Sehr geehrte Eigentümer und Manager der österreichischen Industrie!
Alle Jahre wieder kommt das Weihnachtsfest. Doch heuer ist es für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kein schönes Fest. Das liegt nicht nur an der schwierigen konjunkturellen Situation, sondern vor allem am letztklassigen Umgang einiger Unternehmen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Gemeint sind Geschäftsführungen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Verlust des Arbeitsplatzes bedrohen, wenn diese nicht freiwillig auf einen Teil ihres Lohnes verzichten. Gemeint sind Eigentümer und Manager, die Millionen an Förderungen aus Steuertöpfen lukriert haben, Millionengagen, Bonis und Dividenden einstreichen, und trotzdem bereits versprochene Löhne und Gehälter nicht ausbezahlen. Gemeint sind jene Trittbrettfahrer, die sich im Windschatten großer Insolvenzen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entledigen. Wenn sie es dann noch schaffen, dass Beschäftigte auf Entgeltansprüche verzichten, reiben sie sich zufrieden die Hände. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft, Sozialpläne für die Betroffenen zu verhandeln, um existenzbedrohende Härten abzufedern.
Ich muss als Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) leider für das Jahr 2024 feststellen, dass einzelne Entscheidungsträger in den Unternehmen jede Form von Anstand und Menschlichkeit vermissen lassen. Es scheint manchen egal zu sein, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit Monaten keinen Lohn erhalten haben. Es scheint ihnen gleichgültig zu sein, wenn unter dem Christbaum der betroffenen Familien nur große Sorgen liegen. Darum sage ich den verantwortlichen Damen und Herren aus solchen Chefetagen: Schämen Sie sich! Denken sie am Heiligen Abend darüber nach, was sie diesen Menschen antun.
Die Erfahrung zeigt, dass Selbstreflexion für viele sehr schwierig ist. Darum fordere ich ein generelles Umdenken in den Chefetagen ein. Es muss Schluss sein mit dem kurzfristigen Gewinnstreben, mit der Gier nach noch mehr Rendite. Früher hat es Unternehmer gegeben, diese haben, wie der Name schon sagt, etwas unternommen. Wenn sie Gewinne gemacht haben, sind diese in den Firmen geblieben, um einerseits zu investieren und um anderseits auch einmal eine schwierige Zeit zu überstehen. Heute haben wir es mit „Gewinnentnehmern“ zu tun. Das unternehmerische Risiko wird exklusiv auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgewälzt. Sie sollen den Preis für Missmanagement und Wirtschaftsflauten zahlen.
Die soziale Verantwortung muss daher auch im Wirtschaftsleben wieder in den Mittelpunkt des Handelns gestellt werden. Ich appelliere an alle Eigentümer und Geschäftsführungen, den sozialpartnerschaftlichen Weg nicht zu verlassen. Denn wenn österreichische Unternehmen wieder langfristig erfolgreich sein wollen, werden sie loyale und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen. Mit einer Wahl zwischen Lohnverzicht oder Arbeitsplatzverlust wird das nicht gelingen. Niemand will bei jemanden arbeiten, der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigentlich mit Füßen tritt. Es geht hier nicht zuletzt auch um Respekt und um den Wert der Arbeit.“
Reinhold Binder, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft
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