EuGH-Urteil: Wolfsabschuss verstößt gegen FFH-Richtlinie!

Heute hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-601/22 (Wiener Tierschutzverein (Markenname Tierschutz Austria) und andere Umweltorganisationen gegen die Tiroler Landesregierung) ein richtungsweisendes Urteil gefällt. Die Entscheidung erging im Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Tirol und hat eine erhebliche Bedeutung für die Auslegung der FFH-Richtlinie im Umgang mit dem Wolf. Die wesentlichen Punkte der Entscheidung sind ab sofort von den nationalen Gerichten und Behörden in allen EU-Mitgliedsstaaten einzuhalten.

In Österreich fällt Naturschutz in Gesetzgebung und Vollzug in die Zuständigkeit der Länder. Nach dem Urteil des EuGH müssen nun die Österreichischen Bundesländer ihre Wolf Abschuss Verordnungen und Alm- und Weideschutzgesetze umgehend abändern, da diese gegen die FFH Richtlinie verstoßen und ansonsten ein Vertragsverletzungsverfahren mit möglichen hohen Strafzahlungen droht,“ so Tierschutz Austria Präsidentin Madeleine Petrovic über den juristischen Erfolg.

Thoren Metz, Obmann der NGO Protect ergänzt: „Der EuGH prüfte den Standpunkt der Republik Österreich und der Tiroler Landesregierung anhand der Wolfspopulationen in anderen EU-Staaten, die alle unter vergleichbaren geografischen und topografischen Bedingungen eine gute bis hohe Wolfsdichte aufweisen und in denen gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich allein mit Behirtung und Herdenschutzhunden Schafhaltung in Almgebieten betrieben wird, wie z.B. in Rumänien, Slowenien und Italien.

Vier richtungsweisende Entscheidungspunkte des EuGH legen die FFH-Richtlinie für den Arten-, Lebensraum- und damit Naturschutz der Zukunft näher aus:

1) Benachteiligung gegenüber anderen Ländern

2) Definition des Erhaltungszustand im Alpenraum

3) Definition des ernsthaften wirtschaftlichen Schadens

4) Definition von anderweitige gelindere Lösungen statt Abschuss.

Keine Sonderregelungen für Österreich! Die Ausnahme bestimmter Mitgliedstaaten von Anhang IV der Habitatrichtlinie stellt als solche keine Ungleichbehandlung eines einzelnen Mitgliedstaats dar, dem eine solche Ausnahmeregelung nicht gewährt wurde.

Madeleine Petrovic dazu: „Es ist beschämend, dass ein EU-Mitgliedstaat wie Österreich ständig Ausnahmen vom strengen Schutz erteilt und daher die Ausnahme zum Regelfall macht. Jeder Mitgliedstaat muss für sein Land für jede, in der Richtlinie genannte, Art einen guten Erhaltungszustand anstreben und erhalten.“

„Der Erhaltungszustand des Wolfes ist in Österreich derzeit noch weit entfernt von günstig. Er wird im aktuellen Artikel 17 Bericht der österreichischen Regierung als offiziell mit „newly arriving species“ angegeben. Schaut man sich die aktuellen Daten der Bundesländer an, wird sich daran vermutlich auch nicht viel im nächsten Art 17 Bericht 2025/26 ändern. Laut diesen Daten der Bundesländer, ausgewertet in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, wurden im vergangenem Jahr 104 Wölfe in Österreich nachgewiesen. Bei den meisten Wölfen handelt es sich um Durchzügler. Die Karte mit Stand 04. Juli 2024 Wolf – Verbreitung Österreich – Österreichzentrum (baer-wolf-luchs.at) zeigt, dass von den 6 Vorjahresrudeln bisher nur eines im heurigen Jahr nachgewiesen werden konnte. Der günstige Erhaltungszustand setzt aber explizit eine erfolgreiche Reproduktion mit mehreren Rudeln in dem jeweiligen Land voraus. Österreichs Wölfe sollten laut EU- Kommission mehr als 1000 Exemplare umfassen, um von einem günstigen Erhaltungszustand sprechen zu können,“ erläutert Thoren Metz.

Weiter stellt der EuGH in seinem Urteil fest, dass der gute Erhaltungszustand der Population sich – ganz klar – auf das lokale und nationale Gebiet bezieht. Der gute Erhaltungszustand einer Art kann nicht mit dem Vorhandensein eines guten Erhaltungszustandes in einem benachbarten Mitgliedsstaat festgesetzt werden. Selbst in einem Mitgliedsstaat mit einem guten Erhaltungszustand für eine Art kann etwa ein Abschuss dann verboten sein wenn sich dadurch negative Auswirkungen auf den Bestand im Nachbarstaat ergeben.

Der EuGH stellt auch klar, dass behauptete Einbußen in der Almwirtschaft nicht unter „ernste Schäden“ einzustufen sind. Von „ernsten Schäden“ i.S. von Art.16 Abs.1 lit.b der FFH-RL sind mittelbare, (zukünftige) wirtschaftliche Schäden, die nicht einem einzelnen Wolf zurechenbar sind, hiervon nicht umfasst. M. a. Worten ernste Schäden müssen bereits eingetretene materielle Schäden sein, die einem einzelnen Wolf zuzurechnen sind. Auch die These, dass ein Wolf mittelbare, (zukünftige) wirtschaftliche Schäden anrichten kann und daher den Abschuss rechtfertige wird klar abgelehnt.

Die Argumentation das Herdenschutz als „gelinderes Mittel“ in Österreich zu teuer ist und daher nicht zumutbar sei, wird gerade in einem so reichen Land wie Österreich abgelehnt. Die Kosten für Herdenschutzmaßnahmen sind daher wirtschaftlich zumutbar, insbesondere auch deshalb da solche Kosten zu 100% von der EU finanzierbar wären. Es liegt an den einzelnen Staaten diesbezüglich ihre Fördersysteme wie ÖPUL auf Bundes- und Länderebene anzupassen.

Hinsichtlich der nun in zahlreichen Bundesländern wie Salzburg, Kärnten und Tirol erlassenen Weideschutzgesetzte urteilte der EuGH ganz klar, dass jede Alm oder Weide immer im Einzelfall geprüft werden muss, welche Herdenschutzmaßnahme als gelinderes Mittel umsetzbar sind. Einer allgemein und bereits vorab festgelegten Einstufung, das Almen nicht schützbar sind, wird damit klar eine Absage erteilt.

Abschließend sind sich Madeleine Petrovic und Thoren Metz einig: „Es sind nun die Bundesländer aufgefordert, die eindeutig rechtswidrigen Weideschutzgesetze und Maßnahmenverordnungen sofort zu widerrufen sowie auch die unrechtmäßige Umgehung der Aarhus-Konvention durch Verordnungen sofort zu stoppen und Abschüsse – wo diese überhaupt zulässig sind – wieder über ordentliche Bescheide zu veranlassen, denn nur so kann eine EINZELFALLPRÜFUNG gewahrt werden.

Alle Bundesländer sind nun ebenfalls aufgefordert unverzüglich die FFH-Richtlinie voll inhaltlich 1:1 umzusetzen. Österreich sollte ein Vorbild in der Umsetzung der gemeinsamen EU-Politik und der vom EU-Parlament verabschiedeten Gesetze sein und nicht das Land, das diese immer wieder bricht, nur um dann vom EuGH dafür verurteilt zu werden bzw in ein für den Steuerzahler teures Vertragsverletzungsverfahren hineingezogen zu werden. Die Länder und das Bundesministerium für Landwirtschaft und Regionales müssen nun endlich Herdenschutzmaßnahmen umfassend finanzieren.“ 

Q&A mit Jurist Jochen Schumacher sowie Bildmaterial unter: https://we.tl/t-xr4GCCKBs1

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