Recht auf Reparatur: Können Europas Hersteller wettbewerbsfähig bleiben?

Das Recht auf Reparatur schützt Verbraucher und könnte „Made in Europe“ wieder zum Qualitätssiegel machen, doch die noch unklare Umsetzung des neuen Gesetzes seitens der EU birgt enorme Risiken eines Wettbewerbsnachteils für europäische Unternehmen.

Wie lange sollte ein Wäschetrockner halten? Was ist mit einem Smartphone? Die Frage nach der Lebensdauer von Produkten ist für die Hersteller zwar nichts Neues, aber die massive Zunahme an komplexen, elektronischen Produkten hat diese Frage verkompliziert. Zahlreiche Länder haben in den letzten Jahren Rechtsvorschriften zu diesem Thema erlassen, doch die Europäische Union setzt mit der neuen Richtlinie zum Recht auf Reparatur, die bisher strengsten Standards. Die im Februar diesen Jahres verabschiedete Direktive umfasst sogenannte weiße Ware, also vor allem Haushaltsgeräte und typische technische Alltagsprodukte wie etwa Smartphones, Tablets, Bildschirme, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Computerserver und vieles aus dem Baumarkt. Der Geltungsbereich dürfte in Zukunft erweitert werden, wenn sich neue Verbrauchertrends abzeichnen, wie beispielsweise Batterien für E-Bikes. „So sollen über einen Zeitraum von 15 Jahren die CO2-Emissionen um 18 Millionen Tonnen reduziert werden“, erklärt Dominik Leisinger, Partner und Managing Director bei Kearney. Neben den positiven Umweltaspekten werde die Richtlinie auch aus Kostensicht für den Verbraucher von Vorteil sein. Den Hochrechnungen der EU-Kommission zufolge soll sie über einen Zeitraum von 15 Jahren rund 176 Millionen Euro einsparen, da sich die Lebensdauer elektronischer Produkte verlängert. Für die jeweils nationale Verabschiedung haben die europäischen Länder nun zwei Jahre Zeit. Unklar ist allerdings noch, wie die EU die Einhaltung des Gesetzes messen und durchsetzen wird – vor allem bei Produkten, die aus dem Nicht-EU-Ausland kommen. Obwohl er das Gesetz für einen guten und notwendigen Fortschritt hält, warnt Leisinger: „Für deutsche und europäische Unternehmen könnte ein enormer Wettbewerbsnachteil entstehen, wenn Importe aus China und anderen Nicht-EU-Staaten nicht entsprechend kontrolliert und kurzfristig sanktioniert würden.“ In der Konsumgüter Industrie seien zwei bis drei Jahre oft ein voller Lebenzyklus einer Produktgeneration, ein Kostennachteil von wenigen Prozentpunkten – basierend auf dem Recht auf Reparatur – kann für einige Produkte bereits zu viel sein und diese aus dem Markt drängen.

Vorsprung für Konzerne, KMUs könnten sich schwertun

Aber nicht nur billige, nicht-konforme Produkte aus dem Ausland, auch der Wettbewerb innerhalb Deutschlands und Europas könnte einige Unternehmen an ihre Grenzen bringen. Denn während die ganz großen Player wie etwa Philips und BSH schon lange Zeit und Ressourcen in die strategische Planung investiert haben, werden mittelgroße und kleinere Hersteller vor größeren Problemen stehen, alle Bestimmungen der EU-Richtlinie umzusetzen. „Wir gehen davon aus, dass bei vielen Unternehmen eine operative Hektik ausbrechen wird, wenn diese merken, dass sie nicht über ausreichend Kapazitäten und Expertise verfügen“, erklärt Leisinger. Denn betroffen seien viele verschiedene Bereiche wie etwa das Produktdesign, der Zugang zu Ersatzteilen, Austausch während der Reparatur und zusätzliche Transparenz für Kunden. In all diesen Bereichen müssen die Unternehmen gründliche Analysen durchführen, die sich sowohl an den Branchenstandards als auch an den Fortschritten der Wettbewerber orientiert.

Reparaturpflicht sorgt für neue Geschäftsmodelle

Die Richtlinie umfasst klare Bestimmungen zur Reparatur, Wiederverwendung und zum Recycling von Materialien. „Unternehmen müssen mit geringeren Einnahmen aus Ersatzkäufen rechnen, da die Verbraucher dazu angehalten werden, bestehende Produkte zu reparieren. Das bedeutet, dass die gesamten Umsatzprognosen neu bewertet werden müssen“, so Leisinger. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung müssen umgeschichtet werden, und in vielen Fällen wird eine Neukonfiguration der Fertigungsprozesse und -anlagen erforderlich sein. Erschwingliche Ersatzteile zu gewährleisten, erhöht den Aufwand noch weiter, obwohl dies teilweise durch höhere Einnahmen aus deren Verkauf wieder ausgeglichen werden kann. Produkte so zu entwickeln, dass sie einfach und preisgünstig repariert werden können, verursacht zwar Kosten, dient aber auch als Katalysator für Designinnovationen, die mittel- und langfristig finanzielle Vorteile bringen können. Indem sie mehr reparierbare Produkte anbieten und dem Wunsch nach Nachhaltigkeit entsprechen, steigern Unternehmen zudem die Kundenzufriedenheit und vertiefen durch weitere Berührungspunkte die Bindung zur Marke. Der Haushaltsgerätehersteller Miele stellt beispielsweise nicht nur Ersatzteile zur Verfügung, sondern bietet auch kostenlose 3D-Drucker-Bauteilpläne an, mit denen Verbraucher Zubehör drucken können. Geräte „Made in Germany“ könnten im Vergleich zu Produkten aus China oder den USA zu einem neuen Qualitätsstandard werden. Auch Leisinger sieht das Recht auf Reparatur als Chance: „Dadurch, dass viele Produkte aufgrund der neuen Anforderungen besser reparierbar werden, ergeben sich auch neue Möglichkeiten für Geschäftsmodelle.“ Mit den Veränderungen werden seiner Meinung nach effizientere Logistik- und Reparaturnetze einhergehen, die Verbände im Mittelstand werden eine größere Rolle spielen oder es entstehen große Player, die das Thema Reparatur komplett übernehmen. Darüber hinaus wird der Markt für wiederaufbereitete Produkte, also Second-Hand-Ware, in Europa in verschiedenen Produktkategorien rasch zunehmen.

Die wichtigsten Aspekte der Gesetzgebung und Zeitplan

Die Herstellung von Elektronik ist äußerst ressourcenintensiv, und viele der dafür benötigten Elemente wie etwa Konfliktmineralien werden voraussichtlich in den nächsten 100 Jahren erschöpft sein. „Angesichts der großen Mengen solcher Materialien, die bereits in bestehenden Produkten enthalten sind, ist die Verlängerung ihrer Lebensdauer ein wichtiger Faktor in der globalen Ressourcengleichung“, erklärt Leisinger. Darüber hinaus sei die Beschaffung der einzelnen Komponenten aus kritischen Regionen oder knappen Rohstoffen weit schwieriger als in der Vergangenheit. Das erhöht die Bedeutung der Reparaturfähigkeit ihrer Produkte für Hersteller. Ein notwendiger Trend, denn Schätzungen zufolge werden global nur 15 bis 20 Prozent des Elektroschrotts recycelt, in der EU sind es nur weniger als 40 Prozent. „Die Ökodesign-Verordnung von Dezember 2023, schreibt vor, dass Produkte so gebaut sein müssen, dass sie mit gängigen Werkzeugen zerlegt und repariert werden können“, so Leisinger. Zudem schreibt die Richtlinie vor, dass Unternehmen die Garantie für Produkte, die im Rahmen der ursprünglichen Garantie repariert wurden, um weitere 12 Monate verlängern müssen. Die Unternehmen sind außerdem verpflichtet, Ersatzteile zu einem angemessenen Preis anzubieten. Die EU hat im Februar 2024 eine vorläufige Einigung über das Recht auf Reparatur erzielt, die formelle Genehmigung wird bis Juni 2024 erwartet. Nach dem zweijährigen Zeitfenster für die nationale Verabschiedung, würde die Richtlinie 2026 in Kraft treten. „Da sich viele Produkte, die zu diesem Zeitpunkt auf den Markt kommen sollen, bereits in der Entwicklungsphase befinden, ist ein sofortiges Handeln seitens der Unternehmen dringend erforderlich“, so Leisinger abschließend. Zu hoffen bleibe, dass die Durchsetzung seitens der EU und der Länder zeitnah geklärt wird, um einen Wettbewerbsnachteil zu verhindern und den Unternehmen die nötige Planungssicherheit zu geben.

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