TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom Mittwoch, 27. Dezember 2023, von Manfred Mitterwachauer: „Zu oft falsch abgebogen“

2024 könnten für die Tiroler Verkehrspolitik wichtige Weichen nachjustiert, wenn nicht gar neu gestellt werden. Wenn da nicht die EU-Wahlen im Juni sowie im Herbst die Nationalratswahl vor der Tür stünden.

Eines zeichnet sich bereits vor dem Jahreswechsel ab: 2023 dürfte kein Rekordjahr werden. Zumindest nicht, was den Lkw-Transitverkehr über den Brenner anbelangt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Das Niveau wird nur unwesentlich unter der 2,5-Millionen-Fahrten-Grenze bleiben. Seit Jahren versucht Tirol im grenzüberschreitenden Schwerverkehr die Stopp-Taste zu drücken. Bis dato vergeblich. Dennoch liegt im anbrechenden 2024er-Jahr ein kleiner Funken Hoffnung, doch den geforderten Umkehrschwung einzuleiten.
   Das System einer buchbaren Autobahn für Lkw (Slot), die Revision der EU-Luftqualitätsrichtlinie, die Umsetzung der EU-Wege­kostenrichtlinie: Läuft alles plangemäß, so stehen 2024 wichtige Entscheidungen für (oder auch gegen) die Tiroler Verkehrspolitik an. Je nachdem, wie die Würfel fallen. Das alles wäre schon ohne nationale wie europäische Urnengänge kein leichtes Unterfangen. Mit der EU-Wahl im Juni und der Nationalratswahl im Herbst stehen Landeshauptmann Anton Mattle (VP) und Verkehrslandesrat René Zumtobel (SP) aber vor einer Herkulesaufgabe.
   Wie viel wert die „Kufsteiner Erklärung“ – also die grundsätzliche Einigung zwischen Tirol, Bayern und Südtirol auf ein Slot-System im Sinne eines digitalen Verkehrsmanagement- und somit Nachfolgesystems zur bisherigen Lkw-Blockabfertigung – ist, wird sich weisen, wenn in den kommenden Monaten das nunmehr fertige Detail-Projekt zwischen den drei Ländern zu verhandeln ist. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorherzusagen, dass Wirtschafts- wie Frächterverbänd­e von München bis Bozen Slot torpedieren werden, was das Zeug hält.
   Ähnlich schwierig wird die Verschärfung der EU-Luftqualitätsrichtlinie. Der am Tisch liegende Vorschlag, die Grenzwerte schrittweise auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zu reduzieren, ist ambitioniert. Und folglich die Gefahr groß, in der Hitze des EU-Wahlkampfes verbrannt zu werden. Auf dem Immissionschutzgesetz-Luft fußt aber nicht nur der Luft-100er in Tirol, sondern auch große Teile des Lkw-Fahrverbotspakets. Rechtlich könnte Österreich der EU vorgreifen und selbst die Luft-Zügel anziehen. Ob dies im Vorlauf der herbstlichen Nationalratswahl gelingt, steht freilich auf einem anderen Blatt Papier. Im Nachlauf könnte Tirol ohnedies (wieder) ein blaues Verkehrswunder drohen.
   Es ist daher kein Bettel- oder gar Verteidigungsbrief, den Mattle und Zumtobel nun nach Brüssel geschickt haben. Tirol will sich vielmehr in Stellung bringen – bevor andere im Windschatten der Wahlen (erneut) gegen Tirol Stellung beziehen. Denn falsch abgebogen ist die nationale wie europäische Verkehrspolitik bereits zu oft.

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