TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Wir müssen alle hinschauen“, von Carmen Baumgartner-Pötz, Ausgabe vom Sonntag, 19. November 2023

Patriarchale Besitzansprüche und Ansichten sind der Boden, auf dem Gewalt gegen Frauen gedeiht.

   "Man kann nie genug tun“: Was Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) jüngst über den permanenten Kampf gegen Antisemitismus in Österreich sagte, lässt sich auch auf Gewaltschutz und Femizide umlegen. Es ist ein ewiges, unter der Oberfläche brodelndes Thema hierzulande, dem scheinbar nicht beizukommen ist, auch wenn mehr Geld in Frauenhäuser, Fallkonferenzen, entsprechende Präventionsprojekte gesteckt wird.
   Dabei weiß man sehr viel über Femizide und die Ursachen. Expertinnen betonen, dass die gefährlichste Phase für Frauen die der Trennung vom Partner ist. Gekränkte Männer, die zu Gewalttätern, gar Mördern werden, folgen der Logik: „Wenn ich sie nicht haben kann, dann auch sonst keiner.“ Dem liegen patriarchale Strukturen und Muster zugrunde, die sich besonders hartnäckig halten – und zwar unabhängig von Alter, sozialem Status oder Herkunft. Diese Strukturen gilt es aufzubrechen – eine Jahrhundertaufgabe. Dass jeder Mensch nur sich selbst gehört, muss bereits im elementarpädagogischen Bereich vermittelt werden und später in allen Schulstufen. Präventionsarbeit unter den Jungen kann für die Zukunft schon viel leisten – aber natürlich nicht alles.
In einer idealen Welt würden Frauen, die bei der Polizei ihren Peiniger anzeigen, immer ernst genommen und es gäbe Konsequenzen, bevor etwas passiert. Die Realität ist freilich eine andere. Es kann also auch nie genug Sensibilisierung bei der Exekutive geben. Bleibt das unbequeme Thema Zivilcourage. Bei den Nachbarn ist es zum wiederholten Mal extra-laut, es rumpelt verdächtig? Lieber einmal zu viel (diskret) nachfragen oder den Notruf wählen als einmal zu wenig.