Gepatschferner: Naturschutzverbände fordern Unterschutzstellung größter zusammenhängender Gletscherfläche Österreichs

Der WWF Österreich, der Österreichische Alpenverein, der Deutsche Alpenverein und die Naturfreunde Österreich haben bei der Tiroler Landesregierung die Ausweitung des Ruhegebiets „Ötztaler Alpen“ beantragt. Sie fordern die Unterschutzstellung der größten zusammenhängenden Gletscherfläche Österreichs rund um die Weißseespitze und den oberen Bereich des Gepatschferners. Damit stellen sich die vier Naturschutzverbände klar gegen die bekannt gewordenen Pläne, das Skigebiet Kaunertaler Gletscher auf große Bereiche des Gepatschferners zu erweitern. „Die Ausweisung als Ruhegebiet würde einen verbindlichen Schutz und die langfristige Erhaltung dieses unerschlossenen Naturraumes und der unter Druck stehenden Ökosysteme bedeuten. Die Unterschutzstellung wäre hier der richtige Schritt in Richtung konsequentem Gletscherschutz“, sagen die Vertreter:innen der vier Organisationen.

Zusammen mit dem Kesselwandferner bildet der Gepatschferner die größte zusammenhängende Gletscherfläche Österreichs. Aufgrund der großen unbeeinflussten und zusammenhängenden Fläche ohne Zerschneidungen ist es eines der wenigen Gebiete in den Alpen, die dem Charakter einer Wildnis am nächsten kommen: „Diese großen zusammenhängenden Ökosysteme sind für die teils bedrohten Tier- und Pflanzenarten insbesondere in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise von großer Bedeutung – und werden in Zukunft noch bedeutender sein“, sagt WWF-Programmleiterin Hanna Simons. Die neu eingereichten Pläne zur skitechnischen Erschließung des oberen Gepatschferners nähmen einem international bedeutsamen Tourengebiet die Attraktivität. „Mit dem Brandenburger Haus und der Rauhekopfhütte unterhält der DAV in dem Gebiet seit Ende des 19. Jahrhunderts wichtige alpine Stützpunkte. Diese Pläne würden wortwörtlich Zukunftsperspektiven für einen naturnahen Tourismus verbauen“, ärgert sich DAV-Präsident Roland Stierle.

Neuerschließung würde dauerhaft massive Eingriffe nötig machen
Für die vier Naturschutzverbände ist eine Neuerschließung von Gletscherflächen in der heutigen Zeit nicht vertretbar. „Die Gletscherzungen in Österreich ziehen sich im Schnitt jedes Jahr um 20 bis 30 Meter zurück. Selbst in den allerhöchsten Lagen der Alpen – also dort, wo normalerweise die Gletscher Nachschub in Form von Schnee bekommen und wachsen sollten – nimmt die Dicke der Gletscher ab und die Gletscherflächen sacken ab“, begründet der scheidende Präsident des Österreichischen Alpenvereins, Andreas Ermacora, noch einmal deutlich die Schutzwürdigkeit der Eisflächen. Im Zeitraum von 1999 bis 2019 hat der Gepatschferner über die gesamte Fläche gemittelt 17 Meter an Eismächtigkeit verloren, das entspricht etwa 80 Zentimetern pro Jahr. „Durch die ständigen Landschaftsveränderungen wäre es mit dem Liftbau alleine also nicht getan. Jeden Sommer wären Eingriffe und technische Maßnahmen auf dem Gletscher und in den Randbereichen nötig, um überhaupt eine Pistenpräparierung und Skibetrieb im Winter zu ermöglichen. Dann heißt es Dauerbaustelle statt Naturerlebnis“, erklärt Ermacora.

Fragwürdige Ausnahmeflächen im Hochgebirge – das sogenannte Gletscherschutzprogramm
Seit 1981 sind rund 395 Quadratkilometer der Ötztaler Alpen durch das hochwertige Schutzgebiet „Ruhegebiet Ötztaler Alpen“ grundsätzlich vor technischen Erschließungen geschützt. Ein solches Ruhegebiet hat neben dem Schutz der Natur auch die Erholung in der freien Natur zum Ziel. Infrastrukturelle Erschließungen wie Seilbahnen oder Straßen sind dort grundsätzlich nicht zulässig. Zusätzlich stellt das Tiroler Naturschutzgesetz prinzipiell alle Gletscherflächen unter Schutz und verbietet technische Erschließungen. Die Ausnahme: 2005 lockerte die Tiroler Landesregierung den allgemeinen Gletscherschutz und weist im so genannten „Gletscherschutzprogramm“ Ausnahmeflächen aus, um die Erweiterung von Gletscherskigebieten zu ermöglichen. Die Umwelt- und Alpinverbände fordern mit der Erweiterung des Ruhegebiets auch eine Aufhebung dieser Ausnahmeregelung. „Leider wurde der Schwesterantrag für den Bereich um den Linken Fernerkogel bereits im Frühjahr abgelehnt. Und dies, obwohl die gezielte Unterschutzstellung dieser Flächen derzeit immer noch die einzige Möglichkeit für einen konsequenten Gletscherschutz ist. Eine langfristige Lösung des Problems müsste sonst eine entsprechende Neufassung des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms sein“, sagt Leopold Füreder, der Tiroler Vorsitzende der Naturfreunde Österreich.

Der einzigartige hochalpine Naturraum von rund 3,3 Quadratkilometer Fläche östlich der 3.518 Meter hohen Weißseespitze mitsamt der höchsten Gletscherflächen des Gepatschferners im hinteren Kaunertal ist nach wie vor nicht unter Schutz gestellt. Mehr noch wurde dieser Bereich explizit als Ausnahmefläche für eine mögliche Skigebietserschließung raumplanerisch freigegeben. Und das obwohl direkt angrenzende Bereiche aufgrund einzigartiger naturräumlicher Gegebenheiten europarechtlich und durch die Tiroler Schutzgebietskategorie „Ruhegebiet“ streng geschützt sind. Laut dem Antrag der vier Alpin- und Umweltschutzorganisationen an die Tiroler Landesregierung soll das Gebiet in das direkt angrenzende Ruhegebiet „Ötztaler Alpen“ für einen dauerhaften Schutz integriert werden.

Fotos des Gepatschferners gibt es hier.

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