Anlässlich der Europäischen HIV- und Hepatitis-Testwoche fand in den Räumlichkeiten der Aids Hilfe Wien (AHW) das Fachforum „Sexuelle Gesundheit: Was braucht es?“ statt. Organisiert von der Aids Hilfe Wien und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) mit Unterstützung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger (DVSV) und in Kooperation mit der Ärztekammer für Wien, bot die Veranstaltung Fachleuten und Interessierten eine Plattform, um aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der Versorgung der sexuellen Gesundheit zu diskutieren.
Im Rahmen des Fachforums hielten renommierte Expert*innen mehrere Impulsvorträge, die unter anderem die Perspektiven der Frauen- und Gendergesundheit thematisierten, einen systematischen Überblick über die Häufigkeit von sexuell übertragbaren Infektionen boten und bestehende Forschungslücken in Europa aufzeigten.
So hoben Tanja Schwarz, BA MSc (GÖG, Health Expert, Abt. Kompetenzzentrum Sucht) und Dr. Richard Pentz, MSc (GÖG, Health Expert, Abt. Evidenz und Qualitätsstandards) hervor, dass es in Europa – und insbesondere in Österreich – an ausreichenden Prävalenzstudien zu bakteriellen sexuell übertragbaren Infektionen mangelt. Vulnerable Gruppen wie Männer, die Sex mit Männern haben, Sexarbeiter*innen und Personen, die Drogen intravenös konsumieren, sind dabei besonders unterrepräsentiert. Österreich gehört zu den wenigen Ländern ohne aktive, systematische Beobachtung (Surveillance) bakterieller STIs.
Sylvia Gaiswinkler, MA, von der Gesundheit Österreich GmbH präsentierte einen aktuellen Überblick zur Situation sexueller und reproduktiver Gesundheit aus einer Frauen- und Gendergesundheitsperspektive und ging dabei auf die vielfältigen Dimensionen sexueller Gesundheit sowie Handlungsbedarfe ein.
Mag.a (FH) Sabine Lex (Projektleiterin der Kampagne „Lust auf Reden“, AHW) stellte die Ergebnisse einer österreichweiten Umfrage vor, die den hohen Bedarf an offener Kommunikation zwischen Patient*innen und Behandler*innen unterstrich. 84 % der Befragten gaben an, dass sie es wichtig finden, mit Behandler*innen über sexuelle Gesundheit zu reden. Dabei wünschen sie sich aktive Ansprache, Empathie und einen sicheren, inklusiven Raum. „Behandler*innen können viel dazu beitragen, sexuelle Gesundheit aus der Tabuzone zu holen“, resümierte Lex.
Mag.a Andrea Brunner (Geschäftsführerin, AHW) präsentierte das künftige Zentrum für sexuelle Gesundheit, das ab 2026 am Standort der Aids Hilfe Wien entstehen soll. Dieses „One-Stop-Shop“-Modell wird Präventionsleistungen, Sozialarbeit, Beratung, Testung sowie medizinische und psychologische Behandlung vereinen. Zudem sollensexuell übertragbarer Infektionen in Wien systematisch erfasst werden.
Im Anschluss an die Vorträge folgte eine Roundtable-Diskussion, bei der Vertreter*innen aus verschiedenen Institutionen und Fachbereichen die derzeitige Versorgungslage diskutierten und über notwendige Entwicklungen im Bereich der sexuellen Gesundheit sprachen. Die Roundtable-Diskussion stand unter dem Titel:
„Sexuelle Gesundheitsversorgung – Wo stehen wir und was braucht es?“.
Hier die wichtigsten Aussagen:
Dr.in Mirijam Hall (Vorsitzende AHW):
„Wir sehen uns in den letzten Jahren mit einer steigenden Anzahl von STI-Diagnosen konfrontiert. Daher braucht es verstärkte Maßnahmen, um einen niederschwelligen Zugang zu Test-, Beratungs- und Behandlungsangeboten zu sichern. Mit dem Zentrum für sexuelle Gesundheit in der Aids Hilfe Wien soll ein erster Schritt in diese Richtung geleistet werden. Weiterhin muss noch mehr in sexuelle Bildung investiert werden, damit sexuelle Gesundheit ins Bewusstsein und raus aus der Tabuzone gerückt wird.“
Sylvia Gaiswinkler, MA (Gesundheit Österreich GmbH):
„Bislang gibt es in Österreich kein abgestimmtes Bild, wie sexuelle und reproduktiveGesundheit in der Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitsversorgung abgedeckt werden. Für einen umfassenden, positiven und chancengerechten Zugang und die entsprechende Gesundheitsversorgung gibt es strategischen Handlungsbedarf.“
ao.Univ.Prof.in Dr.in Michaela Bayerle-Eder, Österreichische Gesellschaft für Sexualmedizin und sexuelle Gesundheit:
„Achtzig Prozent der Sexual-Funktions-Störungen werden durch chronische Krankheiten und medizinische Interventionen wie Medikamente, Strahlentherapie und Operationen verursacht. Daher ist die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Sexualfunktion für Ärzt*innen eine Verpflichtung (WHO 2008), um Gesundheit und Lebensqualität zu fördern.“
Tinou Ponzer, Obmensch von VIMÖ:
„Die Gesundheitsversorgung in Österreich muss dringend gewährleisten, dass alle Berufsgruppen zu geschlechtlicher Vielfalt ausgebildet und sensibilisiert sind, denn hier führt das mangelnde Wissen zu unnötigen Hürden, Diskriminierung, Pathologisierung und nicht selbstbestimmten Behandlungen. Auch die Förderung von menschenrechts-basierter Peer-Beratung als psycho-soziale Unterstützung ist dabei wichtig, insbesondere für Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale und ihre Familien.“
Mag. Jan Pazourek, Büroleiter des Dachverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger:
„Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit: Gesundheit ist ein umfassender Begriff, der körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden inkludiert. Sexuelle Gesundheit ist Teil der allgemeinen Gesundheit. Das Tabu rund um sexuelle Gesundheit macht es besonders schwer, gute Gesundheitsinformationen zu streuen und offene Gespräche zwischen Patient*innen, Klient*innen und dem Gesundheitspersonal zu fördern. Entstigmatisierung und ein offener Umgang sind zentral, um die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen ebenso wie sexuelle Gesundheit an unsere Versicherten zu bringen.“
Fazit und Ausblick
Die Veranstaltung zeigte, dass sexuelle Gesundheit in Österreich weiterhin einen hohen Bedarf an systematischer Erfassung, umfassender Versorgung und gesellschaftlichem Dialog hat. Die Impulsvorträge und Diskussionen lieferten wertvolle Ansätze, um Barrieren abzubauen und die Gesundheitsversorgung inklusiver zu gestalten. Besonders das geplante Zentrum für sexuelle Gesundheit der Aids Hilfe Wien markiert einen bedeutenden Schritt in diese Richtung.
Obwohl sexuelle Gesundheit uns alle betrifft, wird das Thema im Gesundheitswesen oft übersehen. Daher ist es umso wichtiger, ein Bewusstsein zu schaffen und eine umfassende Versorgung für alle sicherzustellen. Um bestmögliche Unterstützung zu bieten, wird dringend geschultes Fachpersonal sowie spezialisierte Anlaufstellen, die medizinische und psychologische Beratung leisten können, benötigt.
Mehr Information und Rückfragehinweis:
Aids Hilfe Wien
Öffentlichkeitsarbeit
Juliana Metyko-Papousek, Bakk.phil.
Telefon: 0660 592 11 25
E-Mail: j.metyko@aids-hilfe-wien.at
Website: https://aids.at/
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