Auslandsinvestitionen in Osteuropa stark rückläufig

Internationale Investoren machen zunehmend einen Bogen um Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) über die in der Region getätigten oder angekündigten ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment – FDI).

In den ersten drei Quartalen dieses Jahres ist die Zahl der angekündigten Investitionen auf der grünen Wiese gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 44% eingebrochen. Die in Aussicht gestellte Summe für Direktinvestitionen schrumpfte zwar weniger stark, ging aber immer noch um satte 39% zurück. Auch in den EU-Mitgliedsstaaten der Region und den sechs Westbalkanstaaten ist die Anzahl der ankündigten Investitionsprojekte gegenüber dem Vorjahr um über 40% gesunken. „Die Krise der deutschen Industrie und geopolitische Unsicherheiten schlagen mittlerweile voll auf die Region durch“, erklärt Olga Pindyuk, Ökonomin am wiiw und Autorin des Berichts.

Die Daten zeigen jedenfalls eine deutliche Abschwächung neuer ausländischer Greenfield-Investitionen in den meisten Ländern der Region; nur in der kleinen Republik Moldau wurde ein Plus registriert. Unter den EU-Mitgliedern stechen Bulgarien, Polen und Estland mit den größten Einschnitten hervor, dort haben sich die Engagements halbiert. In Albanien, das immer noch einen Boom durch den Tourismus erlebt, ist die Zahl der Greenfield-Investitionen sogar um 88% eingebrochen.

Immerhin haben acht Länder einen höheren ausländischen Kapitalzufluss verbucht als im Vorjahr, allen voran Estland, Litauen und der Kosovo. Dass die Investitionszusagen in Montenegro, der Ukraine und Bosnien-Herzegowina rascher schrumpften als die Anzahl der Projekte, weist darauf hin, dass sich die Struktur der Investitionen in Richtung weniger kapitalintensive Dienstleistungsprojekte ändert.

Österreichische Investoren verhalten, deutsche auf dem Rückzug

Die Investitionszusagen aus Deutschland sind in finanzieller Hinsicht besonders stark eingebrochen: Sie gingen um rund 44% zurück, von 171 auf 96 angekündigte Projekte. Dabei sank das angekündigte Investitionsvolumen auf nur noch rund 3 Milliarden Euro, verglichen mit über 9 Milliarden Euro im gleichen Zeitraum des Vorjahres – ein Minus von 67 %.

Österreichische Unternehmen, traditionell wichtige Investoren und Geschäftspartner in der Region, haben die Anzahl der angekündigten Projekte in Osteuropa zwar ebenfalls stark reduziert (von 34 auf 15 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres), möchten aber um 20% mehr Geld investieren als im Vorjahr (965 Millionen Euro gegenüber 804 Millionen Euro 2023). Das sind aber immer noch vier Fünftel weniger als 2022. Profitieren werden davon vor allem Rumänien, Ungarn und Bulgarien. „Während wir bei den deutschen Investoren eine Abkehr von Osteuropa und Hinwendung zu den USA beobachten, bleibt Österreich in Osteuropa stark engagiert und wird dort trotz verschiedener Probleme auch weiterhin voraussichtlich mehr investieren als in den USA“, resümiert Pindyuk.

China dominiert bei neuen Investitionen

Trotz eines Rückgangs bleibt China bei neu zugesagten Investitionen der größte Investor in der Region Mittel-, Ost- und Südosteuropa vor Deutschland. Während die deutschen Investitionen, gemessen am bereitgestellten Kapital, um 67% einbrachen, gingen jene aus China nur um 30% zurück. Jedoch liegt der Anteil der chinesischen FDI-Bestände an den gesamten FDI-Beständen in der Region nur bei etwa 1%, während rund 70% der FDI-Bestände laut wiiw FDI-Datenbank nach wie vor aus den EU-Staaten stammen.

Waren Ungarn in der EU und Serbien auf dem Westbalkan zuletzt die größten Empfänger chinesischer Direktinvestitionen, hat in diesem Jahr nach der Zahl der Projekte Rumänien die Spitzenposition inne und die Slowakei die größte Finanzierungsankündigung aus China erhalten. Der staatliche Pekinger Autohersteller SAIC will in der Slowakei E-Fahrzeuge herstellen. Auffällig ist die vor allem von Engagements in Auto- und Batterieprojekten stammende hohe Kapitalintensität chinesischer Projekte, deren Wert den deutschen Projekten um das Achtfache übertraf.

Die Untersuchung legt nahe, dass der Einbruch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa aufs Jahr gesehen noch weitaus tiefer reichen könnte. Denn im dritten Quartal, als im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen die globale Unsicherheit zugenommen hat, ist der Rückgang der angekündigten Investitionen noch dramatischer ausgefallen. Mit einem Minus von 70% haben sie von Juli bis September den niedrigsten Stand der Jahre 2020 bis 2024 erreicht. „Offenbar scheinen Investoren im dritten Quartal 2024 noch weniger Vertrauen gehabt zu haben als auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie oder nach der groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine“, sagt Pindyuk.

Hinwendung zu den USA

Mit dem Inflation Reduction Act der scheidenden amerikanischen Regierung und den hohen Energiepreisen in der EU scheint den Ländern Osteuropas in Amerika ein neuer Konkurrent um ausländische Direktinvestitionen herangewachsen zu sein. Zwar ist die Zahl der Greenfield-Projekte aus China in den USA im Zeitraum von Januar bis September 2024 im Vergleich zum Vorjahr von 47 auf 41 und die der Projekte aus Deutschland von 162 auf 138 ebenfalls gesunken. Dennoch übersteigt diese Zahl die in Ostmittel- und Südosteuropa angekündigten Projekte deutlich: Dort wurden lediglich 28 Projekte aus China und 96 aus Deutschland in Aussicht gestellt.

Die Neuausrichtung deutscher Investoren auf die USA wird noch deutlicher, wenn man sich die Investitionszusagen ansieht. Während im Zeitraum Januar bis September 2022 das zugesagte Kapital für Greenfield-Projekte in Mittel-, Ost- und Südosteuropa um 40% höher war als jenes für Projekte in den USA, war es im Zeitraum Januar bis September 2024 für die USA fast dreimal so hoch wie jenes für Mittel-, Ost- und Südosteuropa.

Strukturwandel weg von der „verlängerten Werkbank“

Die langfristige Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in der Region (2010-2023) deutet auf einen Strukturwandel in vielen Ländern hin, insbesondere in Zentraleuropa. So hat die von der Autoindustrie dominierte Slowakei bei den FDI-Zuflüssen von 2020 bis 2023 gemessen am Bruttoinlandprodukt am schlechtesten abgeschnitten. Das Land konnte noch weniger ausländische Investitionen anziehen als das mit weitreichenden westlichen Sanktionen belegte Russland. Olga Pindyuk dazu: „Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass das ostmitteleuropäische Wachstumsmodell, das auf der Anziehung ausländischer Direktinvestitionen beruht, ausgedient haben könnte.“ Das wiiw hat in mehreren Studien immer wieder darauf hingewiesen, dass die Konzentration auf Produktion und verarbeitendes Gewerbe – also das Modell „verlängerte Werkbank“ für westlicher Konzerne – langfristig nicht zu einer Absicherung oder Mehrung des Wohlstandes reichen wird. Es rät den Ländern der Region daher zu mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung sowie zu einer durchdachten Industriepolitik.

Der neue FDI-Report steht auf Anfrage zur Verfügung und ist für wiiw-Mitglieder kostenlos.

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