Nationalrat gibt Startschuss für die umfassende Gesundheitsreform

 Mit der heute nun auch im Nationalrat beschlossenen Gesundheitsreform soll sich vieles für die österreichischen Patient:innen verbessern. Davon waren jedenfalls die beiden Regierungsfraktionen überzeugt, die dem umfassenden Gesetzeswerk mehrheitlich die Zustimmung erteilten. Weniger zufrieden zeigte sich die Opposition, die schon am Vormittag im Rahmen der Aktuellen Stunde zum Thema "Termingarantie statt Zwei-Klassen-Medizin" nicht mit Kritik an der Gesundheitsreform sparte. Es sei aus seiner Sicht ein großer Erfolg, dass jährlich rund eine Milliarde Euro mehr alleine für den Gesundheitssektor bereitgestellt werden, wobei die Vergabe der Mittel erstmals an Reformen geknüpft sei, unterstrich Minister Johannes Rauch. Bei der Umsetzung soll ein Fokus auf der Erweiterung der Angebote im kassenärztlichen Bereich sowie bei den Primärversorgungseinheiten liegen.

Kernstück der Reform ist eine Sammelnovelle ("Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024"), die in zweiter Lesung teilweise auch von der SPÖ mitgetragen wurde, und die Änderungen in insgesamt 13 Rechtsmaterien vornimmt. Im Sinne des Prinzips "digital vor ambulant vor stationär" soll vor allem der niedergelassene Bereich gestärkt werden, was unter anderem durch eine vereinfachte Gründung von Gruppenpraxen, Primärversorgungseinheiten und Ambulatorien und eine Ausweitung des Leistungsangebots auch zu Tagesrandzeiten und an Wochenenden erreicht werden soll. Außerdem ist geplant, die Gesundheitsberatung 1450 auszubauen, eine verpflichtende Diagnosecodierung im niedergelassenen Bereich einzuführen und Wahlärzt:innen zur Anbindung an das ELGA- und e-card-System ab dem Jahr 2026 zu verpflichten. Bisherige Einspruchsmöglichkeiten der Ärztekammer – etwa gegen neue Kassenstellen oder Ambulatorien der Sozialversicherungsträger – sollen entfallen.

Neben dem sogenannten Vereinbarungsumsetzungsgesetz standen auch die 15a-B-VG-Vereinbarung " Zielsteuerung Gesundheit ", die die Eckpunkte und Inhalte der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern festlegt, sowie die 15a-B-VG-Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, die die Umsetzung der für den Gesundheitsbereich relevanten Teile des Finanzausgleichs für die Jahre 2024 bis 2028 abbildet, auf der Tagesordnung. Diese Vorlagen wurden mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen beschlossen. Als miterledigt galten zwei Initiativen der NEOS, in denen es einerseits um die Veröffentlichung bestimmter Qualitätsindikatoren auf Ebene der Krankenhausstandorte und andererseits um die Einrichtung strukturierter Versorgungsprogramme geht. ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS sprachen sich auch dafür aus, die Gesundheitsreform mit Schwerpunkt im ambulanten Bereich bis spätestens 30. Juni 2027 einer Evaluierung zu unterziehen.

Keine Mehrheit fanden die beiden Anträge der Freiheitlichen betreffend " Echte Gesundheitsreform statt Verschlimmbesserung " bzw. betreffend Schaffung zusätzlicher Kassenvertragsstellen für Einzel- und Gruppenpraxen. Auch die SPÖ blieb mit ihrem Anliegen nach wirksamen Maßnahmen gegen den Personalmangel im Pflegebereich sowie mit dem im Laufe der Sitzung eingebrachten Antrag betreffend Umsetzung einer Termingarantie sowie eines Finanzierungspakets für die ÖGK in der Minderheit.

Zusätzlich eine Milliarde pro Jahr für das heimische Gesundheitswesen

Was die finanzielle Seite betrifft, so sollen von 2024 bis 2028 zusätzliche Mittel in das System fließen, um dringend erforderliche strukturelle Weichenstellungen vornehmen zu können. Für den niedergelassenen Bereich sind jährlich 300 Mio. € vorgesehen, also insgesamt 1,5 Mrd. € über die ganze Laufzeit des Finanzausgleichs gerechnet. Der spitalsambulante Bereich erhält allein im Jahr 2024 550 Mio. €. Dieser Betrag erhöht sich schrittweise in den folgenden Jahren, wodurch sich bis 2028 eine Summe von rund 3 Mrd. € ergibt. Wenn man Gesundheit und Pflege gemeinsam betrachtet, dann stellt der Bund zusammen mit den Ländern bis Ende 2028 sogar 14 Mrd. € für die beiden Sektoren bereit, heißt es aus dem Ressort.

Rauch: Reform garantiert qualitativ hochwertige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Österreich

Da eine Finanzierung des Gesundheitswesens aus einer Hand derzeit nicht umsetzbar war, sei ihm als einziger Hebel der Finanzausgleich geblieben, gab Bundesminister Johannes Rauch zu bedenken. Darauf basiere nun eine Reform, die darauf abziele, die bestehenden Defizite anzugehen und die Versorgung der Patient:innen zu verbessern. Kernelemente seien dabei der Ausbau der niedergelassenen Kassenstellen, eine Verbesserung der Verträge und der Arbeitsbedingungen sowie ein einheitlicher Leistungskatalog vom Bodensee bis zum Neusiedlersee. Es sei aus seiner Sicht ein großer Erfolg, dass jährlich rund eine Milliarde Euro mehr alleine für den Gesundheitssektor bereitgestellt werden, wobei die Vergabe der Mittel erstmals an Reformen geknüpft sei. Eine zentrale Rolle komme der Bundeszielsteuerungskommission zu, die in Hinkunft gemeinschaftlich den Einsatz der Gelder verwalte und entsprechend gestalten könne. Bei der Umsetzung der Reform soll ein Fokus auf der Erweiterung der Angebote im kassenärztlichen Bereich sowie bei den Primärversorgungseinheiten liegen, wobei seit der Änderung der rechtlichen Grundlagen und vor allem seit der Beseitigung der Vetomöglichkeit der Ärztekammer ein Gründungsboom eingesetzt habe.

Beim Schwerpunkt Telemedizin setze man auf das Prinzip "digital vor ambulant vor stationär", auf die Erweiterung der Hotline 1450 sowie die verpflichtende Anbindung aller Ärzt:innen an ELGA. Klar sei für ihn, dass damit auch ein Lenkungseffekt eintrete, weil die Menschen dann nicht mehr automatisch ins Spital gehen, sondern am "best point of service" behandelt würden. Es gebe eine Reihe von internationalen Beispiele, die belegen, dass dies gut funktionieren könne. Stellung nahm Rauch auch zum Bewertungsboard, wobei er erneut unterstrich, dass damit vor allem mehr Transparenz geschaffen werden soll. Bisher habe jedes Krankenhaus eigene Verhandlungen mit den Pharmafirmen geführt, die zudem völlig intransparent abgelaufen seien. Außerdem würden nur fachkundige Vertreter:innen aus den Bereichen Humanmedizin und Pharmazie im Gremium sitzen, das nur Empfehlungen aussprechen könne. Die Letztentscheidung bezüglich der Arzneimittel liege weiterhin beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin bzw. beim Spital.

Auch wenn mit der Reform nicht automatisch ein "Heilszustand" eintrete, könne verhindert werden, dass in fünf Jahren Mehrkosten in der Höhe von 7 Mrd. € auf das Gesundheitswesen zugekommen wären, die Qualität der Versorgung gesunken wäre und Leistungseinschränkungen notwendig gewesen wären. Den Freiheitlichen hielt er noch entgegen, dass die frühere Ministerin Hartinger-Klein das Gesundheitsministerium "zugrunde gerichtet" habe. Er gehe aber davon aus, dass nun die "blauen" Regierungsvertreter:innen in den Ländern den Vereinbarungen zustimmen werden, weil sie sonst keine zusätzlichen Mittel erhalten würden.

SPÖ fordert nachhaltige Sicherstellung der Finanzierung der ÖGK und Termingarantie bei Ärzt:innen ein

"Ein Finanzausgleich sei besser als kein Finanzausgleich", leitete der geschäftsführende SPÖ-Klubvorsitzende Philip Kucher seine Bewertung der von der Regierung vorgelegten Gesundheitsreform ein. Nachdem aber schon am Vormittag ausführlich über Eckpunkte der Gesetzesvorhaben gesprochen wurde, richtete Kucher vor allem einen Appell an die anderen Fraktionen, sich gemeinsam für eine gleich gute Versorgung aller Menschen in Österreich einzusetzen. Dieser notwendige Konsens sei leider in den Wortmeldungen der NEOS oder der Freiheitlichen nicht zum Ausdruck gekommen, urteilte er. So sei beispielsweise die Behauptung des Abgeordneten Gerald Loacker (NEOS), wonach das Gesundheitssystem in Österreich "ein Fass ohne Boden" sei, nicht richtig. Wenn man sich nur die öffentlichen Ausgaben genauer anschaue, dann liege Österreich bestenfalls im europäischen Mittelfeld. Mittlerweile würden sich nämlich die privaten Aufwendungen für die Gesundheit auf rund 11 Mrd. € belaufen, hob Kucher hervor. Den Freiheitlichen wiederum warf er "Feigheit" in der Debatte vor, da sie keinen einzigen eigenen Reformvorschlag gemacht hätten. Er führte zudem erneut ins Treffen, dass die unter der FPÖ-Ministerin Hartinger-Klein eingeleitete "Zerschlagung der Kassen" der Sozialversicherung jährlich 200 Mio. € entzogen habe und auch die versprochene Patientenmilliarde bis heute ausgeblieben sei. Man müsse auch bedenken, dass die ÖGK heuer mit einem Minus von 386 Mio. € bilanziere, merkte Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) an.

Grüne: Weitreichendste Gesundheitsreform seit Jahrzehnten

Nach Einschätzung von Klubobfrau Sigrid Maurer (Grüne) ist Minister Rauch "etwas Großartiges" gelungen. Dem Nationalrat liege nämlich "die weitreichendste und tiefgehendste Gesundheitsreform seit Jahrzehnten" vor, was angesichts der aktuellen Situation auch dringend notwendig gewesen sei. Entscheidend sei dabei, dass die Anliegen und Bedürfnisse der Patient:innen in den Mittelpunkt gestellt worden seien, damit sie in Hinkunft etwa rascher Termine bei Fachärzt:innen erhalten. Damit sei gewährleistet, dass sie auf Basis der e-Card und nicht der Kreditkarte behandelt werden. Es werden Primärversorgungszentren ausgebaut sowie neue Kassenarztstellen vor allem in Mangelfächern geschaffen, die zudem schneller besetzt werden können, erläuterte sie. Dafür sei es erforderlich gewesen, altes Machtdenken zu überwinden und die Einspruchsrechte der Ärztekammer abzuschaffen. Außerdem sollen die geplanten Strukturreformen dazu dienen, die Spitäler deutlich zu entlasten. Durch eine Vereinheitlichung und Modernisierung des Gesamtvertrags sollen zudem faire Arbeitsbedingungen für alle Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, gewährleistet werden.

Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen, erinnerte daran, dass mit der Novellierung des Primärversorgungsgesetzes sowie dem Beschluss der Budgetbegleitgesetze bereits zwei wichtige Schritte unternommen worden seien. Die heute zur Debatte stehende Gesundheitsreform sei nun der dritte große Baustein einer Reform, mit der "gute, neue und innovative Wege" begangen würden. Durch den Ausbau der Digitalisierung soll etwa ELGA zukunftsfit gemacht und die Diagnosec­­odierung eingeführt werden. Schallmeiner unterstrich, dass der Einsatz der zusätzlichen Mittel an Reformschritte gebunden sei, wodurch beispielsweise eine geeignete Versorgung von ME/CFS-Patient:innen realisiert werde könne.

ÖVP: Bis 2028 werden zusätzlich 14 Mrd. € in das Gesundheitssystem investiert

ÖVP-Gesundheitssprecher Josef Smolle sprach von einem "ganz großen Wurf", zumal in den nächsten fünf Jahren insgesamt zusätzlich 14 Mrd. € in das Gesundheitssystem fließen sollen. Die ÖGK bekomme dadurch nun die Chance, einen österreichweit einheitlichen Kassenvertrag auf ärztlicher Ebene abzuschließen, damit vom Neusiedlersee bis zum Bodensee die gleichen Leistungen angeboten werden können. Es wurde gesetzlich ausdrücklich festgelegt, dass der Einrichtung von Einzelordinationen, Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten der Vorzug gegenüber Ambulatorien zu geben sei. Jene drei Milliarden Euro, die an die Länder gehen, werden nicht einfach zum "Löcherstopfen" in den Spitälern verwendet, betonte Smolle, sondern deren Verwendung sei mit klaren Zielen verbunden. Im Fokus stehe dabei die Verlagerung der Leistungen vom vollstationären Bereich in den ambulanten Sektor, was auch von den Patient:innen gewünscht werde. Gleichzeitig komme es zu einer "gewissen Entflechtung der Entscheidungsstrukturen", was sich auch schon bei der letzten Novelle zum Primärversorgungsgesetz bewährt habe. Wichtig sei dabei, dass die zusätzlichen Kassenstellen dort etabliert werden, wo sie auch nötig seien, hob Juliane Bogner-Strauß (ÖVP)  hervor, denn es brauche die "richtige Versorgung, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort". Froh sei sie über die weitere Förderung der Digitalisierung im Gesundheitswesen, insbesondere die Erweiterung der Hotline 1450, die in Hinkunft auch für Terminvereinbarungen genutzt werden soll.

FPÖ übt vernichtende Kritik an der Reform

FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak blieb bei seinem Standpunkt, wonach die Ausschüttung von "unglaublich viel Geld" nicht automatisch zu einer "unglaublich guten Reform" führen würde. Im vorliegenden Fall sei seiner Meinung nach sogar das Gegenteil der Fall, was anhand von vielen Beispielen untermauert werden könne. Kritisch beurteilte Kaniak vor allem, dass zwei Drittel der Gelder wieder in den intramuralen Bereich fließen würden und dass damit genau jene Bereiche finanziert werden sollen (z.B. Schmerzversorgung, Diabetikerbetreuung), die man eigentlich in den niedergelassenen Bereich transferieren müsste. Überdies könnten 50 % der insgesamt 600 Mio. € für die Deckung der Abgänge verwendet werden. Was das umstrittene Bewertungsboard für hochpreisige und spezialisierte Arzneimittel angeht, so werde damit ein vollkommen überflüssiges Instrumentarium geschaffen, das mit fünf- bis zehnmonatiger Verspätung und unter rein ökonomischen Gesichtspunkten über die Sinnhaftigkeit von Therapien entscheiden soll. Wenig Sinn würden auch die Pläne für den niedergelassenen Bereich machen, da die zusätzlichen Kassenarztstellen wohl kaum besetzt werden könnten, urteilte Kaniak, der auch das "Subventionsmodell" für den Startbonus ablehnte. Die eingeschlagenen Wege seien aus seiner Sicht "komplett falsch", die Reform daher "ein Griff ins Klo". Damit wurde eine weitere Chance vertan, bedauerte FPÖ-Mandatar Abgeordneter Peter Wurm, denn das Gesundheitssystem in Österreich sei mittlerweile "unterm Hund". Sein Fraktionskollege Gerald Hauser war der Meinung, dass vor allem seit Corona nichts mehr funktioniere. Er forderte erneut, dass die Fehler, die während der Pandemie gemacht wurden, aufgearbeitet werden müssen.

NEOS sehen keine "echte" Reform und üben Kritik an der Geldverteilung sowie am Bewertungsboard

Die Tatsache, dass Rauch der erste Minister in den letzten zehn Jahren sei, der nicht alle Wünsche der Ärztekammer erfülle, verdiene ein Lob, konstatierte Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS). Von der größten Gesundheitsreform aller Zeiten könne dennoch keine Rede sein, da es etwa zu keiner Lenkung der Patient:innenströme komme. Stattdessen würden den Ländern und somit den Spitalsbetreibern noch mehr Geld "hinübergeschoben". Fehlen würde erneut auch eine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Krankenhausqualitätskriterien, wie dies in anderen Ländern seit Jahren üblich sei, kam Loacker auf die Forderung eines Entschließungsantrags seiner Fraktion zu sprechen. Während etwa in der Schweiz die Bevölkerung Zugang zu Informationen habe, in welchen Spitälern die beste Behandlungsqualität geboten werde, gebe es in Österreich noch immer keine transparente Darstellung. Kritik übte Loacker auch an der Umsetzung des neuen Bewertungsboards. In diesem Gremium würden nämlich "21 Bürokrat:innen" aus Bund, Ländern und Sozialversicherung sowie drei Personen mit wissenschaftlicher Expertise sitzen. Dazu komme noch ein Vertreter bzw. eine Vertreterin der Patient:innen, die aber kein Stimmrecht hätten. Er befürchtete, dass die Betroffenen dadurch abermals auf den Rechtsweg verwiesen würden. (Fortsetzung Nationalrat) sue

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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