischen Bereich abwerten bzw. in zivile umwandeln würde.
Letzterem Kritikpunkt konnte sich Friedrich Ofenauer (ÖVP) anschließen. Das BMKÖS „regiere“ in das Verteidigungsressort „hinein“, was die Probleme bei der Personalgewinnung und -bindung vergrößere und somit die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres einschränken könnte. Das WRÄG 2024 bringe tatsächliche Verbesserungen für die Soldat:innen, insbesondere in der Miliz, erklärte Ofenauer. So schaffe etwa die Ausbildungsvergütung eine höhere Akzeptanz für die Miliz in der Wirtschaft. Das „Elternmonat“ stelle eine langjährige Forderung sowohl des Milizbeauftragten des Bundesheeres als auch der Parlamentarischen Bundesheerkommission dar. Ofenauers Fraktionskollege Manfred Hofinger betonte den Konkurrenzkampf am Arbeitsmarkt, in dem das Bundesheer bestehen müsse. Dieser Problematik sei nicht durch Zwang beizukommen, wie es die FPÖ fordere. Vielmehr müssten Anreize geschaffen werden, damit sich junge Menschen selbstständig für das Bundesheer entscheiden. Hier habe man mit dem WRÄG 2024 und einigen bereits vorher gesetzten Maßnahmen schon „vieles geschafft“, erklärten sowohl Hofinger als auch Irene Neumann-Hartberger (ÖVP).
Ähnlich sah es auch David Stögmüller (Grüne), für den insbesondere das Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz (LV-FinG) das Bundesheer „ins 21. Jahrhundert gebracht“ habe. Dabei gehe es einerseits um die Modernisierung des Geräts, der Kasernen und der Ausrüstung, aber ebenso um die Modernisierung der Arbeitsbedingungen. Dazu leiste das WRÄG 2024 einen wichtigen Beitrag. So würden etwa der soziale Härteausgleich oder das „Elternmonat“ die Attraktivität des Bundesheeres wesentlich steigern, konstatierte Stögmüller.
Gerade hinsichtlich des „Elternmonats“ habe es die Bundesregierung geschafft „für Verwirrung zu sorgen“, bemängelte SPÖ-Abgeordneter Mario Lindner den aus seiner Sicht fehlenden Rechtsanspruch darauf. Dahingehend herrschten drei verschiedene Modelle bei den Arbeitnehmer:innen, den Soldat:innen und den Zivildienern vor. Lindner plädierte für ein einheitliches Modell des „Elternmonats“ für alle mit gültigem Rechtsanspruch. Petra Wimmer (SPÖ) pflichtete ihm bei und verwies auf die immer noch geringe Väterbeteiligung bei der Kinderbetreuung. Gerade der Staat müsse hier eine „Vorbildfunktion“ ausüben. Robert Laimer (SPÖ) bemängelte vor allem die nach wie vor nicht vorliegende aktualisierte Österreichische Sicherheitsstrategie und die aus seiner Sicht intransparente Vorgehensweise der Bundesregierung bezüglich Sky Shield. Die Sicherheitspolitik müsse demokratisch legitimiert sein, nur so könne auch ein „Mentalitätswandel“ im Sinne der Umfassenden Landesverteidigung erfolgen, so Laimer.
Für NEOS-Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff stellt das WRÄG 2024 „keinen großen Wurf“ zur Bekämpfung des Personalmangels dar, auch wenn er einzelne Punkte wie den „Elternmonat“ als „durchaus wichtig“ bewertete. Es werde gerade intensiv in das Material des Bundesheeres investiert, doch fehle weiterhin das Personal, um dieses zu bedienen. Für Hoyos-Trauttmansdorff geht es darum, den Berufstand des Soldaten wiederherzustellen. Der Weg dahin führe vor allem über mehr internationale Zusammenarbeit insbesondere mit den europäischen Partnern. Kritik übte er außerdem an aus seiner Sicht zu „russlandfreundlichen“ Aussagen Verteidigungsministerin Tanners in den Medien und an „pro-russischer Propaganda“, die von der FPÖ aber auch von Teilen der SPÖ geteilt werde.
Tanner bezog sich auf die gerade stattfindenden Assistenzeinsätze des Bundesheeres im Rahmen des Katastrophenschutzen in der Steiermark. Diese hätten ihr wieder vor Augen geführt, wie wichtig es sei, dass mit dem WRÄG 2024 gerade für die Grundwehrdiener Ungerechtigkeiten beseitigt würden und mit dem LV-FinG langfristige Planbarkeit für das Bundesheer geschaffen worden sei. Das Hauptaugenmerk ist auch laut ihr nun auf das Personal zu richten. Es müsse dafür gesorgt werden, dass bei möglichst vielen jungen Männern und auch Frauen „die Entscheidung pro Bundesheer ausfällt“. Dafür seien unter anderem 600 Informationsoffiziere in den Schulen Unterwegs, um die geistige Landesverteidigung wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken und den Wehrwillen zu stärken, berichtete Tanner.
Evaluierung der Hubschrauberflottenstationierung
ÖVP, Grüne und NEOS fordern in einem gemeinsamen Entschließungsantrag, die bundesweite Stationierung der neu anzuschaffenden Hubschrauberflotte zu evaluieren. Besondere Berücksichtigung sollen dabei militärische Notwendigkeiten, Infrastruktur und Logistik sowie Kosten und künftig zu erwartende Assistenzleistungen finden. Auch die Bedürfnisse der Bundesländer sollen sich in der Verteilung widerspiegeln, wie aus der Begründung hervorgeht. Die Basis für die Initiative lieferte ein dementsprechender Entschließungsantrag der NEOS, zu dem die drei Fraktionen im Landesverteidigungsausschuss einen Abänderungsantrag einbrachten.
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt brachten die NEOS einen Entschließungsantrag ein, der ebenfalls in der Minderheit blieb. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, spätestens bis zur Nationalratssitzung im September eine Strategie zur gesamtstaatlichen Koordination der Umfassenden Landesverteidigung vorzulegen. Diese soll Antragsteller Douglas Hoyos-Trauttmansdorff zufolge aus einer neuen Österreichischen Sicherheitsstrategie und einem detaillierten Plan zur Krisenkoordination zwischen Innen- und Verteidigungsministerium sowie den in Krisenfällen betroffenen Körperschaften bestehen.
Diskussion über „Bedürfnisse der Bundesländer“
Wer „unbedarft“ den reinen Entschließungstext des Antrags lese, könne nichts Falsches daran finden, erklärte Volker Reifenberger (FPÖ). „Massiv störe“ er sich jedoch am Wortlaut der Begründung, in dem auch die Bedürfnisse der Bundesländer genannt werden. Die Politik, insbesondere die „Fürsten der Finsternis“, wie Reifenberger die Landeshauptleute nannte, dürften keinen Einfluss auf die Funktionsweisen der militärische Landesverteidigung haben.
Andreas Minnich (ÖVP) entgegnete, dass der vollständige Satz der Begründung laute: “ Die Verteilung der Hubschrauberflotte soll die Bedürfnisse der Bundesländer widerspiegeln, jedoch unter Berücksichtigung der militärische Notwendigkeiten, des logistischen Aufwands und der zu erwartenden Kosten“. Darauf könne man sich durchaus einigen. Ebenso wie David Stögmüller von den Grünen zeigte sich Minnich erfreut über die Neuanschaffung von 36 Leonardo- und 12 Blackhawk-Hubschraubern. Im Rahmen eines „Zweiflottensystems“ würde die Kombination beider Modelle ein breites Spektrum an Missionen von militärischen Einsätzen bis zur Katastrophenhilfe abdecken können, wie beide betonten. Gerade für letzteren Einsatzbereich müssten die Hubschrauber auch in den Bundesländern stationiert sein, sagte Stögmüller.
Reinhold Einwallner (SPÖ) begrüßte sowohl die Neuanschaffung der Hubschrauber als auch die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bundesländer. Speziell die jetzige Katastrophensituation aufgrund der Unwetter zeige die Notwendigkeit einer ausreichenden regionalen Abdeckung mit Hubschraubern. Rudolf Silvan (SPÖ) erinnerte an die Lawinenkatastrophe von Galtür, als Österreich auf Unterstützung durch ausländische Hubschrauber angewiesen gewesen sei. Auch Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) zeigte sich erfreut über die Neuanschaffung der Hubschrauber. Die Vorgangsweise der FPÖ, sich „drei bis vier Worte“ aus einem Antrag „herauszupicken“, um dagegen sein zu können, bezeichnete er als „unredlich“. Verteidigungsministerin Tanner versicherte, dass in der Landeverteidigung „selbstverständlich“ immer ganz Österreich in den Blick genommen werde.
Fristsetzungsanträge der NEOS abgelehnt
Außerdem wurden seitens der NEOS vier Fristsetzungsanträge eingebracht die sämtlich keine Mehrheit fanden. Ihrer Ansicht nach sollte sich bis zum 1. Juli 2024 der Geschäftsordnungsausschuss mit ihrer Initiative zur Aufwertung des Petitionsausschusses und der Kulturausschuss mit ihrem Entschließungsantrag zur Schaffung einer zentralen Gedenkstätte für die während des Nationalsozialismus ermordeten Roma und Romnja, Sinti und Sintizze befassen. Ebenfalls bis zum 1. Juli wollten sie dem Unterrichtsausschuss eine Frist zur Befassung mit ihrem Antrag zur Finanzierung von Schulen autochthoner Volksgruppen und dem Verfassungsausschuss zur Behandlung ihrer Initiative zur Selbstverwaltung von Volksgruppen setzen. (Schluss Nationalrat) wit
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