Mehr Awareness für rheumatische Erkrankungen bei Politik, Ärzt:innen und Patient:innen

Knapp 300.000 Personen in Österreich leiden an einer entzündlichen rheumatischen Erkrankung. „Rheuma ist ein Überbegriff für über 400 verschiedene Erkrankungen, hinter denen sich viele Ursachen verbergen können“, erklärte Assoc. Prof.in Dr.in Helga Lechner-Radner von der Abteilung für Rheumatologie am AKH-Wien und Leiterin der Sektion Wissenschaft der ÖGR im Rahmen einer Pressekonferenz dieser Fachgesellschaft. Rheuma ist nicht nur eine Gelenkerkrankung älterer Menschen, sondern eine entzündliche Systemerkrankung, die in jedem Lebensalter auftreten kann. Je nach Art kann sie verschiedene lebenswichtige Organe wie Herz, Lunge oder Niere betreffen und diese auch irreversibel zerstören. Weiters kann es durch diesen chronischen Entzündungsprozess zu weitreichenden Folgen wie einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte (bei Patient:innen mit rheumatoider Arthritis bis zu 63% höher als in der Vergleichspopulation), Schlaganfälle oder Krebserkrankungen kommen. Frühe Diagnose und adäquate Behandlung sind daher unerlässlich, um die Belastung für den einzelnen Patienten, als auch für die Gesellschaft im Allgemeinen, zu verringen, so Lechner-Radner.

Rheuma kann Menschen mitten im Leben treffen

Rheumatische Erkrankungen gehen für Betroffene mit Schmerzen, Einschränkungen der Lebensqualität, Behinderung, Arbeitsunfähigkeit oder Einkommensverlusten einher. Eindrucksvoll schilderte Ariane Schrauf, wie die Diagnose „Diffuse systemische Sklerodermie“, eine seltene rheumatische Erkrankung, ihren Alltag als berufstätige alleinerziehenden Mutter verändert hat und welche Einschränkungen und Hürden dadurch in der Bewältigung von Alltagssituationen auftreten. Ihr Weg bis zur richtigen Diagnose (damals 41 Jahre alt) und Therapieeinleitung war hürdenreich und sowohl physisch als auf psychisch sehr belastend, da die Erkrankung derzeit noch nicht heilbar ist. Sie sprach jedoch sehr gut auf die Therapie an, wodurch sich ihre Lebensqualität rasch und deutlich verbesserte. Darüber hinaus ließ sich die Burgenländerin von ihrer Erkrankung nicht unterkriegen: „Ich wollte aktiv etwas gegen meine Bewegungseinschränkungen tun, so bin ich aufs Radfahren gekommen.“ Radsport ist für sie ein wichtiges Element der Selbstbestimmung und neben therapeutischen Übungen eine wertvolle Ergänzung ihrer medikamentösen Behandlung geworden. Radfahren bedeutet für mich Freiheit – es gibt mir eine Pause von der Krankheit“, so Schrauf.

Österreich führend in der Rheuma-Forschung in Europa

In den letzten beiden Jahrzehnten ist in der Rheumatologie ein außergewöhnlicher Wissenssprung gelungen. An den Meilensteinen der Forschung sind österreichische Wissenschaftler:innen maßgeblich beteiligt, betonte Univ.-Prof. Dr. Daniel Aletaha, Leiter der Klinischen Abteilung für Rheumatologie am AKH-Wien und Präsident der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR). So stammen beispielsweise wegweisende und international angewandte Richtlinien zu Diagnostik und Management von bestimmten rheumatischen Erkrankungen aus österreichischer Feder. Auch können durch österreichische Arbeiten zum Thema Früherkennung und rechtzeitiger Behandlung Erkrankungen rascher erkannt und behandelt werden und somit irreversible Schäden für den Patienten abgewandt werden. „Da können wir sehr stolz sein“, so Aletaha. Als Ausdruck dieser internationalen Kompetenz stellt Österreich bereits zum zweiten Mal in der Geschichte den Präsidenten der EULAR und darf den jährlichen Kongress nach fast 20 Jahren wieder in Wien austragen.

Zukunft der Rheumatologie: Gute rheumatologische Versorgung auch künftig sicherstellen

Rheumatische Erkrankungen und ihre „unmet needs“ stehen zunehmend im Fokus der europäischen Gesundheitspolitik. „Der krankheitsbedingte Produktivitätsverlust ist enorm: Ein Drittel alle Patient:innen mit Rheumatoider Arthritis ist nach 5 Jahren nicht mehr im Berufsleben“, sagte Priv.-Doz.in Dr.in Valerie Nell-Duxneuner, Präsidentin der ÖGR. Rheumatische Erkrankungen sind in Österreich der häufigste Grund für Krankenstand und der zweithäufigste Grund für Frühpensionierungen. „Die Versorgung in Österreich passiert auf einem sehr hohen fachlichen Niveau. Wir haben international renommierte Wissenschafter:innen, der Sprung in der Forschung erlaubt ein breites Behandlungsspektrum und modernste Therapien.“ erklärte Nell-Duxneuner. Darüber hinaus hat Österreich ein solidarisches System – jeder und jede Betroffene erhält Zugang zu diesen Therapien – unabhängig von Alter, Wohnort oder sozialem Status. Damit das weiterhin gewährleistet ist, brauche es auch in Zukunft genug Rheumatolog:innen sowohl im Krankenhaus als auch im niedergelassenen Bereich.

Derzeit stehen für die rund 300 000 Rheuma-Patient:innen nur knapp 300 Rheumatolog:innen zur Verfügung. Eine Umfrage der ÖGR zeigt zudem, dass in den nächsten 10 Jahren 40% der Rheuma-Spezialist:innen in Pension gehen werden. Hierauf sollte in der Bedarfsplanung unbedingt geachtet werden. „Wir müssen der Rheumatologie schon in der Universitären Lehre mehr Platz geben. Nur so können die bereits angesprochenen wissenschaftlichen Errungenschaften in Diagnostik und Therapie auch in den klinischen Alltag gebracht werden und so den Patient:innen in Österreich zukommen“, so Nell-Duxneuner.

Dank der exzellenten österreichischen Forschung steht ein großes Portfolio hochwirksamer Medikamente zur Verfügung. Vor allem die Erkenntnis der Notwendigkeit eines eher frühen Einsatzes der Therapie ist für den Krankheitsverlauf wesentlich.Für die Früherkennung und die frühe Therapie braucht es mehr Awareness für Rheumatologische Erkrankungen und genug und gut ausgebildete Rheumatolog:innen“, betonte Nell-Duxneuner. 

Drei-Punkte-Plan der ÖGR

Für die Früherkennung und die komplexe Therapie rheumatologischer Erkrankungen braucht es auch in der Zukunft genug und gut ausgebildete Rheumatolog:innen! Um das zu erreichen, hat die ÖGR einen Drei-Punkte-Plan formuliert:

  1. Nachwuchsförderung und Wissenschaft: Die ÖGR organisiert sehr erfolgreich eigene Summer Schools und Fortbildungen, um junge Kolleg:innen für die Rheumatologie zu begeistern und sie hat den jungen Rheumatolog:innen eine eigene Stimme im Vorstand gegeben (JÖGR). Dennoch:
    * Rheumatologie sollte in der Ausbildung an den Universitäten eine größere Rolle einnehmen.
    * Um unabhängige Forschung auf Spitzenniveau zu betreiben, ist die Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel essenziell.
     
  2. Adäquate Bedarfsplanung und richtiger Einsatz der Rheumatolog:innen in der Versorgung: Medizin wird ambulanter, die Krankenhausaufenthalte rheumatologischer Erkrankungen gehen zurück. Die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Bereich muss intensiver werden:
    * Wichtig wären flexible Vertragsmodelle, um sowohl das Arbeiten im Krankenhaus als auch im niedergelassenen Bereich zu attraktiveren.
    * Im niedergelassenen Bereich ist ein österreichweit einheitlicher Leistungskatalog notwendig, damit rheumatologische Leistungen überall abgebildet werden.
    * Zusammenarbeit wie in Gruppenpraxen oder Zentren sollte forciert werden: Teamarbeit und der Austausch mit Kolleg:innen ist in einem komplexen Feld wie der Rheumatologie entscheidend.
     
  3. Rheuma-Fachassistenz: Gesundheitsberufe mit rheumatologischer Spezialausbildung können einen wesentlichen Beitrag in der interdisziplinären Betreuung Betroffener leisten.
    * Die Rheuma-Fachassistenz wird zur fachspezifischen Entlastung der Fachärzt:innen in der Versorgung der Patient:innen eingesetzt. Nicht zuletzt wird die Etablierung der Rheuma-Fachassistenz von Patientenorganisationen dringend gefordert.

Einen aktuellen Überblick über die Versorgungslage, Wissenschaft und Patienteneinbindung sowie Fakten und Hintergründe bietet der Österreichische Rheumatologie-Report 2023 der ÖGR.

Weitere Bilder in der APA-Fotogalerie.

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