Dritte Nationalratspräsidentin Kitzmüller: Das Thema „Gewalt an Frauen“ ist leider noch immer aktuell
Wien (PK) – Kriminalistisch spannend, aber auch bedrückend und erschütternd – so kann man die Veranstaltung zusammenfassen, zu der gestern Abend Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller ins Palais Epstein eingeladen hat. Anhand des Kriminalfalles Jack Unterweger griff sie das Thema Gewalt an Frauen auf, das leider noch immer aktuell sei, wie sie in ihrer Begrüßung nachdrücklich feststellte.
Das bestätigte auch Ernst Geiger, jahrelanger Leiter der Wiener Mordkommission und der Kriminaldirektion 1 der Bundespolizeidirektion Wien. Trotz aller Bemühungen des Gesetzgebers, Regelungen zum Schutz von Frauen einzuführen, bleibe die Gewalt an Frauen an der Tagesordnung, vor allem im häuslichen Bereich. Auch wenn die Tötungsdelikte insgesamt in den letzten Jahren zurückgegangen seien, seien die absoluten Zahlen hinsichtlich der Frauenmorde gleich geblieben, betonte Geiger, wenn nicht sogar gestiegen. Dazu kämen neue Formen wie Ehrenmorde und Messerdelikte.
Neben Geiger, der seit 1980 mit fast allen spektakulären Kriminalfällen befasst war, konnte die Dritte Nationalratspräsidentin auch John Leake als Vortragenden gewinnen. Für sein Buch „Das Doppelleben des Jack Unterweger“ erhielt er mehrere Auszeichnungen.
Jack Unterweger – ein Mann mit vielen Gesichtern und perfekter PR-Taktik
Geiger und Leake schilderten in eindrucksvoller Weise, wie leicht es Jack Unterweger mit seinen „vielen Gesichtern“ (John Leake) und mit einer geschickten PR-Taktik gelang, einflussreiche Menschen in allen gesellschaftlichen Schichten zu täuschen und zu manipulieren, und wie schwierig es war, mittels Mosaiksteinchen jahrelanger Ermittlungsarbeit, aber ohne moderne Ermittlungsmethoden, Beweise für die Schuld Unterwegers zu erbringen.
Unterweger zählt zu den bekanntesten Kriminellen Österreichs. Er hat es geschickt verstanden, unter anderem auch als erfolgreicher „Häfnliterat“, einflussreiche Intellektuelle und die Medien zu umwerben und zu faszinieren. Sie starteten eine Kampagne für eine Begnadigung Unterwegers und waren schlussendlich damit erfolgreich, merkte Kitzmüller in ihrer Begrüßungsrede an. Für die Justiz habe er als ein Paradefall für eine erfolgreiche Resozialisierung gegolten, Unterweger hat auch die Gutachter getäuscht. Sie hätten sich damals die Akten nicht angeschaut, sagte Geiger.
Trotz Verurteilung wegen Mordes an Frauen zu lebenslanger Haft im Jahr 1976 wurde Unterweger nach 15 Jahren ohne weitere Auflagen bedingt aus der Haft entlassen. Kaum in der Freiheit angekommen, beging er weitere elf Morde an Frauen, auch in den USA (Los Angeles). Nach abermaliger Verurteilung in Graz 1994 nahm er sich das Leben.
Unterweger habe mit dem Zeitgeist perfekt gespielt, sagte John Leake, der sich nach eigenen Aussagen durch den Film „Der dritte Mann“ zu seiner intensiven Beschäftigung mit der Persönlichkeit Jack Unterweger inspirieren ließ. Unterweger sei ein Marketing-Genie gewesen, dem es gelang, die Realität seiner Vergangenheit, seine Vorstrafen und seinen sexuellen Sadismus zu verbergen. Er sei ein Frauenheld gewesen, sei bei Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten gut angekommen, die Medien hätten mit ihm „kokettiert“ und seine Schauspielerei sowie seine Gedichte – die zum Teil auch Plagiate waren – sowie sein Roman „Fegefeuer“ hätten als Beweis für seine Resozialisierung gegolten. Den Mythos, den er um sich geschaffen hat, habe man ihm abgenommen, zwei psychiatrische Gutachten, die auf seine Aggressionen und seine wahre Persönlichkeit sehr genau hingewiesen hätten, habe man einfach ignoriert.
Ernst Geiger beleuchtete den Fall Unterweger aus kriminalistischer Sicht. Es sei der erste Fall gewesen, den man aufgrund einer DNA-Analyse mittels eines Haares in einem Autowrack habe lösen können – ein Durchbruch in der Beweisführung, wie Geiger festhielt. Auch die Art des Knotens, den Unterweger in die Wäsche seiner Opfer machte, um sie zu erdrosseln, war eine spezielle, die als weiterer Beweis auf den Täter hinführte.
Geiger brachte anhand von ehemaligen Zeit im Bild-beiträgen und einer BBC-Dokumentation die grausamen Morde und schwierigen Ermittlungen nochmals anschaulich in Erinnerung. Die Arbeit musste ohne Computer mit riesigen Aktenbergen erfolgen. Unterweger trat in dieser Zeit auch als Journalist auf, der dann in Prostituiertenmilieus Interviews machte und zu Akten Zugang fand. Wesentlichen Anstoß für die Aufklärung der Fälle war laut Geiger der Hinweis eines pensionierten Salzburger Kriminalbeamten, der Unterweger den Mord an einer Salzburgerin nicht nachweisen konnte, ihn aber für schuldig hielt. Die Beweisführung war schwierig, auch wenn man Unterweger nachweisen konnte, dass er sich immer in zeitlicher und örtlicher Nähe der begangenen Morde aufgehalten hat. Erst die DNA-Analyse des Haares und der spezielle Knoten führten zur Verhaftung Unterwegers in Miami. Die Verurteilung erfolgte mit knappem Votum, die Geschworenen erachteten Unterweger mit 5 zu 3 in neun von elf Fällen für schuldig. Die Medien und die Anwälte hätten damals großen Einfluss ausgeübt, berichtete Geiger.
Für die kriminalpolizeiliche Arbeit habe der Fall Unterweger insofern Konsequenzen gehabt, als Tatortgruppen und der kriminalpsychologische Dienst sowie eine DNA-Datenbank und eine Datenbank für Sexualattentäter (ViCLAS) eingerichtet wurden.
Ernst Geiger und John Leake
Ernst Geiger, geboren 1954, Doktor der Rechtswissenschaften, seit 1978 im Polizeidienst, war jahrelanger Leiter der Wiener Mordkommission und seit Anfang 1980 mit fast allen spektakulären Kriminalfällen (Jack Unterweger, Diebstahl der Saliera und zuletzt im Mordfall Julia Kührer) in Wien befasst. Daneben war er Vortragender für kriminalistische Themen, ab 2003 Leiter der Kriminaldirektion 1 der Bundespolizeidirektion Wien, seit Ende 2017 im Ruhestand. Geiger ist auch Autor des Buches „Es gibt durchaus noch schöne Morde: Die spannendsten und skurrilsten Kriminalfälle der letzten 25 Jahre“, in Kooperation mit Paul Yvon.
John Leake, geboren 1970 in Texas, studierte Geschichte und Philosophie in Wien und Boston. Sein erstes Buch „Der Mann aus dem Fegefeuer: „Das Doppelleben des Jack Unterweger“ (2008) erhielt die Auszeichnung „Editors’ Choice“ der „New York Times Sunday Book Review“; es wurde von der „Men’s Vogue“ zum „Best Book of 2007“ gewählt. John Leake lebt und arbeitet heute in Wien.
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