Sie sind knapp, wechselhaft und deshalb heiß umkämpft: die „Swing States“ bei den US-Wahlen. Die demokratische und die republikanische Partei liegen in klassischen „Swing States“ oft Kopf an Kopf, das Pendel schwingt einmal für die eine, dann wieder für die andere Partei aus. Nicht nur der Präsident, sondern auch die beiden Kammern des US-Kongresses werden nach dem Mehrheitsprinzip gewählt: Wer mehr Stimmen hat, bekommt den Sitz. Es liegt auf der Hand, dass auf Staaten mit wechselhaftem Wahlverhalten ein besonderes Augenmerk liegt. Aber wie ist das in Österreich?
Ob es so etwas wie „Swing States“ auch in Österreich gebe, sei natürlich eine Frage der Definition, sagt Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle. Man könne sich über die Frage annähern, welche Bundesländer wichtig für das Wahlergebnis sind. Denn abhängig von der Anzahl an Wahlberechtigten und knappen oder oft wechselnden Ergebnissen ist es sehr wohl bedeutsam, ob man ein Bundesland „drehen“ kann.
Knapp, wechselhaft, abweichend als Kriterien
Begibt man sich auf die Suche nach etwas Ähnlichem wie „Swing States“ in Österreich, kann man laut Stainer-Hämmerle verschiedene Kriterien heranziehen: knappe Ergebnisse, oft wechselnde Ergebnisse und auf Bundes- und Landesebene voneinander abweichende Ergebnisse. Sowohl aufgrund der Größe der Bundesländer als auch aufgrund der Wahlergebnisse in der Vergangenheit sind für die Politologin die Steiermark, Kärnten und Oberösterreich hier besonders interessant.
Steiermark fällt durch knappe Ergebnisse auf
Ein „klassischer Swing State auch nach US-amerikanischer Definition“ ist laut Stainer-Hämmerle die Steiermark. Denn hier liegen die Parteien oft sehr knapp beieinander. Bei der Nationalratswahl 2006 etwa ist die ÖVP auf 37,5 % und die SPÖ auf 37,2 % gekommen. Auch bei der Wahl 2008 lagen nur knapp 3 % zwischen der SPÖ (29,3 %) und der ÖVP (26,2 %). In der Wahl darauf entschied die FPÖ das knappe Rennen mit 24,05 % für sich, während die SPÖ 23,8 % in der Steiermark erreichte.
Interessant sei die Steiermark insbesondere auch, weil dort der Dreikampf zwischen ÖVP, SPÖ und FPÖ in der Vergangenheit am stärksten war. Bei der Landtagswahl 2015 etwa sei die SPÖ auf 29,3 %, die ÖVP auf 28,5 % und die FPÖ auf 26,8 % gekommen. „Das macht es natürlich schon spannend: Wer kann mit wenigen Stimmen die Nase vorne haben?“, so Stainer-Hämmerle.
Kärnten: Nummer eins wechselt häufig
Definiert man das österreichische Äquivalent eines „Swing States“ als Bundesland, in dem die stärkste Partei oft wechselt, stößt man auf Kärnten. Alleine bei den letzten drei Nationalratswahlen holte jeweils eine andere Partei den ersten Platz im Bundesland. 2013 lag die SPÖ an Platz eins (32,4 %), 2017 die FPÖ (31,8 %) und 2019 die ÖVP (34,9 %). „Hier gab es kein knappes Rennen, sondern sehr starke Schwankungen“, sagt Stainer-Hämmerle. Die ÖVP habe sich etwa von 15,2 % im Jahr 2013 binnen zwei Wahlgängen auf fast 35 % im Jahr 2019 „hochgearbeitet“.
Interessant sei auch ein Blick auf die Wahl im Jahr 2017, bei der bundesweit die ÖVP den ersten Platz belegt hat, in Kärnten aber nur auf Platz drei gelandet ist.
Oberösterreich weicht zwischen Bundes- und Landesebene ab
Im Unterschied zu Kärnten wird in Oberösterreich bei Nationalratswahlen relativ konstant gewählt. 2006, 2008 und 2013 lag die SPÖ an der ersten Stelle, 2017 und 2019 die ÖVP. Allerdings wich die Nummer eins hier öfters von den Machtverhältnissen auf Landesebene ab. Bei Landtagswahlen sei in diesem Zeitraum durchgängig die ÖVP auf Platz eins gelegen, erklärt Stainer-Hämmerle.
„Oberösterreich swingt also zwischen den Ebenen, Kärnten zwischen den Wahlen. Und die Steiermark ist spannend, weil es dort die knappsten Rennen gibt“, fasst sie zusammen.
Stainer-Hämmerle: Sichere Siege gibt es nicht mehr
Wenig bis keine Schwankungen findet man, wenn man sich die stimmenstärkste Partei bei Nationalratswahlen in Wien, Tirol und Vorarlberg ansieht. In Wien liegt die SPÖ konstant auf Platz eins, in Tirol und Vorarlberg die ÖVP. Auch in Niederösterreich und Salzburg dominiert über viele Wahlen hinweg die Volkspartei.
Dennoch: Der Nummer eins könne sich keine Partei in keinem Bundesland mehr sicher sein, sagt die Expertin. „Das gibt es nicht mehr, dass jemand ein Leben lang über alle Ebenen immer eine Partei wählt“, so Stainer-Hämmerle zur schwindenden Stammwählerschaft. In Vorarlberg und Tirol müsse sich die ÖVP bei der kommenden Nationalratswahl wahrscheinlich keine großen Sorgen um Platz eins machen. Allerdings seien diese Bundesländer auch sehr klein. 2019 stellte Vorarlberg 4,3 % und Tirol 8,5 % aller bundesweit Wahlberechtigten. Zum Vergleich: In der Steiermark lebten rund 15 % aller 2019 Wahlberechtigten, in Oberösterreich 17,3 %.
Besonderes Augenmerk auf „Swing States“ im Wahlkampf
Im Wahlkampf werden die „Swing States“ in den USA zu „Battleground States“. Hier wird also besonders hart um Stimmen gekämpft. Schließlich wollen Vertreter:innen beider Parteien das offene Rennen für sich entscheiden.
Auch in Österreich haben Bundesländer und Regionen mit wechselndem Wahlverhalten eine Bedeutung im Wahlkampf, insbesondere, was den Einsatz von Ressourcen betrifft, erläutert Kathrin Stainer-Hämmerle. „Man muss sich überlegen, wo es sinnvoll ist, viele Plakate aufzuhängen, Veranstaltungen zu organisieren oder Hausbesuche zu machen. Da schaut man sich schon an, wo man noch Potenzial hat“, sagt die Politologin.
Und obwohl in Österreich nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird, machen regionale Schwankungen laut Stainer-Hämmerle auch für die Kandidat:innen selbst einen großen Unterschied. Denn im ersten Ermittlungsverfahren geht es um Direktmandate. Die Kandidat:innen rittern um ein Mandat in der Region. Das könne man durchaus mit dem Mehrheitswahlsystem der USA vergleichen, nur dass es in Österreich nicht für jeden Sitz im Nationalrat einen eigenen Wahlkreis gibt. „Es ist durchaus relevant für die Motivation, Wahlkampf zu machen: Ist es ein knapper Wahlkreis oder ist es ein sicherer?“, sagt die Politikwissenschafterin.
Wahlsysteme im Spagat zwischen Repräsentation und Regierbarkeit
Bei der Bewertung verschiedener Wahlsysteme muss man laut Stainer-Hämmerle immer das Ziel des Systems im Blick haben: Geht es um möglichst gerechte Repräsentation mit der Gefahr der Unregierbarkeit und Blockaden? Oder akzeptiere man wie in den USA und Großbritannien, dass Parteien mit nur geringem Vorsprung die absolute Macht erringen, um die Verantwortung eindeutig einer Partei zuzuordnen?
Die Grenzen der möglichst genauen Repräsentation sehe man derzeit in einigen österreichischen Landeshauptstädten, erklärt die Politologin. In den Städten sei die Pluralisierung des Parteiensystems stärker fortgeschritten als auf Landes- und Bundesebene. Es ist dort einfacher, Listen zu gründen und Wahlkampf zu führen. In Innsbruck habe man zuletzt gesehen, zu welchen Schwierigkeiten das führen kann. Aufgrund der starken Zersplitterung sei die Bildung einer Koalition schwierig. Als erste Stadt Österreichs hat Innsbruck deshalb zuletzt eine Hürde von 4 % für den Einzug in den Gemeinderat eingeführt.
In den Städten sieht man also ein volatileres Wahlverhalten. Die Bereitschaft ist dort höher, neue Parteien zu gründen und zu wählen. Graz wird etwa gar als „Wahlchamäleon“ bezeichnet. Für Stainer-Hämmerle ebenfalls interessant: Alle Landeshauptstädte sind anders gefärbt als das jeweilige Bundesland. „Die Stadt-Land-Unterschiede sind auch sehr wichtig“, sagt die Politikwissenschafterin. (Schluss) kar
HINWEIS: Einen Podcast mit der Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle zum Thema „Was bedeutet eigentlich politisch 'links' und 'rechts'?“ finden Sie in der Mediathek des Parlaments. Mehr Informationen zum Wahljahr 2024 finden Sie unter www.parlament.gv.at/mehralseinkreuzerl.
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