20 Jahre Klagsverband: Expert:innen setzen sich im Parlament für Verbandsklagerecht und Mindestschadenersatz ein

Seit zwei Jahrzehnten setzt sich der Klagsverband für die Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern und für die Weiterentwicklung des Rechts auf Gleichstellung und Antidiskriminierung ein. Auf Einladung von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures wurde dieses Jubiläum zum Anlass genommen, um im Rahmen einer Festveranstaltung im Parlament nicht nur auf die bisher erreichten Fortschritte zurückzublicken, sondern auch über Herausforderungen und notwendige Verbesserungen im Bereich des Diskriminierungsschutzes zu diskutieren.

Zu diesen Fragen äußerten sich die Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft Sandra Konstatzky, die Behindertenanwältin Christine Steger und der Vorstandvorsitzende des Klagsverbands Christopher Frank. Die Leiterin der Rechtsdurchsetzung im Klagsverband, Theresa Hammer, illustrierte anhand von konkreten Fällen die Umsetzung der strategischen Prozessführung im Antidiskriminierungsrecht. Bei einer anschließenden Podiumsdiskussion formulierten Vertreter:innen von sieben der 69 Mitgliederorganisationen des Klagsverbands Forderungen für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft in der Zukunft.

Die Expert:innen sahen noch einigen Handlungsbedarf und traten insbesondere für einen gesetzlichen Mindestschadenersatz ein, einen Rechtsanspruch auf Beseitigung von Diskriminierung sowie die Ausweitung des Verbandsklagerechts.

Bures mahnt gesamtgesellschaftlichen Grundkonsens ein

Es gebe keinen besseren Ort als das österreichische Parlament, um das 20-jährige Jubiläum des Klagsverbands zu begehen, da Antidiskriminierung sehr viel mit Gesetzgebung zu tun habe, zeigte sich Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures überzeugt. Es brauche ihrer Ansicht nach aber vor allem einen gesamtgesellschaftlichen, humanistischen Grundkonsens in dieser Frage sowie eine Bereitschaft dazu, Inklusion wirklich zu leben.

Der Klagsverband als europaweit einzigartige Institution habe seit zwei Jahrzehnten das Recht der Menschen auf Vielfältigkeit im Fokus, betonte Bures. Er stehe immer an der Seite jener, die in den unterschiedlichsten Lebensrealitäten mit Diskriminierung konfrontiert seien. Die vom Klagsverband geführten Musterverfahren würden nicht nur zu mehr Klarheit und Rechtssicherheit in Diskriminierungsfällen führen, sondern hätten durch die Sichtbarmachung der Diskriminierung auch eine wichtige gesellschaftliche Signalwirkung.

Rückblick und Wünsche zum 20-Jahre-Jubiläum

Es gehe nicht nur um erfolgreiche Klagen, sondern auch um Rechtspolitik, betonte der Vorstandsvorsitzende des Klagsverbands Christopher Frank. Konkrete Beispiele dafür seien Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren, das Monitoring der UN-Behindertenrechtskonvention oder die Erstellung der CEDAW-Schattenberichte. Aus seiner Sicht sei die österreichische Antidiskriminierungsgesetzgebung der letzten 20 Jahre keine Erfolgsgeschichte gewesen. Verbesserungen habe es – von kleinen Ausnahmen abgesehen – immer nur dann gegeben, wenn Entscheidungen des EuGH oder EU-Richtlinien es unvermeidlich gemacht haben, gab Frank zu bedenken.

Es sei an der Zeit, die nächsten wichtigen Schritte zu setzen, plädierte auch die Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft Sandra Konstatzky, die im Klagsverband eine Brücke zwischen Zivilgesellschaft und Staat sah. Ihrer Auffassung nach müsse Diskriminierungsschutz endlich in allen Lebensbereichen für alle Diskriminierungsgründe gelten. Von zentraler Bedeutung seien zudem „gute Verbandsklagerechte“, um wirkungsvoll gegen diskriminierende Praktiken vorgehen und um bei den Verursacher:innen von Diskriminierung ansetzen zu können. Ganz aktuelle Richtlinien zu Standards für Gleichbehandlungsstellen würden nun sogar den rechtlichen Rahmen für diese Klagerechte vorgeben, informierte Konstatzky.

Christine Steger, die Behindertenanwältin der Republik Österreich, hob die Wichtigkeit der Rolle des Klagsverbands hervor, der in den letzten 20 Jahren im Bereich der Rechtssetzung „ein paar Pflöcke eingeschlagen“ habe. Sie stimmte aber mit ihren Vorredner:innen überein, dass es einige „Baustellen“ gebe und noch viel zu tun sei. Ein Wunsch von Steger war ein gemeinsames Haus der Menschenrechte, wo intersektional gegen Diskriminierung vorgegangen werden könne.

Erfolge und Herausforderungen strategischer Klagsführung

Seit der Gründung des Klagsverbands sei klar gewesen, dass neben der Informations- und Vernetzungsarbeit vor allem Klagen und gerichtliche Entscheidungen im Mittelpunkt der Tätigkeit stehen müssen, erklärte Theresa Hammer. Idealerweise sollte es sich dabei um Fälle handeln, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben. Die rechtliche Anerkennung einer erlebten Diskriminierung würde für Betroffene viel bedeuten und Gerichtsurteile könnten als mutmachendes Beispiel für andere Betroffene dienen, hob die Co-Geschäftsführerin und Leiterin der Rechtsdurchsetzung im Klagsverband hervor. Bereits existierende Urteile würden zudem künftig den Rechtszugang erleichtern, weil es schon „Vorbild-Judikatur“ gebe, auf die andere Fälle aufbauen könnten. Mittlerweile habe der Klagsverband rund 60 Gerichtsverfahren geführt, informierte sie.

Beispielhaft berichtete Hammer etwa, dass zahlreichen Kindern mit Behinderung aufgrund des Fehlens einer geeigneten persönlichen Assistenz der Besuch einer regulären Schule verwehrt worden sei. Die daraufhin angestrengte erste Verbandsklage nach dem Behindertengleichstellungsgesetz sei erfolgreich gewesen und habe dazu geführt, dass der Bildungsminister die Assistenz für Schüler:innen mit Behinderungen im vergangenen Jahr mit einem Erlass neu geregelt habe. Damit wurde die Basis geschaffen, dass künftig individuell geprüft werden müsse, wer diese Unterstützung benötige.

Dennoch würden noch immer viele Hürden in der Rechtsdurchsetzung bestehen, gab Hammer zu bedenken. So brauche es dringend eine Klagemöglichkeit auf Beseitigung und Unterlassung, um etwa einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Für wichtig erachtete sie auch einen „angemessenen, tatsächlich abschreckenden gesetzlichen Mindestschadenersatz“ sowie eine Lösung für das Problem des Kostenrisikos. Man müsse auch über andere Sanktionsmöglichkeiten nachdenken, regte Hammer an. Schließlich erinnerte sie noch einmal daran, dass es noch immer keinen gesetzlichen Diskriminierungsschutz für alle Menschen in allen Lebensbereichen gebe.

Expert:innen formulieren in Podiumsdiskussion Forderungen

Vertreter:innen von sieben Mitgliedsorganisationen des Klagsverbands tauschten sich anschließend in einer Podiumsdiskussion aus. Gründungsmitglied Martin Ladstätter von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben blickte dabei zurück und nach vorne. Die Ziele bei der Gründung des Klagsverbands seien gewesen, als Organisationen voneinander zu lernen, bessere Rechte zu erwirken und diese auch durchzusetzen. Dass es bei verschiedenen Diskriminierungsgründen unterschiedliche Rechte gebe, müsse sich ändern. Auch Ann-Sophie Otte von HOSI Wien legte dar, dass nach wie vor Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beim Zugang zu Gütern – etwa bei der Wohnungssuche oder beim Eintritt in Gaststätten – nicht vor Diskriminierung geschützt seien. Außerdem brauche es eine präzisere Sprache in den Gesetzestexten.

Rhonda D'Vine von Venib – Verein Nicht-Binär strich die Bedeutung von gegenseitiger Solidarität hervor. Denn es gebe nicht nur eine Diskriminierungsebene. Nichtbinäre Personen seien etwa oft auch von Rassismus betroffen oder hätten eine Behinderung. Daher gelte es, alle Agenden im Blick zu haben, so D'Vine. Auch für Ümmü Türe von der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus ist eine breite Solidarität in der Zivilgesellschaft wichtig. „Nur weil ich von einer Form der Diskriminierung nicht betroffen bin, heißt das nicht, dass sie mich nichts angeht“, betonte sie.

Für Isolde Kafka von der Servicestelle Gleichbehandlung und Antidiskriminierung des Landes Tirol ist es neben einem starken Antidiskriminierungsrecht wichtig, dass bei allen Gesetzen immer darauf geachtet wird, ob dadurch jemand ausgeschlossen wird. Verbesserungen wünschte sie sich unter anderem bei den Ressourcen der Antidiskriminierungsstellen sowie bei der Einheitlichkeit des Systems. Kafka trat zudem für eine Ausweitung des Verbandsklagerechts ein. Der Verein SLIÖ – Selbstbestimmt Leben Österreich hätte im Interesse von Menschen mit Behinderungen noch viele Ideen für Verbandsklagen, legte Bernadette Feuerstein dar. Denn Sensibilisierung sei „schön und gut“, aber weiterbringen würden die Community nur Rechte und ihre Durchsetzung durch Klagen.

Fiorentina Azizi-Hacker von Zara – Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit unterstrich die Forderung nach einem höheren Mindestschadenersatz. Denn nur dann tue es den Täter:innen weh, zu diskriminieren. Sie würden es sich dann in Zukunft genauer überlegen. (Schluss) sue/kar

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments.


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