Österreichs Handel in Zahlen: Haushaltsausgaben 2023 bei 77,2 Mrd. Euro (+2,8%). Leben im Heute schlägt Investitionen in Zukunft

Der Handel ist in Österreich einer der größten Wirtschaftssektoren und mit 709.000 Beschäftigten größter Arbeitgeber des Landes. Der private Konsum trägt rund 50% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Welche Produktgruppen die Privatausgaben im stationären Einzelhandel sowie im Onlinehandel aktuell antreiben und wie sich die Inflation auf das Konsumverhalten auswirkt, zeigen die neue Jahresbilanz „Österreichs Handel in Zahlen“ von Handelsverband und Kreuzer Fischer & Partner sowie die HV-Händlerbefragung Q2/2024.

Wirtschaftliches Comeback 2023 nicht geglückt: reale Haushaltsausgaben um -4,5% gesunken

Wie die detaillierten Zahlen von Kreutzer Fischer & Partner zeigen, ist dem Handel das erhoffte Comeback im Jahr 2023 nicht geglückt. Im Vergleich zum ebenfalls holprigen Jahr 2022 stiegen die einzelhandelsrelevanten Ausgaben der privaten Haushalte (ohne Kfz) im Vorjahr zwar um insgesamt +2,8% (nominell) auf 77,2 Mrd. Euro (2022: 75,1 Mrd. Euro). Real (inflationsbereinigt) blieb die Nachfrage damit aber um -4,5% unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums.

„Im Teuerungsjahr 2023 sahen sich viele Österreicherinnen und Österreicher wegen der hohen Preise für Strom, Treibstoff und Miete dazu gezwungen, bei den Einkäufen zu sparen. Die Zahlen lügen nicht, fast jede einzelne Einzelhandelsbranche musste 2023 ein preisbereinigtes Umsatzminus verkraften, im Branchenschnitt liegen wir bei -4,5 Prozent. Vor allem bei Produkten rund um Haus und Garten, bei Einrichtungsgegenständen, Elektrogeräten setzten die Haushalte den Sparstift an. Auch im Lebensmittelbereich mussten die Supermärkte und Diskonter einen Ausgabenrückgang von real 1,5 Prozent verkraften“, erklärt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will die zentralen Ergebnisse der Studie. „Gleichzeitig ist aber die Kostenbelastung für unsere Betriebe dramatisch gestiegen. In der aktuellen Flaute müssen wir daher die Segel richtig setzen, damit wir dann im Aufschwung durch Anreize Zukunftsinvestitionen und Mehrarbeit leisten können.“

Dienstleistungssektor wächst dynamisch (+9,3%), langfristige Investitionen brechen ein (-5,3%)

Generell ist eine deutliche Verschiebung der Konsumausgaben in Richtung Tourismus und Freizeit zu bemerken. „Das Konsumverhalten hat sich deutlich verlagert, weg vom klassischen Produktkauf hin zu Aktivitäten und Erlebnissen. Während die Investitionen in langlebige Konsumgüter im Vorjahr um 5,3 Prozent regelrecht erodiert sind, stiegen die Ausgaben für Reisen, Freizeit und Mobilität um mehr als 9 Prozent“, bestätigt Studienautor Andreas Kreutzer, Geschäftsführer von Kreutzer Fischer & Partner.

Das spiegelt sich auch im 5-Jahres-Vergleich wider. „Von 2019 bis 2023 hat der stationäre Handel ganze 6,2 Prozent an Haushaltsausgaben eingebüßt. Der Onlinehandel konnte hingegen um fast 23 Prozent zulegen. Über alle Warengruppen und Vertriebskanäle hinweg liegt der österreichische Handel damit inflationsbereinigt noch immer deutlich unter dem Vor-Krisen-Niveau von 2019“, sagt Susanne Eidenberger, Geschäftsführerin von bellaflora.  

eCommerce: Onlinequote erreicht neues Allzeithoch von 12,1% – Temu & Shein als Nutznießer

Dem Onlinehandel – Wachstumskaiser von 2005 bis 2020 – gelingt nach zwei herausfordernden Jahren das Comeback. „Die eCommerce-Ausgaben der österreichischen Privathaushalte sind 2023 um nominell +3,5% auf 9,4 Milliarden Euro angewachsen. Die Onlinequote, also der Anteil des eCommerce an den gesamten Ausgaben im Einzelhandel, steigt damit auf ein neues All-Time-High von 12,1%“, so Andreas Kreutzer.

Somit alles bestens im Onlinehandel? Leider nein! Eine Gegenüberstellung der wachsenden eCommerce-Ausgaben der österreichischen Privathaushalte mit den stark gesunkenen Umsätzen heimischer Onlinehändler – laut Statistik Austria lag die preisbereinigte Umsatzentwicklung 2023 bei -7,5% – zeigt die Misere deutlich auf.

Kaufkraftabfluss: Ausgaben der Österreicher:innen bei Chinashops werden heuer Milliardenmarke knacken

„Die Mehrausgaben der heimischen Konsumenten im Onlinehandel sind gänzlich an Drittstaatenhändler abgeflossen. Insbesondere Plattformen aus Fernost wie Temu oder Shein haben davon profitiert. Wir gehen davon aus, dass die Ausgaben der Österreicher:innen bei chinesischen Onlineshops bis zum Jahresende auf mehr als eine Milliarde Euro ansteigen werden, wenn der enorme Werbedruck und das eklatante Vollzugsdefizit aufrecht bleiben“, ist Handelssprecher Rainer Will überzeugt.

Die Paketlawine rollt: B2C-Zustellungen wachsen um +11,4% auf fast 210 Mio. Pakete

„Der Marktplatz Temu und der Ultra-Fast-Fashion-Anbieter Shein zählen bereits zu den 10 umsatzstärksten Webshops des Landes. Hierzulande hat fast jeder Zweite der unter 27-Jährigen schon bei den beiden chinesischen Onlinediskontern bestellt“, ergänzt Handelsverband-Vizepräsident Norbert W. Scheele.

Interessant ist auch ein Blick auf die Entwicklung des heimischen Paketmarktes. Dieser konnte nach einer Stagnation 2022 im Vorjahr wieder deutlich zulegen, konkret um +11,4% auf fast 210 Millionen Versandpakete im B2C-Bereich (Business-to-Consumer). Dieses Wachstum wird ausschließlich von Fernost-Plattformen wie Temu, Shein & Co angetrieben, die den EU-Markt mit bis zu 35 Großraumfrachtflugzeugen pro Tag penetrieren.

HV-Händlerbefragung: 44% spüren den Wettbewerbsdruck durch Fernost-Marktplätze

Die jüngste Blitzumfrage des Handelsverbandes vom Mai 2024 (n=185) bestätigt die schwierige Lage. So haben laut Eigenauskunft 17% der heimischen Händler Produkte in ihrem Sortiment, die auch von Temu und/oder Shein verkauft werden. 44% spüren den generellen Wettbewerbsdruck durch neue Onlinemarktplätze aus Fernost aufgrund des Regulierungsungleichgewichts, ebenfalls 44% machen sich Sorgen, eigene Kund:innen an dubiose QuickCommerce-Plattformen zu verlieren, die sich nicht an die europäischen Gesetzesvorgaben halten.

HV-Händlerbefragung: Personalmangel – 31% können nicht alle offenen Stellen besetzen

Die Pandemie hat in den letzten 5 Jahren bekanntlich zu einem gravierenden Personalmangel geführt. 31% der heimischen Händler klagen nach wie vor über zu wenige verfügbare Arbeitskräfte und einen deutlichen Rückgang an Bewerbungen. Bundesweit gibt es derzeit rund 10.000 offene Stellen im Handel, die nicht zeitnah besetzt werden können. 

Ausblick im Superwahljahr 2024: Zweckoptimismus mit vielen Herausforderungen 

Für das Gesamtjahr 2024 erwarten 30% der Händler, das Geschäftsjahr mit einem Verlust abschließen. 37% kalkuliert mit einem ausgeglichenen Ergebnis und 33% rechnen mit einem Gewinn. „Auch 2024 gestaltet sich für den Handel herausfordernd, aber wir bleiben zweckoptimistisch. Trotz der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich zumindest die Konsumstimmung zuletzt aufgehellt, auch das Preisniveau normalisiert sich langsam wieder. Das ist der Hoffnungsschimmer, an den wir uns jetzt klammern“, sagt Rainer Will.

Fazit: Handel vor existenziellen Herausforderungen – Regulatoren können mit 3 Maßnahmen gegensteuern

Die neuesten Zahlen von KFP bestätigen die diffizile Situation im Handel, auf die der Handelsverband bereits seit vielen Monaten hinweist. Die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät, gegenzusteuern. Nach der Wahl ist vor der Wahl: Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Kommission sind gefordert, einen wirtschaftlichen Flächenbrand zu verhindern. Der HV empfiehlt drei Maßnahmen.

FORDERUNG 1: Arbeitsmarktreform – Mehr Beschäftigungsanreize & Lohnnebenkosten senken

Der HV setzt sich vehement für eine Arbeitsmarktreform ein. Der Umsetzungsbedarf zeigt sich in fast jedem Betrieb. Wir müssen dem Personalmangel aktiv entgegenwirken. Dafür brauchen wir bessere Rahmenbedingungen. Der Faktor Arbeit wird in Österreich so stark besteuert wie in kaum einem anderen europäischen Land. Bekommen Arbeitnehmer mit einem Bruttomonatsgehalt von 3.000 Euro um 100 Euro mehr netto, kostet das den Betrieb in Summe 215 Euro. 100 Euro landen beim Arbeitnehmer, 115 Euro beansprucht der Staat über Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge für sich.

Mit den letzten beiden KV-Erhöhungen stiegen die Lohnkosten für den Handel um +16%. Damit Beschäftigung leistbar bleibt, ist eine substanzielle Entlastung bei den Lohnnebenkosten erste Priorität. Es gibt einige historisch gewachsene, aber nicht schlüssig erklärbare Lohnnebenkosten-Anteile, die es zu hinterfragen gilt: Warum wird unselbstständige Arbeit mit 0,5% Wohnbauförderungs-Beitrag belastet? Warum finanzieren sich Gemeinden vorwiegend über die Kommunalsteuer (3%), die ebenfalls einseitig unselbstständige Arbeit belastet? Und wieso werden 3,7% Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfond auf die Lohnsumme aufgeschlagen?

„Eine Senkung der Lohnnebenkosten kann ohne Einschnitt in den Sozialstaat erfolgen, etwa durch Veränderung der Finanzierungsbasis für Wohnbauförderung, Familienlastenausgleichsfonds oder Kommunalsteuer. Davon würden alle profitieren. Die Kaufkraft der Kundschaft würde gestärkt, der Konsum angekurbelt, die Beschäftigten besser entlohnt, die Arbeitsbereitschaft steigt, der Handel wird entlastet, und neue Arbeitsplätze werden geschaffen. Arbeit muss sich wieder lohnen – das ist ein Gebot der Fairness für alle Beteiligten“, ist Norbert W. Scheele überzeugt.

FORDERUNG 2: Bürokratieabbau – Gebühren reduzieren

Eine steigende Kostenbelastung (für Miete/Pacht, Personal, Energie, Logistik, Beschaffung, etc) vs. sinkende
Realumsätze – das ist zurzeit die Realität in fast jedem Handelsbetrieb. Hinzu kommt aber noch der Regulierungs-Overkill in Österreich. Laut einer Untersuchung der Europäischen Kommission – dem Retail Restrictiveness Indicator – wird in Europa kaum eine Branche stärker reguliert als der Handel. Und im Ländervergleich unterliegt der Einzelhandel nur in Frankreich noch mehr Regulierungen als in Österreich. Vor allem für KMU-Händler ist der Bürokratiedschungel kaum noch zu durchblicken.

„Wir fordern eine strukturelle Entlastung zur Stärkung der Betriebe und damit zum Erhalt der Stadt- und Ortskerne. Ein wichtiger Punkt ist die Senkung der Mietkosten für den Handel durch die sofortige Abschaffung der Mietvertragsgebühr. Weitere unnötige Regulierungen sollten deutlich zurückgefahren werden“, appelliert Susanne Eidenberger an die Politik.

FORDERUNG 3: Fair Commerce – Vollzug für alle Marktteilnehmer sicherstellen

Kein europäischer Webshop ist in den letzten Jahren ähnlich schnell gewachsen wie die beiden chinesischen Shopping-Apps Shein und Temu. Ermöglicht wird das rasante Wachstum vielfach durch fragwürdige Methoden, ein zahnloses Regulativ und aufgrund eklatanter Vollzugsdefizite. Der HV sieht QuickCommerce-Plattformen aus Drittstaaten aus mehreren Gründen kritisch. Es gibt breitflächig nachgewiesene Problemfälle mit der Produkt-sicherheit, Fake Produkte sowie Falschdeklarationen zur Umgehung von Zollgrenzen. Auch Datenschutzvorgaben werden häufig ignoriert und vielfach gefährliche Produkte verkauft, die mit giftigen Chemikalien belastet sind.

„Unsere Handelsbetriebe werden durch ein Vollzugsdefizit für vogelfrei erklärt, weil der Fernost-Wettbewerb ein unfairer ist, wo europäische Gesetze kaum eine Rolle spielen. Gleichzeitig werden europäische Händler und Wirtschaftstreibende von einem Meer an bürokratischen Regulierungen überzogen. Das Mindeste muss die Herstellung gleicher Spielregeln sein, damit uns nicht zuerst die Wettbewerbsfähigkeit und danach der Wohlstand abhandenkommt. Shein fällt seit April 2024 unter die Regelungen des Digital Services Act, aber auch Temu erfüllt die Voraussetzungen und muss daher von der EU-Kommission schnellstmöglich als ‚Very Large Online Platform‘ (VLOP) klassifiziert werden“, so Rainer Will.

„Es braucht eine faire Besteuerung und eine Abschaffung der 150-Euro-EU-Zollfreigrenze bis spätestens 2026. Alle Anstrengungen müssen in die Unterstützung der 27 nationalen Zollbehörden der EU fließen, damit geltendes Recht auch ab dem Moment vollzogen wird, wo ein Paket die EU-Grenze überschreitet.“

Den vollständigen Pressetext sowie Pressefotos und Videos finden Sie hier.

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