Nationalrat setzt weiteres Pflegepaket auf Schiene

Der Nationalrat hat in seiner heutigen Sitzung ein weiteres Pflegepaket auf Schiene gesetzt. Die Abgeordneten stimmten teils mehrheitlich, teils einstimmig dafür, die Befugnisse von diplomiertem Pflegepersonal, Pflegefachassistent:innen und Heimhelfer:innen zu erweitern und Sonderausbildungen für den gehobenen Pflegedienst künftig – mit einer längeren Übergangsphase – ausschließlich im tertiären Bildungssektor anzusiedeln. Konkret werden etwa Angehörige des gehobenen Dienstes ab September 2025 selbstständig Arzneimittel in den Bereichen Nahrungsaufnahme, Körperpflege und Pflegeintervention verordnen dürfen. Das Aufgabengebiet von Pflegefachassistent:innen wird um die Assistenz bei der chirurgischen Wundversorgung und die Verabreichung von Infusionen ohne medikamentöse Wirkstoffe erweitert. Vor dem Hintergrund der geplanten Erweiterung des Pflegestipendiums ist darüber hinaus vorgesehen, dem AMS künftig weitere 20 Mio. € jährlich aus dem Budget des Sozialministeriums zu überweisen.

Empört über die Vorgangsweise der Koalitionsparteien zeigte sich die Opposition. Ein umfangreicher Abänderungsantrag zum Gesundheits- und Krankenpflegegesetz war erst kurz vor Beginn der Debatte vorgelegt worden. Man habe nicht einmal Zeit, sich die Vorschläge bis zur Beschlussfassung durchzulesen, äußerte sich FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak erbost. NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler sprach von einem schlechten Politikstil. Alois Stöger (SPÖ) forderte, das Thema in der nächsten Präsidiale anzusprechen.

Aufgrund der Vorgangsweise lehnte die Opposition das Gesetzespaket, das die GuKG-Novelle enthält, geschlossen ab, wiewohl Abgeordneter Kaniak meinte, dass man inhaltlich über einzelne Vorhaben durchaus diskutieren könnte. Lediglich die Ausweitung der Befugnisse für Heimhelfer:innen, die in einer Bund-Länder-Vereinbarung geregelt ist, erhielt einhellige Zustimmung.

Neu ist weiters, dass Versehrtenrenten und andere Geldleistungen der Unfallversicherung wie Versehrtengeld und Betriebsrente künftig nicht mehr bei der Berechnung der Ausgleichszulage und bei der Sozialhilfe berücksichtigt werden, wobei das Inkrafttreten dieser Bestimmung mit dem von ÖVP und Grünen eingebrachten Abänderungsantrag von 1. Oktober 2024 auf 1. Jänner 2025 verschoben wurde. Damit werde der notwendigen Vorlaufzeit für die Umsetzung im Bereich des Vollzugs Rechnung getragen, wird diese Verschiebung begründet. Keine Mehrheit fand ein Entschließungsantrag der SPÖ, in dem ein sofortiger Stopp des „Ausverkaufs“ von Gesundheitseinrichtungen an private Investoren gefordert wird.

Neue Befugnisse für Pflegekräfte

Inklusive Erläuterungen ist der von den Koalitionsparteien zum Gesundheits- und Krankenpflegegesetz und weiteren Gesetzen eingebrachte Abänderungsantrag 18 Seiten stark und damit dreimal so dick wie der Ursprungsantrag. Neben den bereits genannten Punkten ist etwa vorgesehen, das Tätigkeitsfeld von diplomiertem Pflegepersonal – abhängig von der Ausbildung und dem jeweiligen Einsatz der betroffenen Personen – flexibler zu gestalten. Damit trage man auch dem Umstand Rechnung, dass die Ausbildung für den gehobenen Pflegedienst künftig ausschließlich auf akademischem Niveau erfolge, wird dazu in den Erläuterungen festgehalten. Ebenso wird der gesamte Bereich der Spezialisierungen bzw. Höherqualifizierungen dem tertiären Bereich zugeordnet, wobei in einer Übergangsphase bestehende Sonderausbildungen noch bis Ende 2032 begonnen werden können.

Bei bereits bestehenden Spezialisierungen werden einige praxisadäquate Adaptierungen vorgenommen. So wird aus der Spezialisierung „Krankenhaushygiene“ die Spezialisierung „Infektionsprävention und Hygiene“. Zudem wird die Kinderintensivpflege, die bisher unsystematisch geregelt war, in den Katalog der Spezialisierungen aufgenommen. Weitere Spezialisierungen können künftig im Verordnungsweg festgelegt werden, wobei als Beispiele etwa „Cancer Nursing“ oder „Acute Community Nursing“ genannt werden. Neu ist außerdem, dass Pflegekräfte des gehobenen Dienstes ab September 2025 Arzneimittel, die von Ärzten verordnet wurden, weiterverordnen können. Die Pflegefachassistenz wird von der Pflegeassistenz entkoppelt und künftig als eigenständiger Pflegassistenzberuf dargestellt. Weitere Erleichterungen wird es für ausländische Pflegekräfte geben.

Grund für die Überweisung der zusätzlichen Mittel an das AMS ist die geplante Ausweitung des Pflegestipendiums auf tertiäre Ausbildungen. Gemäß den Erläuterungen zum Gesetzentwurf ist geplant, ab September auch Pflege-Ausbildungen an Fachhochschulen in das Pflegestipendium mit einzubeziehen.

ÖVP und Grüne begrüßen „drittes Pflegpaket“  

Erfreut über das nunmehr „dritte Pflegepaket“ äußerten sich Bedrana Ribo (Grüne), Ernst Gödl (ÖVP) und Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP). So bezeichnete Ribo die Ausweitung des Pflegstipendiums auf den tertiären Bereich ab September 2024 als großen und wichtigen Schritt für den Pflegeberuf. „Natürlich“ gebe es im Bereich der Pflege noch viel zu tun, meinte sie, schließlich habe man in fünf Jahren die Versäumnisse von 30 Jahren nicht aufholen können. Die Regierungsparteien hätten in den letzten Jahren aber „ein gutes Fundament gelegt“, an dem es weiterzuarbeiten gelte.

Auch Abgeordnete Scheucher-Pichler zeigte sich überzeugt, dass in den letzten Jahren im Pflegebereich mehr gemacht worden sei als in den letzten 30 Jahren davor. Insgesamt wurden ihr zufolge 38 Maßnahmen umgesetzt, nun kämen fünf weitere dazu. Besonders begrüßte sie in diesem Zusammenhang etwa, dass eine zentrale Anlaufstelle für Nostrifikationen eingerichtet werden soll und der Österreichische Integrationsfonds für nötige Ergänzungsprüfungen von ausländischen Pflegekräften bis zu 2.500 € zur Verfügung stelle. Pflegende Angehörige würden künftig bereits ab dem 1. Tag Unterstützung für Ersatzpflege erhalten.

ÖVP-Abgeordneter Gödl betonte, dass derzeit so viele Menschen in der Pflege beschäftigt seien wie noch nie zuvor. Auch das Pflegestipendium wirke. Ihm zufolge sind aktuell mehr als 7.000 Menschen im Rahmen des Pflegestipendiums in Ausbildung. Sein Fraktionskollege Rudolf Taschner plädierte dafür, beim Einsatz assistiver Systeme wie „intelligenter Betten“ „groß zu denken“, um Pflegepersonal mehr Zeit für persönliche Ansprache zu geben.

SPÖ warnt vor Privatisierungen im Pflege- und Gesundheitsbereich

Seitens der SPÖ pochte Sozialsprecher Josef Muchitsch darauf, das österreichische Gesundheitssystem „vor Profitgier zu schützen“. Seiner Meinung nach ist es notwendig, den Verkauf von 21 Rehazentren und anderen Gesundheitseinrichtungen der VAMED an einen Investor sofort zu stoppen. ÖVP und Grüne hätten das verhindern müssen, bekräftigte er. Schließlich seien vom Verkauf 9.100 Betten betroffen. Internationale Konzerne würden nur noch solche Versorgungsleistungen anbieten, bei denen man hohe Rendite mache, warnte er. Sollte eine Rückabwicklung des Verkaufs der VAMED-Anteile nicht möglich sein, sieht die SPÖ Gesundheitsminister Johannes Rauch gefordert, Kostenerstattungen nur bei einem breitem Leistungsangebot zu gewähren und Qualitätskontrollen sicherzustellen. „Wir wollen die Bereiche Gesundheit und Pflege nicht privatisieren“, bekräftigte Muchitsch. Zum Abänderungsantrag zum Gesundheits- und Krankenpflegegesetz merkte er an, dieser sei plötzlich „vorbeigeflattert“ und völlig unzureichend.

NEOS und FPÖ kritisieren Vorgangsweise der Koalition

Fiona Fiedler (NEOS) gestand Gesundheitsminister Rauch zu, sich um Verbesserungen im Pflegebereich zu bemühen. Bemühen allein, sei aber nicht gut genug, sagte sie. Konkret kritisierte Fiedler etwa, dass Pflegkräfte aus dem Ausland oft monatelang auf die Anerkennung ihrer Ausbildung im Ausland warten würden.

Seitens der FPÖ hielt Gerhard Kaniak fest, dass seiner Fraktion die Zustimmung zum Gesetzespaket angesichts des Vorgehens der Koalition unmöglich sei, auch wenn er den einen oder anderen Punkt durchaus unterstützen könnte. Mit dem Vorgehen erweise man sowohl dem Parlamentarismus als auch den Angehörigen der Pflegeberufe „einen Bärendienst“, meinte er. Er warf Gesundheitsminister Johannes Rauch überdies vor, Fake News über die FPÖ zu verbreiten.

Rauch selbst nutzte die Debatte dazu, um nochmals die wichtigsten Maßnahmen, die in dieser Legislaturperiode im Bereich der Pflege gesetzt wurden, aufzuzählen, wobei er unter anderem den Gehaltsbonus für Pflegekräfte, die zusätzliche Urlaubswoche, das Pflegestipendium und den Angehörigenbonus nannte. Zudem hob auch er die Kompetenzstelle für Nostrifikationen und die Entlastung pflegender Angehöriger hervor. Mehr Transparenz bei der 24-Stunden-Betreuung will er durch eine Verordnung erreichen: Demnach sollen Agenturen, die in diesem Bereich tätig sind, künftig zu einer Offenlegung der Preisgestaltung verpflichtet sein.

NEOS kritisieren Verbesserungen bei der Unfallrente

Scharfe Kritik an den neuen Bestimmungen für die Versehrtenrente äußerte NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker. Er sieht keinen Grund, die bestehende Gesetzeslage zu ändern, zumal mit der Versehrtenrente ohnehin etwaige Einkommensverluste ersetzt würden. Man erwecke den Eindruck, „dass wir eh genug Geld haben“, sagte Loacker. „Es ist ja schön, wenn diese Menschen Geld bekommen“, aber das müsse auch jemand bezahlen. Ausdrücklich begrüßt wurde die Neuregelung bei der Unfallrente hingegen von SPÖ-Sozialsprecher Muchitsch.

Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2024

Mitverhandelt mit der Gesetzesnovelle wurde das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2024, das in erster Linie rechtliche Klarstellungen und verschiedene technische Änderungen enthält und vom Nationalrat schließlich mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und Grünen angenommen wurde.

Neu ist, dass Pensionsleistungen und andere aus der Sozialversicherung resultierende Leistungen künftig nicht nur wie schon jetzt bei einer Haft im Inland oder in einem anderen EU-Staat, sondern auch in einem Drittstaat ruhen werden. Außerdem sind bei der pensionsrechtlichen Mindestversicherungszeit in Hinkunft auch sämtliche Zeiten einer Pflegekarenz, einer Pflegeteilzeit und einer Begleitung von Kindern zu Rehaaufenthalten als Versicherungsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Weitere Punkte betreffen die vollständige Übernahme der Kosten von Chemo- und Strahlentherapien für BSVG-Versicherte in Härtefällen und die Berücksichtigung der Langzeitversichertenregelung bei der Berechnung der Hinterbliebenenpension.

In der Debatte zeigte Alois Stöger (SPÖ) kein Verständnis dafür, dass es künftig die Zustimmung des Finanzministers zu Bau- oder Sanierungsvorhaben der Sozialversicherungsträger brauche. Das bringe nur Bürokratie und sei aufgrund der Selbstverwaltung auch verfassungswidrig, meinte er. Gerald Loacker (NEOS) nahm eine „Korrektur“ beim sogenannten „Frühstarterbonus“ zum Anlass, diesen insgesamt in Frage zu stellen. Schließlich schlage dieser mit 600 Mio. € bei den Pensionsausgaben zu Buche. Zudem würden sich frühe Erwerbszeiten im Pensionskonto ohnehin rentieren. Hier werde Geld auf Kosten der jungen Leute für Personengruppen ausgegeben, die es nicht bräuchten, ist er überzeugt.

Einhellige Zustimmung zu mehr Befugnissen für Heimhelfer: innen

Einhellig wurde vom Nationalrat die Änderung der Bund-Länder-Vereinbarung zum Berufsbild und zur Ausbildung von Sozialbetreuungsberufen genehmigt. Sie sieht zum einen vor, das Mindestalter für Fach-Sozialbetreuer:innen und für diplomierte Sozialbetreuer:innen auf 18 Jahre herabzusetzen. Zum anderen werden die Befugnisse von Heimhelfer:innen ausgeweitet. Heimhelfer:innen, die das Modul „Unterstützung bei der Basisversorgung“ absolviert haben, werden demnach künftig – auf Anweisung von Gesundheitspersonal – auch Blutdruck, Puls und Temperatur messen sowie bei der Kontrolle des Blutzuckers mittels digitaler Geräte und der Verabreichung von ärztlich verordneten Augen-, Nasen- und Ohrentropfen behilflich sein dürfen. Zu diesem Zweck werden die theoretische und die praktische Ausbildung verlängert. Gleichzeitig kommt es bei der Grundausbildung von Heimhelfer:innen zu Verschiebungen zwischen einzelnen Ausbildungsinhalten.

In Kraft treten sollen die neuen Bestimmungen mit 1. Jänner 2025, sofern zumindest fünf Länder bis dahin das landesgesetzliche Genehmigungsverfahren abgeschlossen haben.

Markus Koza (Grüne) erwartet sich, dass die vorgesehenen Maßnahmen dazu beitragen werden, dem bestehenden Personalmangel entgegenzuwirken. Es handle sich zwar um kleine, aber wichtige Schritte, betonte Michael Hammer (ÖVP).

Fiona Fiedler (NEOS) verwies darauf, dass für viele der Unterschied zwischen Pflege und Sozialbetreuung nicht ersichtlich sei. Dabei würden Sozialbetreuer:innen viel zur Entlastung von Familien beitragen. Die vorliegenden Änderungen bezeichnete sie als „Minischritt“, es brauche weitergehende Verbesserungen.

Berufsbezeichnung „Sozialpädagog:in“

Mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen haben die Abgeordneten das vom Nationalrat im Februar beschlossene Sozialarbeits-Bezeichnungsgesetz nachbessert. Es dient dem Schutz von Berufsbezeichnungen wie Sozialarbeiter oder Sozialpädagogin. Anders als für den Bereich der Sozialarbeit wurden für den Bereich der Sozialpädagogik jedoch keine Übergangsbestimmungen festgelegt. Das wird nun nachgeholt. Zur Führung der Bezeichnung „Sozialpädagoge“ bzw. „Sozialpädagogin“ wird demnach auch berechtigt sein, wer innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes ein auf ein nicht einschlägiges Grundstudium aufbauendes Masterstudium der Sozialpädagogik im Ausmaß von 120 ECTS abschließt.

Christian Drobits (SPÖ) bedauerte, dass es nicht gelungen sei, ein Berufsrecht für Sozialarbeiter:innen zu beschließen. Die Bundesregierung habe auch in diesem Punkt „versagt“ und die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter „alleingelassen“, meinte er. Durch die Pandemie ist ihm zufolge der Bedarf an sozialer Arbeit deutlich gestiegen, in einigen Bundesländern sei Sozialarbeit bereits auf der Liste der Mangelberufe. (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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