TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Letzten Endes überschießend“, von Michael Sprenger

Der Aktionismus der „Letzten Generation“ kann kritisiert werden; er ist für Autofahrer, die im Stau stehen,
lästig und vieles mehr. Doch sie als eine kriminelle Vereinigung abzustempeln, ist einer Demokratie unwürdig.

Sie wollen wachrütteln. Mit ihrem Aktionismus nerven sie allenthalben, ärgern jene Autofahrer, die im Stau stehen. Doch die Mitglieder der „Letzten Generation“ lassen sich davon nicht beirren. Sie kleben sich immer wieder auf Straßen fest. Immer wieder, immer öfter.

Und warum greifen sie zu solchen Methoden? Weil sie glauben und davon überzeugt sind, dass mit einer bloßen Unterschriftenaktion kein Umdenken erzielt werden kann. Die zumeist jugendlichen Aktivistinnen und Aktivisten wollen sich mit politischen Sonntagsreden nicht abspeisen lassen. Sie können sich zudem auf die Expertise zahlreicher namhafter Wissenschafter berufen, die uns immer wieder davon in Kenntnis setzen, welche Zukunft kommende Generationen auf dem Planeten erwartet. Der Klimawandel schreitet unaufhaltsam voran. Nicht einmal wir, die wir uns ärgern über die Straßenaktionen, stellen den von Menschenhand verursachten  Klimawandel in Abrede. Zumindest ein Großteil der Bevölkerung. Das einst in Paris ausgegebene 1,5-Grad-Ziel wird wohl nicht erreicht werden.

Trotzdem passiert nichts oder sehr wenig. Doch, es passiert schon etwas. Gegen die lästigen Klimakleber, die ihren gewaltlosen Widerstand nicht aufgeben wollen, wird jetzt mit härteren Bandagen vorgegangen. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt nun gegen Mitglieder der Klimaschutzgruppe wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und die Kanzlerpartei, von Karl Nehammer abwärts, zeigt sich erfreut. Man muss sich dies vor Augen führen: Da erklärt uns der Staatsschutz noch im Oktober, dass die Mitglieder der „Letzten Generation“ in Österreich ganz „eindeutig nicht extremistisch“ sind, und jetzt wird gegen einzelne Mitglieder wegen des „Mafia-Paragrafen“ ermittelt. 

Ist es wirklich klug, mit dem Strafrecht gegen Klimaschützer vorzugehen? Natürlich obliegt es der Justiz, nicht dem Bundeskanzler, auch nicht einem Wissenschafter, zu befinden, ob Mitglieder der „Letzten Generation“ tatsächlich aufgrund dieses besagten Paragrafen 278 StGB angeklagt werden oder nicht. Und es stimmt: Man muss den Aktionismus nicht gutheißen. Aber hier das Strafrecht anzuwenden, könnte sich als historischer Fehler herausstellen. 

Mit den Klimaschützern in Dialog zu treten, ihre Forderungen zu diskutieren, das wäre die Aufgabe einer anständigen Politik. Sie als „Chaotinnen und Chaoten“ abzustempeln, wie dies ÖVP und FPÖ gerade machen, und die Justiz bei ihrem Vorgehen anzufeuern, ist unwürdig. Und politischer Aktionismus.

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