Forderung an neue Bundesregierung: Gesetzliche Verankerung und gleichberechtige Teilhabe für Patient:innenorganisationen umsetzen

„Patient:innenorganisationen: Zaungäste oder Partner im österreichischen Gesundheitswesen?“ Unter diesem Titel untermauert ein aktuelles Rechtsgutachten nun erstmals diese langjährige Forderung nach aktiver und gesetzlich legitimierter Partizipation im Gesundheitswesen.

Patient:innenorganisationen haben eine wichtige Brückenfunktion zwischen Betroffenen und dem Gesundheitssystem, bieten Patient:innen gezielte Hilfsmaßnahmen und vertreten als geschulte Expert:innen deren Interessen nach außen. Trotzdem werden sie vielfach als „Laien“ eingestuft. Im Zuge des Pressegesprächs von Pro Rare Austria, Allianz für seltene Erkrankungen, fordern Patient:innenorganisationen deshalb die fehlende gesetzliche Verankerung, die gleichberechtigte Teilhabe und den Zugang zu relevanten wissenschaftlichen Informationen. Weiters wollen sie aktiv an Forschung und Entwicklung mitwirken dürfen sowie bei Entscheidungen zur Kostenerstattung ein Mitspracherecht erhalten.

Patient:innenorganisationen (PTOs) übernehmen eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem, indem sie Patient:innen gezielt informieren, unterstützen und ihre Interessen vertreten. Für diese Aufgaben ist der Zugang zu qualifizierten Informationen entscheidend. Die Einstufung von PTOs als ‚Laien‘ behindert leider häufig den Zugang zu relevanten medizinischen und organisatorischen Informationen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen,“ erklärt Mag.a Elisabeth Weigand, Geschäftsführerin Pro Rare Austria.Dabei erfordert die Arbeit von PTOs spezialisiertes Wissen, da sie sich als Interessensvertretung und durch die Selbsthilfearbeit intensiv mit der Gesundheitsindustrie beschäftigen. Sie helfen Patient:innen, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden, und setzen sich für Verbesserungen der Versorgung und ein patient:innenzentriertes Gesundheitssystem ein. Und genau für diese Arbeit sind gezielte Informationen notwendig, die über das hinausgehen, was typischen „Laien“ zur Verfügung steht.

Ein Gutachten, das von der renommierten Rechtsexpertin Dr.in Maria-Luise Plank erarbeitet wurde, schafft nunmehr Klarheit: Das Laienwerbungsverbot, das ursprünglich zum Schutz von Einzelpersonen vor irreführender Einflussnahme entwickelt wurde, ist demnach für PTOs nicht relevant. Diese Organisationen bestehen aus qualifizierten und thematisch geschulten Gruppen, die kollektive Interessen vertreten. Sie agieren professionell und haben keinen individuellen Schutzbedarf, sondern benötigen umfassende Informationen, um ihre Anliegen im Sinne der von ihnen vertretenen Patient:innen effektiv durchsetzen zu können.

Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass PTOs in vielen Ländern gesetzlich verankert sind und ihnen damit eine eigene Rolle im Gesundheitswesen zugewiesen ist. Diese rechtliche Anerkennung sichert ihre Rechte, stärkt ihre Position in Entscheidungsprozessen und ermöglicht ihnen den uneingeschränkten Zugang zu qualifizierter und umfassender Information. In Österreich fehlt eine gesetzliche Etablierung, was die Arbeit der Patient:innenorganisationen erheblich erschwert. Eine klare gesetzliche Verankerung ist dringend notwendig, um die Rolle klar zu definieren und eine aktive Mitwirkung in der Forschung, bei Entscheidungsprozessen zur Kostenerstattung und in anderen relevanten Bereichen zu ermöglichen, unterstreicht Rechtsanwältin Plank, spezialisiert auf Pharma- und Gesundheitsrecht.

Patient:innenbeteiligung in Forschung & Entwicklung

Ein weiteres zentrales Thema ist die stärkere Beteiligung von PTOs an der klinischen Forschung und Entwicklung neuer Therapien. Derzeit sind Selbsthilfegruppen überwiegend nur als Studienteilnehmer:innen in klinischen Studien involviert, obwohl ihre umfassende Erfahrung und ihr Wissen zu den Bedürfnissen von Patient:innen für deren Gestaltung und die Interpretation der Ergebnisse von unschätzbarem Wert wären. PTOs könnten wertvolle Impulse für die Entwicklung von Studienprotokollen und damit Messmethoden geben, die die tatsächlichen Bedürfnisse der Betroffenen besser widerspiegeln und so die Relevanz der Ergebnisse für den Alltag der Patient:innen erhöhen.

Auf Basis des Rechtsgutachtens fordert Pro Rare Austria eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und PTOs, um sicherzustellen, dass die Perspektiven der Patient:innen von Anfang an in den Forschungsprozess integriert werden. „Eine aktivere Rolle von PTOs könnte nicht nur die Patient:innenzentrierung und die Studienqualität verbessern, sondern auch zu einer schnelleren Entwicklung von Therapien führen, die besser auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt sind“, so Weigand.

Mitsprache bei Kostenerstattungsentscheidungen

Anknüpfend daran ist auch die fehlende Beteiligung von PTOs an den Entscheidungsprozessen zur Kostenübernahme und in der Nutzenbewertung ein weiteres wichtiges Thema. Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich, erklärt diesbezüglich: „Patient:innen spielen eine zunehmend bedeutsamere Rolle in der Nutzenbewertung (bei Health Technology Assessments) innerhalb der Europäischen Union, insbesondere durch ihre Beiträge zur Entscheidungsfindung und Priorisierung von Gesundheitsinnovationen. Ihre Einbindung zielt darauf ab, patient:innenzentrierte Perspektiven in den Bewertungsprozess einließen zu lassen, indem sie Erfahrungen, Präferenzen und Bedürfnisse einbringen, die für eine fundierte Bewertung neuer medizinischer Technologien und Therapien entscheidend sind. Diese Entwicklung der EU-Politik und -Rechtslage muss in Österreich rasch sachlich sinnvoll nachvollzogen werden.“

Weiters führt Prof. Rupp aus: Nutzenbewertungen aus Patient:innensicht, die in Entscheidungsgremien (etwa dem Bewertungsboard) verbindlich berücksichtigt werden sollten, müssen rechtlich klar geregelt werden. Ebenso muss die materielle Grundlage für eine sinnvolle Teilnahmemöglichkeit der Patient:innen und ihren spezifischen Vertretungsorganisationen in allen fachlich relevanten nationalen und internationalen Gremien nachhaltig rechtlich sichergestellt werden. Die von der Politik erwünschte und eingeforderte finanzielle und fachliche Unabhängigkeit der Patient:innenorganisationen von der Industrie ist nicht zum Null-Tarif zu haben.

Schlussendlich unterstreicht er, dass die suffiziente finanzielle Grundsicherung eine notwendige Bedingung sei, aber noch nicht die Lösung aller Fragen bringe. So dürften Herausforderungen, wie etwa der Umgang mit konkurrierenden Patient:innen-Organisationen, die Standardisierung der Einbeziehungsmethoden und die Repräsentativität der eingebrachten Meinungen, nicht bagatellisiert werden. „Diesbezüglich ist Österreich als Nachzügler in der glücklichen Position, von jenen Staaten lernen zu können, die hier schon weiter voran sind. Unser gemeinsames Ziel ist es ja, eine gerechtere und transparent gestaltete Gesundheitsversorgung in Österreich zu schaffen.“

Die Expert:innen und Vertreter:innen von PTOs fordern daher deren umfangreichere Mitbestimmung, um die Patient:innenperspektive stärker in die Entscheidungen zur Kostenübernahme neuer Therapien zu integrieren. Eine gleichberechtigte Teilnahme würde es PTOs ermöglichen, ihre fundierte Expertise und die tatsächlichen Bedürfnisse der Patient:innen in die Entscheidungsfindung einzubringen. Das heißt, konkret auch zur Nutzenbewertung neuer Technologien und Therapien hinsichtlich Lebensqualität, Nebenwirkungen, Anwendungsformen und Ähnlichem, was besonders bei seltenen Erkrankungen von großer Bedeutung ist.

Die Forderungen auf einen Blick

  • Gesetzliche Verankerung und Finanzierung: Die Rolle der PTOs sowie eine finanzielle Absicherung sollten gesetzlich verankert werden, damit sie ihre wichtige Rolle im Gesundheitssystem wahrnehmen können.
  • Gleichberechtigte Partizipation und Zugang zu Informationen: PTOs sollen wie alle Partner im Gesundheitswesen einen gleichberechtigten Zugang zu qualifizierter, medizinischer Information haben, ohne als „Laien“ eingestuft zu werden.
  • Aktive Einbindung in Forschung & Entwicklung: PTOs sollten entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung in Umsetzung des Rechts auf Partizipation und Selbstbestimmung aktiv in die Planung und Umsetzung klinischer Studien eingebunden werden, um deren Ergebnisse besser auf Patient:innenbedürfnisse ausrichten zu können.
  • Mitsprache bei Kostenerstattungsentscheidungen: PTOs müssen mit Stimmrecht in Expert:innengremien, insbesondere bei der Nutzen- und Kostenbewertung neuer Therapien, vertreten sein, um die Perspektiven und Bedürfnisse der Patient:innen einzubringen.

Gesamtes Rechtsgutachten: https://www.prorare-austria.org/news/aktuelles/news/rechtsgutachten

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