TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Alles ist möglich in Südtirol“, von Peter Nindler

Die Landtagswahl in Südtirol könnte zum Wendepunkt für die seit 1945 regierende SVP werden und ihr Ende als Sammelpartei besiegeln. Andererseits ist es LH Kompatscher zuzutrauen, das Ruder mit seinem Stabilitäts-Mantra noch herumzureißen.

   Politisch hat sich das Gesicht Südtirols in den vergangenen Jahren sichtbar verändert. Das liegt nicht nur an dem seit 2014 amtierenden Landeshauptmann Arno Kompatscher, der über die Grenzen Südtirols hinaus Modernität und eine Politik auf Höhe der Zeit verkörpert. In einem Land, das sich nach wie vor über die schmerzhafte Geschichte der hart erkämpften Autonomie definiert und das volkstumspolitisch tief von der seit 1945 regierenden  Südtiroler Volkspartei (SVP) geprägt ist. Zumal die SVP als Sammelpartei aller gesellschaftlichen Gruppierungen bisher den Alleinvertretungsanspruch für die deutschsprachige Minderheit gegenüber Rom  konsequent verteidigt hat. Doch die europäische Normalität lässt die Sammelpartei südlich des Brenners bröckeln, Interessengegensätze zwischen Arbeitnehmern, Bauern und Wirtschaft haben den Prozess der Fragmentierung zuletzt beschleunigt.
   So anachronistisch heute deutliche politische Mehrheiten wahrgenommen werden, in Südtirol sorgten sie für Stabilität. Sie gehörten quasi zur DNA der SVP. Die Landtagswahl am Sonntag wird deshalb zur Zitterpartie für sie und für Kompatscher. Verluste drohen, auch wegen der Konkurrenz aus den eigenen Reihen mit Ex-Gesundheitslandesrat Thomas Widmann. Zugleich dürften die postfaschistischen Fratelli von Ministerpräsidentin Georgia Meloni  stärkste italienischsprachige Partei werden. Dass es sogar einen dritten Koalitionspartner für eine Mehrheit im Südtiroler Landtag benötigt, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen und macht die Regierungsbildung  noch schwieriger.
   Wenn Arno Kompatscher  seit Wochen gebetsmühlenartig Stabilität beschwört, tut er das natürlich aus parteitaktischen Gründen für seine SVP. Aber nicht nur. Denn es geht genauso  bzw. vor allem um die Autonomie; um die Verhandlungsposition gegenüber dem italienischen Staat. Denn die Regierungen in Rom, ob links oder rechts, regieren zentralistisch. Die Autonomie in Südtirol wird realpolitisch akzeptiert, politisch passt sie allerdings nicht in die von Rom forcierte Unità.
   Möglicherweise straft der von Kompatscher bezweckte Solidarisierungseffekt die schlechten Umfrageprognosen für die SVP Lügen und der Landeshauptmann kann aufgrund seiner  persönlichen Beliebtheitswerte die Einbußen abbremsen. Die Autonomie würde davon profitieren, die SVP jedoch nicht umhinkommen, sich ebenfalls grundlegend zu reformieren. Denn der Mythos der Sammelpartei lässt sich wohl nicht länger aufrechterhalten.
   Stürzen die SVP und Kompatscher ab, dürfte in Südtirol politisch ohnehin kein Stein  auf dem anderen bleiben. Das wäre dann die sprichwörtliche Zeitenwende mit ungewissem Ausgang.

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