Um der herrschenden Klima- und Biodiversitätskrise, der drohenden Ressourcenknappheit und dem absehbaren Bevölkerungszuwachs zu begegnen, ist es dringend notwendig, unsere Lebensmittelproduktion, Ernährungssysteme und Essgewohnheiten neu zu denken. Gemeinsam mit namhaften Keynote-Speakern und im Austausch mit Gästen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Kunst sowie Studierenden wurden im großen TÜWI-Hörsaal der BOKU kontroverse Themenfelder wie die Intensivierung der Lebensmittelproduktion versus Nachhaltigkeit, Konsumverhalten versus ressourceneffiziente Lebensmittelherstellung oder Wettbewerb versus Ernährungsgerechtigkeit diskutiert. Bei ihrer mittlerweile dritten Featuring Future Conference – heuer zum Thema „FarmFoodFuture“ – präsentierte sich die BOKU vor rund 600 Konferenzbesucher*innen vor Ort und im Livestream als die Universität für Life Sciences und Nachhaltigkeit.
Rektorin Eva Schulev-Steindl betonte bei der Eröffnung: „Die BOKU University leistet einzigartige Forschung in den Life Sciences und bildet Pionier*innen aus, die eine klimaneutrale, umweltgerechte Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben.“
„Die Frage, wie die rasch wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann, ist relevanter denn je. Darauf die richtigen Antworten zu geben, ist eine gemeinsame Aufgabe. Lösungsansätze müssen von Politik, Wissenschaft, Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden. Die BOKU ist heute der richtige Ort, um diese Themen zu diskutieren,“ hob Robert Pichler vom Österreichischen Raiffeisenverband hervor.
„Es wird massiv auf Forschung und Entwicklung ankommen, um die derzeitigen Herausforderungen zu lösen. Dabei ist es entscheidend das große Ganze zu betrachtet und wir wollen auf der BOKU nachhaltige Lösungen anbieten und mit Partnern von anderen Universitäten und aus der Wirtschaft vorantreiben“, so der Universitätsratsvorsitzende der BOKU, Josef Plank.
Bei seiner Begrüßung betonte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig: „Wir haben eine Vielzahl an Herausforderungen zu stemmen, um Österreich klimafit zu machen. Eine ressourcenschonende, nachhaltige Produktion in der Landwirtschaft ist heute von großer Bedeutung und dafür müssen wir unsere Kulturpflanzen an das veränderte Klima anpassen. Hier ist die Forschung, die an der BOKU durchgeführt wird, unentbehrlich.“
Eröffnungsperformance
Honey & Bunny, das interdisziplinäre Designduo Martin Hablesreiter und Sonja Stummer, thematisierten in ihrer Performance aktuelle Herausforderungen aus einer künstlerischen Perspektive. Bereits während der Eröffnung lag Martin Hablesreiter, der den Boden personifizierte, bis auf das Gesicht komplett bedeckt mit Erde, auf die Gemüse fein säuberlich aufgelegt und sortiert aufgelegt war, im Hörsaal. Auf Aufforderung seiner Partnerin Sonja Stummer, die wenig begeistert vom „schmutzigen“ Boden war, stieg er schließlich aus dem Beet. Gemeinsam setzten sie sich an einen Kaffeetisch, der mit Sachertorte gedeckt war und „Glyphosat“ als Getränk anbot. Dort warnte er eindringlich: „Wir leben in einer Konsumkultur, die die Nachhaltigkeit behindert. Wir müssen unsere Esskultur ändern und neue Ideale festlegen, um nicht gegen die Wand zu laufen.“
Spannende, hochbrisante Themen und renommierte Keynote-Speaker
Welche innovativen Schlüsseltechnologien können zur Landnutzung im Kampf gegen Klimawandel, Hunger und Ernährungskrisen beitragen? Wie lassen sich gesellschaftlich akzeptierte, tierfreundliche Haltungssysteme mit anderen Aspekten der Nachhaltigkeit in Einklang bringen, und in welchem Ausmaß sind Kompromisse unvermeidbar? Ist Ernährungssicherheit mit den zukünftig verfügbaren Pflanzenschutzmitteln noch möglich? Wie wird sich die biotechnologische Produktion von Lebensmitteln im Vergleich zu pflanzlichen und tierischen Rohstoffen entwickeln? Wie kann der Lebensmittelsektor die Klimaziele erreichen und gleichzeitig 10 Milliarden Menschen ernähren? Welchen Beitrag kann die Vermeidung von Lebensmittelabfällen zur Ernährungssicherheit leisten?
Antworten auf diese und weitere drängende Fragen suchten hochkarätige Expert*innen wie der Wissenschaftsjournalist und Diplombauer Timo Küntzle, die Ernährungswissenschaftlerin und Foodtrend-Expertin Hanni Rützler sowie die Soziologin, Journalistin und Autorin Auma Obama. In spannenden Gesprächsrunden und Diskussionen tauschten sie sich mit BOKU-Forscher*innen und dem anwesenden Publikum aus. Durch das Programm führte auch in diesem Jahr wieder die ORF-Journalistin und Moderatorin Barbara Stöckl.
Chemie & Gentechnik: Warum nicht?
In seinem Impulsvortrag stellte Timo Küntzle die Frage, ob man pro Natur sein und sich gesund ernähren kann, während man Pestizide nutzt. Seine Antwort: Chemischer Pflanzenschutz bleibt unverzichtbar, auch im Bio-Anbau. „Wenn Sie einen von Drahtwürmern durchbohrten Erdapfel sehen, beginnt man, die Natur zu hassen“, erklärte Küntzle. Wegen des Drahtwurms müssten oft bis zu 30 Prozent der Ernte aussortiert werden. Pflanzenschutzmittel sollten jedoch sparsam eingesetzt werden, etwa durch erweiterte Fruchtfolgen, Bodengesundheit, präzise Dosierung und resistentere Sorten.
Gesundheitlich sind Pflanzenschutzmittel nur bei Anwendungsfehlern riskant; Rückstände in Lebensmitteln seien unbedenklich. „Jede Verbindung ist giftig, wenn man zu viel davon aufnimmt. Umsichtiger Einsatz ist daher wichtig“, betonte Küntzle.
Er kritisierte die verzerrte öffentliche Meinung zu Gentechnik in Deutschland und Österreich und verwies auf den wissenschaftlichen Konsens, dass gentechnisch veränderte Pflanzen ebenso sicher wie konventionelle seien. Gentechnik, insbesondere CRISPR-Cas, könne die Landwirtschaft nachhaltiger machen, indem sie den Pestizideinsatz verringere und die Widerstandskraft gegen Umweltstress erhöhe. Wissenschaft und Umweltschutz würden die Akzeptanz dieser neuen Techniken erfordern.
Im Anschluss an den Impulsvortrag diskutierten Forscher*innen der BOKU aus verschiedenen Fachbereichen mit Timo Küntzle in einer spannenden Runde: Christian Vogl vom Institut für Ökologischen Landbau, Christine Leeb vom Institut für Nutztierwissenschaften, Hermann Bürstmayr vom Institut für Biotechnologie in der Pflanzenproduktion und Siegrid Steinkellner vom Institut für Pflanzenschutz.
Angebot & Nachfrage. Wer lenkt hier wen?
Hanni Rützler behandelte die Frage: Wer entscheidet, was wir essen – Markt oder Kunde? Sie begann mit der Darstellung der Esskultur unserer Vorfahren und erklärte, dass unsere Gehirnentwicklung durch die Nahrung vorangetrieben wurde. „Wir sind Jäger und Sammler, und die Vielfalt an Nahrungsmitteln hat uns zu Menschen gemacht. Durch das Kochen eröffneten sich zahlreiche Möglichkeiten, was zur Größe unseres Gehirns führte“, so Rützler. Sie betonte die Bedeutung von Food-Trends in Zeiten ständigen Wandels und Krisen. Food Trends würden wichtige Veränderungen aufzeigen und helfen, das Gesamtsystem im Blick zu behalten. In ihrem Beitrag stellte sie aktuelle Dynamiken der Food Trends vor, die unsere Esskultur nachhaltig verändern können. „Food Trends sind Antworten auf Wünsche, Probleme und Sehnsüchte und entstehen meist in Nischen. Der Flexitarier-Trend etwa wird vom Wunsch nach gesunder Ernährung angetrieben. Beim Veganismus geht es meist darum, das Leid der Tiere zu mindern“, erklärte Rützler.
Veganismus und Flexitarier hätten den Trend zu pflanzenbasierten Lebensmitteln vorangetrieben. Dem gegenüber stünden die Vegourmets, die vegetarisch oder vegan ohne Ersatzprodukte leben, und die Real Omnivores, die offen für neue Lösungen wie Insekten, Algen oder Schnecken sind. Abschließend berichtete Rützler über Zero-Waste-Projekte, wie eine österreichische Firma, die Marillenkerne zu Milchalternativen oder Nussaufstrichen verarbeitet.
Auch die darauffolgende Diskussionsrunde mit BOKU-Forscher*innen vertiefte die im Impuls angesprochenen Themen. Klaus Dürrschmid vom Institut für Lebensmittelwissenschaften und Leiter des Sensorik-Labors, Henry Jäger vom Institut für Lebensmitteltechnologie, Gudrun Obersteiner vom Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft und Petra Riefler vom Institut für Marketing und Innovation brachten zusätzliche Einblicke und Perspektiven ein.
Publikumsumfrage: Was essen Sie morgen?
Während des gesamten Vormittags hatte das Publikum die Möglichkeit, per Handy an einer Umfrage des Instituts für Marketing und Innovation der BOKU zum Thema „Was essen Sie morgen?“ teilzunehmen. Dabei konnten sie ihre Meinung zur Akzeptanz von alternativen Nahrungsquellen wie Insekten oder Laborfleisch abgeben. Petra Riefler präsentierte das mit Spannung erwartete Ergebnis: Unter den Top 3 Handlungsoptionen mit der höchsten Umsetzungsbereitschaft befanden sich (bei einer Befragung von 106 Personen):
1.Mehr regional und saisonal essen (jeweils 22%)
2. Gesündere Ernährung (19%)
3. Mehr Lebensmittel aus biologischer Erzeugung konsumieren (18%)
Kalkül & Courage. Wer sitzt mit am Tisch?
Auma Obama hielt schließlich die dritte und abschließende Keynote, in der sie die Bedeutung des ökologischen Anbaus verdeutlichte und die Themen Abfall sowie den raschen Fortschritt der Technologie behandelte. Im Jahr 2010 hatte Obama die Sauti Kuu Foundation mit dem Ziel gegründet, finanziell und sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen im ländlichen Kenia eine Stimme zu verleihen und ihr Leben zum Besseren zu verändern.
Die Kinder lernen, ihr eigenes Essen anzubauen und auf dem Markt zu verkaufen, um ihr Einkommen zu verbessern. Sie sammeln Regenwasser in Regentonnen, lernen effizient mit Holz zu heizen und zu kochen. „Es ist uns sehr wichtig, den Kindern beizubringen, dass Armut keine Entschuldigung ist“, betonte Obama. „Ich sage immer, die Zukunft liegt in Afrika. Wir müssen diesen Kontinent unterstützen, damit wir später etwas zu essen haben. Die jungen Menschen in der Stiftung sind äußerst interessiert und lernbereit. Sie werden Europa in Zukunft unterstützen können.“
Nach diesem Impulsvortrag bot die BOKU erneut ihre Expertise auf: Marianne Penker vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Stefanie Lemke vom Institut für Entwicklungsforschung und Karlheinz Erb vom Institut für Soziale Ökologie. Gast am Podium war auch Charlotte Kottusch, Sprecherin des Ernährungsrats Wien.
Abschließend betonte Christian Obinger, Vizerektor für Forschung und Innovation: „Die Zukunftskonferenz ist von großer Bedeutung, um das, was an der Universität geschieht, in die Gesellschaft zu tragen. Die BOKU leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation und hilft, der Wissenschaftsskepsis in Österreich entgegenzuwirken.“
Zur Fotogalerie: https://www.apa-fotoservice.at/galerie/37066/
Die Zukunftskonferenz der BOKU kann ab sofort nachgesehen werden
Einen ausführlichen Rückblick auf die Featuring Future Conference 2024 „FarmFoodFuture“ können Sie ab Mitte Juni im BOKU-Magazin nachlesen.
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