Am 17. Juni 2024 wurde das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) beschlossen.
Das EU-Renaturierungsgesetz = „Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“ ist ein Teil des EU-Green-Deal und ein Lichtblick, was den Klimaschutz anbelangt. In jahrelangen Verhandlungen konnten verschiedenste, wissenschaftliche und überwiegend wirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden, und in der EU-Kommission entstand daraus dieser doch noch ambitionierte Kompromiss. Das Regelwerk enthält Zielvorgaben für Naturschutzgebiete, Siedlungs- und Agrarflächen, damit Biodiversität wieder zunimmt und biologisch vielfältige und widerstandsfähige Ökosysteme entstehen. Natürliche Landschaften in Europa wurden durch intensive Landwirtschaft, Industrie- oder Bauprojekte – also durch unser menschliches Handeln zurückgedrängt und beeinträchtigt.
Als konkrete Ziele der EU werden aufgelistet: die Sanierung der Meere und Küstengebiete, das Aufforsten von Wäldern, das Wiedervernässen von Mooren, die Wiederherstellung natürlicherer Flussläufe, die Sicherung naturnaher Flächen und der Einbau von mehr „Naturräumen“ in Städten. Ernährungssicherheit ist als zentrales Ziel der Verordnung definiert, das bestätigt auch das österreichische Umweltbundesamt.
Innerstaatliche Umsetzung
Maßnahmen für die Renaturierung sollen die Mitgliedsstaaten entsprechend ihren jeweiligen Voraussetzungen selbständig entwickeln. Intakte Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten gegen die Folgen der Klimakrise und des Artensterbens. Fruchtbare Ernten sind langfristig nur mit einer intakten Natur möglich. Sollten unvorhersehbare und außergewöhnliche Ereignisse unionsweite Folgen für die Verfügbarkeit von Flächen haben, so kann das Renaturierungsgesetz für 12 Monate außer Kraft gesetzt werden. Damit wird sogar ein Notausstieg angeboten, sollten landwirtschaftlich genutzte Flächen in ihrer Ertragssicherheit kurzfristig gefährdet werden.
Langfristig verbessert sich die Ernährungssicherheit, wenn Böden entsiegelt und saniert werden. Mit mehr Bodenorganismen entsteht eine bessere Bodenqualität. Das Wachstum von mehr verschiedenen Pflanzen ist auch als Angebot an mehr bestäubende Insekten zu sehen und somit ein Faktor für eine langfristige Lebensmittelsicherheit. Darüber hinaus können entsiegelte und sanierte Böden mehr Wasser aufnehmen und speichern und so auch dazu beitragen, dass sich langfristig wieder ein zuverlässiger Grundwasserspiegel ausbildet und natürliche Kreislaufsysteme wieder in Schwung gebracht werden.
Nichts muss nach dem EU-Renaturierungsgesetz von heute auf morgen passieren: bis 2030 sollen 30% des Anteiles an definierten Flächen renaturiert werden, bis 2040 sollen 60% der vielfältigen Ökosysteme in Europa wieder in einen guten Zustand gebracht werden und bis 2050 möchte die EU 90% naturnahe Flächen wiederhergestellt haben – ein Vierteljahrhundert haben wir Zeit für dringend notwendige Maßnahmen zur Überwindung der von uns verursachten Klimakrise, zur Eindämmung der Entstehung von Treibhausgasen und zur Temperaturreduktion gegen die globale Erderwärmung. Vor 50 Jahren ist der Bericht des ‚Club of Rome‘ veröffentlicht worden. Wir haben seither viel zu viel Zeit verstreichen lassen, weil wir einfach nicht glauben wollten, dass wir mit „unserem bisschen Wohlstandsgenuss“ den ganzen Planeten Erde in die Überhitzung treiben können.
Wirksamkeitskontrolle
Für die Kontrolle der Wirksamkeit verschiedenster Maßnahmen sind mehrere Indikatoren im Renaturierungsgesetz vorgesehen: Ob die Zunahme der Biodiversität gelingt, soll regelmäßig wissenschaftlich festgestellt und in Berichten zusammengefasst werden – etwa durch Untersuchung von Bodenproben. Dass die Bevölkerung sich gern freiwillig beteiligt an der regelmäßigen Zählung von Vögeln oder Schmetterlingen und anderen Insekten ist bekannt und gesichert, die Datensammlungen und die Erstellung von Indices übernehmen bisher und weiterhin Expert:innen.
Unter naturnaher Bewirtschaftung landwirtschaftlich genutzter Flächen wird auch das Anlegen von Heckenbegrenzungen oder Brachen verstanden. Die Verordnung stellt die Freiwilligkeit solcher Verfahren fest und regt die Mitgliedsstaaten an, Landwirt:innen mit attraktiven Finanzierungsprogrammen zu unterstützen. Flächenstilllegungen sehen viele Naturschutzförderprogramme ohnehin seit langem vor. Darum geht es auch im Renaturierungsgesetz für Österreich: Bis 2030 sollen Natura-2000-Schutzgebiete gegenüber Landwirtschaftsflächen priorisiert werden, d.h. Wälder naturnah gestaltet und aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Böden entsiegelt werden.
Die Bevölkerung plädiert für Vernunft und Verantwortung
Eine Umfrage in sechs EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass drei Viertel der Befragten das EU-Renaturierungsgesetz unterstützen, mehr als zwei Drittel der Befragten sind besorgt über den Verlust der heimischen Natur (72 Prozent) und wollen, dass sie wiederhergestellt wird (76 Prozent). Laut einer für den WWF in Österreich erstellten Umfrage des Market-Instituts sind über 80 Prozent der Bevölkerung für das Renaturierungsgesetz und befürworten ein bundesweites Programm zur Renaturierung von versiegelten Flächen (WWF-Newsletter vom 18.06.2024).
Die Initiative der EU zur Förderung von Nachhaltigkeit und Umweltschutz und zur Wiederherstellung der Natur findet also große Zustimmung in der europäischen Bevölkerung. Sauberes Trinkwasser, genügend Lebensmittel und Schutz vor Naturkatastrophen – die Natur ist für uns Menschen essenziell. Doch leider achten wir nicht ausreichend darauf, sie zu erhalten. 81% der geschützten natürlichen Lebensräume in Europa sind in einem schlechten Zustand. Auch in Österreich sind die Zahlen ernüchternd: Über 80% von europarechtlich geschützten Arten und Lebensräumen sind in keinem günstigen Erhaltungszustand. Das ‚Nature Restoration Law‘ bietet also die Chance unsere langfristigen Lebensgrundlagen zu sichern und die ‚Dienstleistungen der Natur‘ für den Menschen zu bewahren: etwa die Versorgung mit Trinkwasser oder die Möglichkeit zur Erholung.
Strukturreiche Wälder und intakte Moore wie z.B. jenes im Tiroler Platzertal können große Mengen an Kohlenstoff aufnehmen und speichern. Die Vermehrung von naturnahen Grünflächen in Siedlungsgebieten kann uns im Alltag Kühlung durch Beschattung und Erholung bieten. Wiederbelebte Feuchtgebiete verbinden fließende Gewässer mit ihren Aulandschaften, in denen dafür gesorgt wird, dass auch in Trockenzeiten Wasserreserven vorhanden sind – in Österreich haben wir mit den March-Thaya-Auen 60.000 Hektar unzerschnittene Flusslandschaft im Herzen Europas. Eine Renaturierung von Mur, Drau, Donau und zahlreichen anderen Flüssen und Bächen ermöglicht uns die Durchführung von vielfältigen Artenschutzprojekten.
Wirtschaftspolitik zum Nutzen und in Verantwortung für die Bevölkerung
Das ‚Nature Restoration Law‘ hätte bei zügiger Umsetzung in Österreich zudem auch mehrfachen wirtschaftlichen Nutzen:
- Die Kosten weiterer Tatenlosigkeit sind deutlich höher als die derzeit notwendigen Investitionen – denken wir nur an die umfangreichen Aufräumungs- und Sanierungskosten nach Unwettern mit Überflutungen und Murenabgängen.
- Österreich könnte mit einem guten, das gesamte Bundesgebiet umfassenden Renaturierungsplan sehr viel Geld aus Brüssel abrufen.
- Neu zu schaffende oder entstehende ‚Green Jobs‘ und die Unterstützung von nachhaltigen Wirtschaftszweigen können zur langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung beitragen.
- So wie durch den UN-Aktionsplan ‚Agenda 2030‘ sind auch durch das Renaturierungsgesetz alle Bildungsinstitutionen gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten, Diskurse zu ermöglichen und Bewusstmachungsprozesse sowie die Entwicklung neuer Kompetenzen zu fördern.
Grüner Wandel benötigt „Green Skills“: Wissenschafter:innen aus Europa erarbeiteten im Rahmen einer Arbeitsgruppe für die Europäische Kommission eine strategische Vorausschau zur Zukunft ökologisch-nachhaltiger Kompetenzen und Berufe. Hochqualifizierte Arbeitskräfte in der Forschung wirken an der Entwicklung grüner Technologien mit. Die österreichische Sozialpartnerschaft kann dafür sorgen, dass grüne Kompetenzen in allen Berufssparten, Lehrplänen und in der Erwachsenenbildung verankert werden! Nachhaltige Innovationen und eine ökologische Transformation der Infrastruktur können nur mit Information und Kenntnissen der betroffenen Bürger:innen gut gelingen! Der sozioökologische Umbau auf demokratischer Basis, der effiziente Einsatz erneuerbarer Energien, unser fürsorglicher Umgang mit Boden und Wasser, naturnahe Landschaftspflege und Landwirtschaft, sowie umweltfreundlicher Verkehr, nachhaltige Gebäudetechnik und – neben vielen anderen Kreislaufwirtschaftssystemen – ein Kreislaufsystem für eine umweltschonende Abfallwirtschaft müssen und können gelernt werden.
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