Mit einer breiten Themenpalette beschäftigte sich der heutige EU-Hauptausschuss im Vorfeld einer Sitzung des Europäischen Rats. Bundeskanzler Karl Nehammer und EU-Ministerin Karoline Edtstadler stellten sich den Fragen der Abgeordneten. Neben dem weiterhin beherrschenden Thema des Ukraine-Kriegs stand vor allem das EU-Renaturierungsgesetz bzw. dessen Zustandekommen im Zentrum der Debatte.
Die ÖVP sprach von einem „klaren Rechtsbruch“ durch Klimaschutzministerin Gewesslers, was von SPÖ, Grünen und NEOS unteranderem als „skurril“ gesehen wurde. Die FPÖ forderte in einem Antrag auf Stellungnahme Bundeskanzler Nehammer auf, sich auf europäischer Ebene im Sinne der „Sicherstellung der heimischen Ernährungssouveränität“ für die Rückabwicklung des Renaturierungsgesetzes einzusetzen. Dieser blieb nur mit den Stimmen der FPÖ ebenso in der Minderheit wie ein weiterer Antrag der Freiheitlichen, laut dem sich der Bundeskanzler im Europäischen Rat gegen Ursula von der Leyen als zukünftige EU-Kommissionspräsidentin aussprechen soll. Nehammer betonte seine Unterstützung für von der Leyen. Hinsichtlich des Kriegs im Gaza-Streifen sah er „kein Licht am Horizont“ und warnte abermals vor einem Flächenbrand in der Region.
Ausschussdebatte über Friedenschancen für die Ukraine
Russland versuche weiterhin lediglich Lösungen des Ukraine-Konflikts auf der Grundlage eigener Bedingungen herbeizuführen, erklärte Bundeskanzler Nehammer in seinen einleitenden Worten und verurteilte die vor Kurzem durch die russische Führung verhängten Maßnahmen gegen 81 ausländische Medien „aufs Schärfste“. Die russische Regierung „fürchte“ eine freie Berichterstattung. Gleichzeitig müsse man auch mit Russland im Gespräch bleiben, um die Tür für einen „gerechten und nachhaltigen Frieden“ offen zu halten. Der am 15. Und 16. Juni abgehaltene Friedensgipfel in der Schweiz sei ein wichtiger Schritt in diese Richtung gewesen, konstatierte Nehammer gegenüber Wolfgang Gerstl (ÖVP).
In diesem Zusammenhang müsse auch die Kooperation mit den BRICS-Staaten verstärkt werden, die ebenfalls bei dem Gipfel vertreten waren, wie er Kai Jan Krainer (SPÖ) antwortete. Insbesondere Indien spiele dabei eine zentrale Rolle, da es als großer Waffenabnehmer einen „starken und offenen Kanal“ zu Russland habe, so Nehammer. Österreichs Außenminister habe sich mit seinem indischen Pendant bereits fünf Mal getroffen. Wichtig sei aber auch die Miteinbeziehung afrikanischer Länder, die stark unter den Kriegsfolgen litten, und arabischer Staaten. Die Vereinigten Arabischen Emirate organisierten etwa den Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine, berichtete Nehammer.
Ewa Ernst Dziedsic (Grüne) begrüßte die „klare Positionierung“ Österreichs im Krieg und betonte, dass es auch im Sinne der „deportierten“ ukrainischen Kinder notwendig sei, Kommunikationskanäle zu Russland offen zu halten.
Wo diese offenen Kanäle seien, wollte FPÖ-Abgeordnete Petra Steger wissen. Da Russland bei dem angesprochenen Friedensgipfel in der Schweiz nicht einmal eingeladen gewesen sei, könne es auch keine Fortschritte in Richtung Frieden geben. Auch die mittlerweile 14 Sanktionspakete gegen Russland, die nun begonnenen EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine und der Beschluss der NATO, dass die von ihnen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf russischem Gebiet eingesetzt werden dürfen, wirkten „nicht gerade friedensstiftend“. Viel eher handle es sich um ein „ständiges Drehen in die Eskalationsspirale“, das außerdem gegen die österreichische Neutralität verstoße, so Steger. Ihr Fraktionskollege Harald Stefan zeigte kein Verständnis für das „Entsetzen“ über die russischen Zensurmaßnahmen, da die EU damit begonnen habe, indem sie russische Medien verboten habe. In einem Krieg komme Propaganda von beiden Seiten.
Andreas Minnich (ÖVP), Nikolaus Scherak (NEOS) und Georg Bürstmayr (Grüne) zeigten für diese Haltung kein Verständnis, worauf sich eine hitzige Debatte entspann. Bürstmayr sah die Haltung und Handlungen Österreichs sehr wohl mit der Neutralität vereinbar und bezeichnete die Inhalte des verbotenen russischen Staatsfernsehens als „schlichtweg genozidal“. Bundeskanzler Nehammer sah in dessen Verbot keine Einschränkung des Meinungspluralismus, sondern eine Unterbindung von Desinformation, um Destabilisierungskampagnen zu verhindern. Es brauche laut ihm weiterhin die „volle Unterstützung“ der Ukraine, da jedes Nachlassen von der russischen Führung als Zeichen der Schwäche gedeutet werden könnte, was wiederum verstärkte Angriffe zur Folge hätte.
Bezüglich der Beitrittsgespräche mit der Ukraine könne der Prozess ebenso wie jener mit Moldawien nur „merit-based“ sein, betonte EU-Ministerin Edtstadler. Die Dynamik des Erweiterungsprozesses müsse aufrecht erhalten werden.
Renaturierungsgesetz: ÖVP spricht von „klarem Rechtsbruch“
Auch das gegen den Willen der ÖVP und der Bundesländer auf EU-Ebene beschlossene Renaturierungsgesetz wurde von den Abgeordneten thematisiert. Laut Wolfgang Gerstl (ÖVP) habe Klimaschutz-Ministerin Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung in zweierlei Hinsicht bewusst gegen die Verfassung verstoßen: Einerseits indem sie die Zuständigkeit des Landwirtschaftsministers Norbert Totschnig und andererseits die einheitliche Stellungnahme der Bundesländer nicht berücksichtigt habe. Auch Gregor Strasser (ÖVP) sprach dahingehend von einem „klaren Rechtsbruch“. Dessen folgen würden noch sichtbar werden, wenn etwa Lebenserhaltungskosten wieder anstiegen oder der Bau von Anlagen für die Gewinnung erneuerbarer Energien deutlich erschwert würde. Ideologie vor Recht zu stellen, sei mit der Verfassung nicht vereinbar, ergänzte Andreas Minnich (ÖVP)
Katharina Kucharowits (SPÖ) sprach in diesem Zusammenhang von einer „durchschaubaren Strategie“ der ÖVP, Michel Reimon (Grüne) ironisch von „Werbung“ für Gewessler und Nikolaus Scherak (NEOS) empfand es als „skurril“, dass die Volkspartei das fehlende Einvernehmen mit Totschnig ins Treffen führte. Die ÖVP habe in agrarpolitischen Fragen oft gleich gehandelt wie Gewessler.
EU-Ministerin Edtstadler widersprach dieser Argumentation, da Totschnig die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt habe und der Fall damit anders geartet gewesen sei. Gewessler wäre an die Stellungnahe der Bundesländer gebunden gewesen. Zudem habe Bundeskanzler Nehammer bei der EU hinterlegt, dass Gewessler keine Befugnis für eine Zustimmung zum Renaturierungsgesetz habe. Daher sei eine Nichtigkeitsklage beim EuGH gerechtfertigt, so Edtstadler. Das werde aber noch dauern, da diese erst eingebracht werden könne, wenn das Gesetz kundgemacht wurde.
Petra Steger (FPÖ) sah die Zustimmung Gewesslers zum Renaturierungsgesetz als „Verrat an der österreichischen Versorgungssicherheit“. Die ÖVP würde nur noch an der Koalition mit den Grünen festhalten, da sie noch „Posten zu besetzen“ habe und die Koalitionsparteien seien die „Totengräber der heimischen Landwirtschaft“.
EU-Personalpaket: Klarheit bis Mitte Juli
Für die kommende Neubesetzung von Spitzenpositionen der EU, wie etwa der/des Kommissionspräsident:in interessierten sich Katharina Kucharowits, Kai Jan Krainer (beide SPÖ), Petra Steger (FPÖ) und Michel Reimon (Grüne). Bundeskanzler Nehammer wollte der Entscheidung des EU-Rates nicht vorgreifen. Es werde jedoch eine rasche Einigung angestrebt. Er zeigte sich zuversichtlich, dass mit 1. November 2024 das geplante Antrittsdatum der Kommission eingehalten werden kann. Verhandlungsteams aller Fraktionen im EU-Parlament würden gerade über die Besetzung der Positionen beraten, so Nehammer. Bis Mitte Juli solle Klarheit herrschen.
FPÖ-Mandatarin Petra Steger stieß sich vor allem an der avisierten zweiten Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie sei in dieser Position „untragbar“, eine „Zumutung“ und die Zustimmung Österreichs zu ihr bedeute ein „Verrat“ an heimischen Interessen. Steger begründete dies mit Von der Leyens „kompletten Fehlleistungen“ etwa in der Sicherheits- oder der Migrationspolitik. Aufgrund von Ungereimtheiten bei der Beschaffung von COVID-19-Impfdosen werde auch gegen sie ermittelt, zeigte sich Steger empört. Nehammer sprach hingegen seine Unterstützung für Von der Leyen aus, die sich mit „offenem Visier“ der EU-Wahl als Spitzenkandidatin gestellt habe und unter anderem die Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit, die auch Nehammer ein großes Anliegen sei, in den Vordergrund gestellt habe. Insofern sei es für ihn „keine große inhaltliche Herausforderung“ sich für sie auszusprechen.
Naher Osten: „Kein Licht am Horizont“
Da sich die Hamas insbesondere bei der Befreiung der Geiseln weigere zu kooperieren, sah Bundeskanzler Nehammer „kein Licht am Horizont“ bezüglich des Kriegs im Gaza-Streifen, für den sich Kai Jan Krainer, Muna Duzdar (beide SPÖ) und Michel Reimon (Grüne) interessierten. Die Terrororganisation missbrauche das Elend der Palästinenser:innen und auch der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah spitze sich zu. Es reiche ein Funken, um das „Pulverfass zum Explodieren zu bringen“ so Nehammer. Ein „Flächenbrand“ in der Region könne nicht zuletzt aufgrund der daraus entstehenden Fluchtbewegung auch schwerwiegende Auswirkungen auf Österreich und die EU haben. Die „einseitige“ Anerkennung eines palästinensischen Staates, wie sie von manchen EU-Staaten betrieben worden sei, hielt Nehammer für kontraproduktiv, da diese nur zu einer Verhärtung der Fronten führe. Eine Zweistaatenlösung sei jedoch auf lange Sicht die einzige Option für ein friedliches Zusammenleben.
Der Kritik Duzdars, Nehammer würde einseitig Stellung für die israelische Regierung beziehen, hielt dieser entgegen, dass die Hamas den Krieg jederzeit mit ihrer Kapitulation beenden könne. Man sei seit dem Angriff am 7. Oktober 2023 klar auf der Seite Israels gestanden und habe gleichzeitig die Wahrung des humanitären Völkerrechts eingemahnt. Die Hamas erschwere dessen Einhaltung jedoch, da sie sich hinter der Zivilbevölkerung verstecke. Ebenso gebe es „keine Toleranz“ Österreichs für die Gewalt extremistischer israelischer Siedler.
Weitere Themen im Ausschuss waren das EU-Verfahren gegen Ungarn, die Entwicklungen in Georgien, die Migrationspolitik, die EU-Beitrittsperspektive Montenegros, die europäische Verteidigungsindustrie und der Umgang mit Desinformation. (Schluss EU-Hauptausschuss) wit
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