Nach Auffassung des Senats 1 des Presserats verstößt der Artikel „Die Revolution frisst ihre Kinder – Journalisten müssen ‚sauber‘ sein“, erschienen in der Ausgabe 04 Feber/2024 der Zeitschrift „Das Wien“, gegen die Punkte 2.1 (Genauigkeit), 5 (Persönlichkeitsschutz) und 12 (Suizidberichterstattung) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
Im Untertitel des oben genannten Artikels heißt es, dass die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid das „Quellengebot“ bei ihren Artikeln und das „Zitiergebot“ bei ihrer Dissertation nicht erfüllt habe.
Im Artikel wird dann berichtet, dass „Promi-Journalistin und ‚Edelfeder‘ Alexandra Föderl-Schmid“ in den vergangenen Wochen am eigenen Leib habe erfahren müssen, wie es sich anfühle, wenn man die eigene Medizin verabreicht bekomme, diese aber nicht schmecke. Ihr sei nunmehr vorgeworfen worden, sowohl bei ihrer Doktorarbeit, als auch bei Zeitungsartikeln kräftig abgeschrieben zu haben. Dies sei insofern mehr als peinlich, weil sie sich jahrelang selbst als Stimme für qualitativen Journalismus inszeniert und sogar ein Buch mit dem Titel „Journalisten müssen supersauber sein“ geschrieben habe.
Doch genau über diesen Anspruch, heißt es im Artikel weiter, dürfte sie in der Realität gescheitert sein. Der Verdacht sei, dass Föderl-Schmid in Artikeln ganze Absätze von woanders abgeschrieben habe, ohne ihre Quellen dabei zu zitieren. Doch das sei nicht alles, das Fass zum Überlaufen hätten Vorwürfe wegen ihrer Dissertation „Vom Monopol zum Markt: zehn Jahre duales Rundfunksystem in Deutschland“ gebracht. Ein erstes Gutachten ende mit einem vernichtenden Befund, das sei auch der Anstoß für Ihren Rückzug als Vize-Chefredakteurin der „‘Süddeutschen Zeitung‘ vulgo ‚Alpen-Prawda‘“ gewesen.
Was danach gefolgt sei, sei eine Posse der Sonderklasse. Nicht Föderl-Schmid sei kritisiert worden, sondern diejenigen, die das aufgedeckt haben, das Newsportal „Nius“, das einen Plagiatsjäger bezahlt habe, um Artikel von Föderl-Schmid und ihre Dissertation zu überprüfen. Und dieses Portal sei ganz böse rechts, weil dort der prominente Journalist und Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt werke. Während Föderl-Schmid in sozialen Medien heftig kritisiert und attackiert worden sei, habe sie von der österreichischen Medienwelt weitgehend Rückendeckung bekommen.
Unter der Zwischenüberschrift „Doppelmoral“ heißt es weiter, dass dies für die Doppelmoral der österreichischen Medienlandschaft bezeichnend sei, denn besonders der Standard, dessen Chefredakteurin sie gewesen sei, habe sich bei den Rufmordkampagnen gegen Kurz, Blümel, Strache u.a. an vorderster Front in Szene gesetzt, ohne Rücksicht auf Verluste.
Unter der Zwischenüberschrift „Posse“ wird berichtet, dass das „bei der linken ‚Edelfeder‘ Föderl Schmid“ anders sei, obwohl sie nachweislich die „Edelfeder“ gegen den Kopierstift vertauscht habe, bei ihr sei das alles nur eine böse Kampagne. Die Krone aufgesetzt habe der Posse allerdings ihr Verschwinden am 8. Februar, Medien würden melden, dass die Polizei nach ihr suche, da sie als vermisst gemeldet worden sei. Laut „taz“ sollen am Ufer des Inn und im Wasser Gegenstände gefunden worden sein, die eindeutig ihr zugeordnet werden könnten, ihr Auto sei ebenfalls in der Nähe entdeckt worden. Mehrere Zeitungen würden unter Berufung auf den „Stern“ berichten, dass die Polizei einen Abschiedsbrief von ihr gefunden hätte.
Dem letzten Absatz mit der Zwischenüberschrift „Oscarreife Inszenierung“ zufolge sei die Suche am 9. Februar 2024 beendet, Föderl-Schmid sei laut RTL unterkühlt gefunden und ins Krankenhaus gebracht worden. Alle seien glücklich, dass sie sich nichts angetan habe, auch die Redaktion von „DAS WIEN“, aber diese habe im Unterschied zu anderen Medien nicht vergessen, warum diese Show abgezogen worden sei.
Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte den Artikel als persönlichkeitsverletzend, faktenwidrig und Verstoß gegen das Gebot, über Suizide zurückhaltend zu berichten.
Der Senat verweist zunächst auf Punkt 12 des Ehrenkodex, wonach die Berichterstattung über Suizide und Suizidversuche im Allgemeinen große Zurückhaltung gebietet. Verantwortungsvoller Journalismus wägt – auch wegen der Gefahr der Nachahmung – ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht und verzichtet auf überschießende Berichterstattung.
Alexandra Föderl-Schmid nimmt als ehemalige Chefredakteurin der Tageszeitung „Der Standard“ und stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“ am öffentlichen Leben teil. Im Vergleich zu Spitzenpolitikerinnen und -politikern ist ihr Bekanntheitsgrad zwar geringer, sie zählt jedoch zu den prominentesten Journalistinnen und Journalisten Österreichs.
Aufgrund der Vorgeschichte mit den gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfen war ihr abruptes Verschwinden durchaus von öffentlichem Interesse. Nach Meinung des Senats war es daher gerechtfertigt, darüber zu informieren, dass es sich bei der Suche einer vermissten Person am Innufer in Braunau um Föderl-Schmid handelte.
Allerdings ist es auch bei prominenten Personen erforderlich, dass Journalistinnen und Journalisten im Falle eines zum damaligen Zeitpunkt angenommenen Suizidversuchs vorsichtig und bedacht vorgehen. Das ergibt sich einerseits aus der bereits zuvor erwähnten Nachahmungsgefahr („Werther-Effekt“) – andere suizidgefährdete Personen könnten die überschießende Berichterstattung zum Anlass nehmen, auf ähnliche Art und Weise Suizid zu begehen – andererseits aber auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nach Punkt 5 des Ehrenkodex: Auf die vulnerable Gruppe der Suizidopfer und potentiell suizidgefährdeten Personen ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Jede Krisen- oder Suizidsituation zählt zum besonders geschützten privaten Bereich.
Im vorliegenden Fall wurde das Medium weder der Zurückhaltung nach Punkt 12 noch den Vorgaben nach Punkt 5 des Ehrenkodex gerecht: Das Medium hat den vermuteten Suizidversuch als „Posse“ und „oscarreife Inszenierung“ eingeordnet; am Ende des Artikels ist dann auch noch die Rede davon, dass hier eine „Show abgezogen“ worden sei. Das Medium sieht in der Abgängigkeit von Föderl-Schmid anscheinend ein bewusstes Ablenkungsmanöver wegen der Plagiatsvorwürfe (wofür es keinerlei Anhaltspunkte gibt).
Diese Schlussfolgerung, die soeben erwähnten Formulierungen, aber auch der höhnisch-bissige Unterton des Artikels insgesamt lassen die bei einem vermuteten Suizidversuch gebotene Zurückhaltung vermissen. Darüber hinaus ist diese Herangehensweise aber auch als Persönlichkeitsverletzung gegenüber der zeitweilig vermissten Betroffenen einzustufen.
Schließlich wurde es im Artikel an manchen Stellen so dargestellt, dass Alexandra Föderl-Schmid sowohl bei ihrer Dissertation als auch im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit plagiiert und unsauber gearbeitet habe. Darin und in der Behauptung, dass es sich beim Verschwinden um ein gezieltes Ablenkungsmanöver handle, erkennt der Senat einen Verstoß gegen das Gebot des Punkt 2.1 des Ehrenkodex, wonach Nachrichten gewissenhaft und korrekt dargestellt werden müssen. Die erhobenen Plagiatsvorwürfe kamen von einem rechten Nachrichtenportal und einem selbsternannten „Plagiatsjäger“, der von diesem Portal dazu beauftragt wurde. Vor diesem Hintergrund gab es offenbar auch eine politische Agenda dieser Akteure. Das Medium hätte im Bericht zumindest darauf hinweisen müssen, dass die Vorwürfe noch von der Universität und einer von der „Süddeutschen Zeitung“ eingesetzten Kommission geprüft werden.
Daher stellt der Senat 1 unter dem Vorsitz von Maria Berger gemäß § 20 Abs. 2 lit. a der Verfahrensordnung der Beschwerdesenate einen Verstoß gegen die Punkte 2.1 (Genauigkeit), 5 (Persönlichkeitsschutz) und 12 (Suizidberichterstattung) des Ehrenkodex fest. Gemäß § 20 Abs. 4 der VerfO wird der Medieninhaber aufgefordert, die Entscheidung freiwillig im betroffenen Medium zu veröffentlichen oder bekanntzugeben.
Der Senat stellt den Verstoß gegen die Punkte 2.1 (Genauigkeit), 5 (Persönlichkeitsschutz) und 12 (Suizidberichterstattung des Ehrenkodex fest und fordert die Zeitschrift „Das Wien“ auf, die Entscheidung freiwillig zu veröffentlichen oder bekanntzugeben.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberinnen der Wochenzeitung „Das Wien“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberin von „Das Wien“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats nicht anerkannt.
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