Jüdischer Friedhof St. Pölten nach Sanierung übergeben

In Anwesenheit zahlreicher Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Medien und Kultur wurde der sanierte neue jüdische Friedhof in St. Pölten heute an die Stadt St. Pölten für die langfristige Instandhaltung feierlich übergeben.

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien als Eigentümerin des Friedhofs ließ den neuen jüdischen Friedhof St. Pölten nach einem Instandhaltungsübereinkommen mit der Stadt St. Pölten zwischen 2022 und 2024 sanieren. Der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich (Friedhofsfonds) finanzierte die Sanierung mit Bundesmitteln in Höhe von rund 880.000 Euro. Das Land Niederösterreich förderte die Sanierung mit rund 280.000 Euro.

Die Veranstaltung wurde vom Präsidenten der IKG Wien Oskar Deutsch eröffnet. „Ich freue mich sehr, dass der jüdische Friedhof in St. Pölten erfolgreich saniert wurde und heute offiziell an die Stadt St. Pölten zur zukünftigen Pflege übergeben werden kann. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden jüdische Friedhöfe systematisch zerstört und geschändet, als Teil einer breiteren Strategie der Auslöschung jüdischer Gemeinden. Der jüdischen Tradition entsprechend sind Grabstätten bis an das Ende der Tage gedacht. Umso bedeutender ist es für uns, dass der Friedhof nach Jahren des Verfalls wieder in einen würdigen Zustand gebracht werden konnte. Dank des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe und der Unterstützung des Landes Niederösterreich ist es gelungen, an diesem Ort einen Teil unseres österreichisch-jüdischen Kulturerbes zu bewahren, zu sichern und wieder stärker ins Bewusstsein vieler Österreicherinnen und Österreicher zu rücken.

Die Vorständin des Nationalfonds und Friedhofsfonds Hannah Lessing: „Seit der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe vor 14 Jahren errichtet wurde, haben wir gemeinsam schon viel geschafft: Auf 18 jüdischen Friedhöfen konnten wir mit rund 14 Millionen Euro an Bundesmitteln 65 Sanierungsprojekte umsetzen. Es ist wunderbar zu sehen, wie viele Menschen in der Bewahrung dieser Erinnerungsorte zusammenwirken und ein bedeutsames Stück Geschichte vor dem Vergessen retten.

Der Bürgermeister von St. Pölten Matthias Stadler: „Im heurigen Kulturjahr setzt die Landeshauptstadt mit vielen Aktivitäten eine umfangreiche Aufarbeitung der jüdischen Geschichte um. Wir renovieren nicht nur unsere beiden jüdischen Friedhöfe und verpflichten uns für die nächsten Jahrzehnte, diese instand zu halten, sondern haben auch der Ehemaligen Synagoge nach umfangreichen Bauarbeiten neues Leben eingehaucht. In Erinnerung an die finsterste Zeit unserer Geschichte und die Verbrechen der NS-Schreckensherrschaft will unsere Stadt mit diesen Maßnahmen ihrer historischen Verantwortung gerecht werden.

Die Landeshauptfrau von Niederösterreich Johanna Mikl-Leitner: „In Niederösterreich gab es 15 israelitische Kultusgemeinden, so viele wie nirgendwo sonst in Österreich. An diese große Vielfalt des jüdischen Lebens in unserem Bundesland erinnern – bis auf wenige Ausnahmen – heute nur mehr die Friedhöfe. Daher sehe ich es als unsere große Verantwortung und Pflicht an, diese Erinnerung wachzuhalten. Dies wollen wir mit der Unterstützung der Sanierung des jüdischen Friedhofs in St. Pölten sicherstellen und so einen ganz zentralen Teil unseres kulturellen Erbes schützen.

Der Vorsitzende des Kuratoriums des Nationalfonds und des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka: „Jüdische Friedhöfe sind nicht nur Orte der Erinnerung, sondern vor allem bedeutende Zeugnisse österreichischer Geschichte. Es ist unsere historische Verantwortung, diese vor dem Vergessen zu bewahren. Die Sanierung der jüdischen Friedhöfe ist mir, als Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds und des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe ein besonderes Anliegen. Seit Einrichtung des Fonds im Jahr 2010 konnten bereits 13 jüdische Friedhöfe in Österreich erfolgreich instand gesetzt werden. Mit dem dauerhaften Erhalt dieses kulturellen Erbes erfüllt Österreich seine völkerrechtliche Verpflichtung gemäß dem Washingtoner Abkommen und setzt ein klares Zeichen für eine verantwortungsvolle Gedenkkultur. Die Unterstützung seitens des Landes Niederösterreichs bei der Sanierung des jüdischen Friedhofs in St. Pölten und die zukünftige Pflege durch die Stadt zeigen deutlich, dass dies ein gemeinsames Anliegen ist.

Die Instandsetzung erfolgte in drei Teilprojekten in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt und umfasste Baumeister-, Steinmetz-, Schlosser- und gärtnerische Arbeiten. Die Baumeister- und Generalsanierungsarbeiten umfassten die Sanierung der Zeremonienhalle inklusive Dach-, Fassaden-, Fenster,- Tür- und Innenraumsanierung, die Sanierung und Teilerneuerung inklusive Abbrucharbeiten der Einfriedungsmauern und die Erneuerung des Vorplatzes. Die Schlosserarbeiten beinhalteten die Sanierung bestehender Einfriedungen und Eingangstore und der schmiedeeisernen Grabeinzäunungen sowie die Neuherstellung eines Doppelstabzauns. Im Rahmen von Steinmetzarbeiten wurden die statische Sicherung durch Verzapfung und Verbesserung des Unterbaus der Grabanlagen, Reinigungs- und Sicherungsmaßnahmen sowie Terrazzo-Ergänzungen in der Zeremonienhalle vorgenommen. Für die Generalplanung und Bauaufsicht zeichnete Architekt Christoph Kucera vom Atelier THU.GUT verantwortlich.

Aufgrund des großen Altbaumbestandes war die Gartendenkmalpflege ein wesentlicher Bestandteil der Sanierung, insbesondere die Revitalisierung der Alleen und Baumreihen mit der Neupflanzung von 44 Kastanien, die Neugestaltung des Eingangsbereichs sowie die Revitalisierung des Gehölzbestands sowie Gehölzschnitt und -pflege am historischen Baumbestand.

Ein „Haus der Lebenden“ mit bewegter Geschichte

Der im Jahr 1906 gegründete neue, neben dem kommunalen Friedhof an der Karlstettner Straße 3 gelegene jüdische Friedhof in St. Pölten diente der örtlichen jüdischen Gemeinde als Begräbnisstätte, nachdem der alte jüdische Friedhof am heutigen Pernerstorferplatz um 1904 aufgelassen worden war. Während des Nationalsozialismus erlitt der neue jüdische Friedhof schwere Schäden, viele Gräber und Grabsteine wurden zerstört.

1951 ließ die Stadt St. Pölten die noch vorhandenen Grabsteine wieder aufstellen, und 1954 wurde der „arisierte“ Friedhof an die IKG Wien als Rechtsnachfolgerin der IKG St. Pölten restituiert. Auf dem Friedhof findet sich auch ein Grabstein, der an die hier in einem Massengrab bestatteten 228 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter erinnert, die im Mai 1945 von der SS in Hofamt Priel bei Persenbeug erschossen wurden. 2015 wurde mit Unterstützung des Nationalfonds ein Denkmal mit den Namen der Ermordeten errichtet.

Wie viele jüdische Friedhöfe in der Region spiegelt auch der neue jüdische Friedhof in St. Pölten die Geschichte und Kultur der örtlichen jüdischen Gemeinschaft wider. Insgesamt sind hier rund 340 Personen beerdigt, und etwa 188 Grabsteine sind erhalten. Zuletzt wurde der im November 2023 verstorbene und als „letzter Jude von St. Pölten“ bekannt gewordene Arzt Hans Morgenstern auf dem jüdischen Friedhof bestattet.

Ein besonderes Merkmal des Friedhofs ist die repräsentative Zeremonienhalle. In der jüdischen Tradition werden Friedhöfe auch „Häuser der Lebenden“ genannt, darauf hinweisend, dass das irdische Leben zwar ein Ende gefunden hat, nicht aber das seelische. So steht auf der frisch renovierten Fassade des vom St. Pöltner Architekten Rudolf Wondracek entworfenen Gebäudes geschrieben: „Die geboren wurden derer harret der Tod und die da sterben sie erwarten das Leben.“

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