Coregonen, in Österreich meist als Reinanken, Riedling oder Kröpfling bezeichnet, haben einen hohen wirtschaftlichen Wert und werden intensiv befischt. Intensive Befischung, Umweltveränderungen und die wiederholte langfristige Einführung von nicht heimischen Coregonen haben jedoch die genetische und phänotypische Integrität mehrerer heimischer Arten stark beeinträchtigt. Gleichzeitig stellen die Coregonen eine der taxonomisch komplexesten Gruppen unter den Süßwasser-fischen in Europa dar. Die Meinungen über ihre Phylogenie, ihren taxonomischen Status und ihre infra- und intraspezifische Struktur sind diametral entgegengesetzt. Es stellt sich die Frage, wie viele einheimische Arten (unter welchen wissenschaftlichen Namen) und ökologischen Varietäten noch in Österreich existierten und durch welche Merkmale sie genau definiert werden können. Einige sind laut Rote Liste Fische Österreichs sogar als ausgestorben eingestuft, andere sind stark bedroht und stehen kurz vor dem Aussterben. Eine Revision des Wissens über die historische vs. moderne Vielfalt von Coregonus in Österreich (im Kontext aller voralpinen Seen) läuft aktuell unter der Leitung durch die Fischsammlung des Naturhistorischen Museums Wien.
Was sind Coregonen?
Coregonen sind Fische aus der Familie der Salmoniden, die in Österreich, Deutschland und der Schweiz unter vielen verschiedenen Namen bekannt sind: Rheinanken, Reinanken, Renken, Felchen, Coregonen, Maränen, und Schnäpel. Diese Namensvielfalt spiegelt auch die Vielfalt in der Natur wider, denn die Namen sind regional unterschiedlich und beziehen sich auf unterschiedlich aussehende Formen, die in verschiedenen Seen leben. In Österreich leben Coregonen meist in tieferen Seen (ab ca. 20 m), etwa im Bodensee, den Salzkammergutseen, den Salzburger Seen und den Kärntner Seen. In manchen Seen, z.B. im Attersee und im Traunsee, gibt es auch mehr als eine Coregonen-Form. Rekordhalter in Österreich ist der Bodensee mit vier verschiedenen Formen.
Coregonen sind stark gefährdet
Die Coregonen-Formen, die sich äußerlich deutlich unterscheiden, fressen oft auch unterschiedliche Nahrung und haben unterschiedliche Laichplatzansprüche und Laichzeiten, weshalb sie von Wissenschaftler*innen oft als verschiedene Arten bezeichnet werden. Viele dieser Arten werden heute als bedrohte Fischarten eingestuft. Gefährdungsursachen sind Gewässerverschmutzung, Lebensraumveränderung und -zerstörung bzw. -verschlechterung sowie die Erwärmung durch den Klimawandel.
Weil Coregonen in Österreich seit Jahrhunderten eine wichtige Wirtschaftsfischart sind, sind sie auch stark von Übernutzung/Überfischung und besonders durch die Einschleppung standortfremder Arten betroffen. Die natürlichen Bestände wurden einer Vielzahl von Bewirtschaftungsmaßnahmen unterzogen, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Während in einigen Seen die ursprünglichen Bestände für den Besatz genutzt werden, wird in anderen Seen kommerziell erhältliche Brut eingesetzt. So wurde die Maräne (lateinisch Coregonus maraena) im 19. Jahrhundert aus dem Miedwie-See (Polen, deutsch: Madü-See) in die böhmische Aquakultur exportiert. Dieser baltische Bestand wird seit mindestens 50 Jahren intensiv in der österreichischen Aquakultur genutzt und ist eine Hauptquelle für den Besatz mit Coregonen, die sich möglicherweise mit den heimischen Formen gekreuzt haben. Es ist daher fraglich, wie viele der ursprünglichen Formen/Arten noch in österreichischen Seen vorkommen.
Aus den Archiven zum angewandten Artenschutz
Zoologische Sammlungen sind die wichtigsten Archive für Belege der Artenvielfalt im Tierreich, insbesondere angesichts des derzeitigen massiven Rückgangs der Biodiversität weltweit. Die Fischsammlung des Naturhistorischen Museums Wien ist die zweitgrößte Fischsammlung Europas. Sie umfasst mehr als 100.000 katalogisierte Serien (Alkoholpräparate, Skelette und Stopfpräparate) mit rund 1 Million Exemplaren, darunter gefährdete, seltene und sogar ausgestorbene Fischarten oder Fischarten aus heute unzugänglichen Gebieten. Die Fischsammlung ist somit ein wahrer wissenschaftlicher Schatz, der es den Forschern ermöglicht, die Entwicklung der Fischbestände bis zu 200 Jahre zurück zu verfolgen. Darunter ist auch die bedeutendste Sammlung von Coregonen aus österreichischen Seen, die vor dem massiven Besatz gesammelt wurden.
Verschiedene Arten erkennen und trennen
Arten sind Kategorien, die Wissenschaftler*innen verwenden, um reproduktiv zusammengehörende Gruppen von Organismen in der Natur zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden. Arten sind künstliche Kategorien, die nach unterschiedlichen Definitionen festgelegt werden. Sie spiegeln jedoch die Vielfalt in der Natur wider, die nicht kontinuierlich, sondern in reproduktiv getrennten Einheiten auftritt. Die Art ist die wichtigste natürliche taxonomische Einheit, die mit einem lateinischen Binom (Gattungs- und Artname) bezeichnet wird, z. B. Homo sapiens. Die Bestimmung der Arten ist wichtig, um die biologische Vielfalt beschreiben zu können.
Grundsätzlich können Arten anhand von Unterschieden in körperlichen Merkmalen (z. B. Kiemenbogenstruktur, Schuppenanordnung, Wirbelzahl usw.), genetischen Merkmalen (Erbgut) oder im Verhalten unterschieden werden. Bei den Coregonen ist es jedoch schwierig, die Arten nach dem äußeren Erscheinungsbild zu trennen, da sie sich z.B. nur in Anzahl, Form und Anordnung der Kiemenreusendornen unterscheiden. Andererseits gibt es Populationen, die sich anhand äußerer Merkmale gut trennen lassen, sich aber genetisch kaum unterscheiden. Coregonen stellen Taxonomen daher vor große Schwierigkeiten.
Coregonen schützen – oder ist es schon zu spät?
Um verlässliche Informationen für ein langfristiges und effizientes Monitoring zu erhalten, muss zunächst der ursprüngliche, autochthone Artenbestand der Coregonen ermittelt werden. Dies geschieht durch die Analyse historischer Exemplare, die in der Fischsammlung aufbewahrt werden und aus der Zeit vor dem massiven Besatz mit gebietsfremden Arten stammen. Anschließend werden Analysen an frischem Material durchgeführt. Durch den Vergleich der Altbestände mit dem neu gesammelten Material kann dann die aktuelle Situation in den österreichischen Seen abgeschätzt werden. Eine Analyse aus dem Jahr 2011 hat leider bereits gezeigt, dass die Vielfalt an Coregonen stark zurückgegangen ist.
Die ersten Ergebnisse des Coregonen-Projekts am NHM Wien
Die morphologische Untersuchung der zur Verfügung stehenden historischen Exemplare von Coregonen aus den verschiedenen Seen ist abgeschlossen. Insgesamt wurden über 700 Exemplare aus sieben verschiedenen österreichischen Seen morphologisch (nach äußeren Merkmalen) untersucht. Im Mondsee, Wolfgangsee, Hallstätter See und Wörthersee konnte jeweils eine Coregonenart nachgewiesen werden, wobei sich alle Arten voneinander unterscheiden. Im Attersee und im Traunsee wurden jeweils zwei Arten und im Bodensee vier Arten nachgewiesen. Aufgrund dieser Ergebnisse werden nun genetische Analysen durchgeführt. Es scheint aber, dass in Österreich im 19. Jahrhundert unglaubliche 12 verschiedene Coregonen Arten gelebt haben.
Das Team
Wissenschaftler*nnen aus der Fischsammlung des Naturhistorischen Museums Wien, dem Forschungsinstitut für Limnologie, Mondsee der Universität Innsbruck und dem Institut für Gewässerökologie und Fischereiwirtschaft des Bundesamtes für Wasserwirtschaft Scharfling besitzen Expertise in kryptischen Biodiversitätserhebungen, taxonomischen Arbeiten auf Basis morphologischer und molekulargenetischer Methoden sowie im Bereich der Gewässerökologie. Ziel des Projektes ist es, Grundlagen für einen nachhaltigen und langfristigen Schutz der Coregonen zu schaffen.
Dieses Projekt wird aus Mitteln des Biodiversitätsfonds des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gefördert. Finanziert von der Europäischen Union, NextGenerationEU.
Website des Projekts: https://coregonus.at/
Pressematerial: www.nhm.at/presse/pressemitteilungen2024/coregonen
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