Symposium mit Expert:innen und Politiker:innen über Weiterentwicklung des Rettungsdienstes in Österreich

Die Leistungen der über 40.000 Sanitäter:innen in Österreich, die eine Schlüsselrolle im heimischen Gesundheitswesen spielen, standen heute im Mittelpunkt von zwei Veranstaltungen im Parlament. Auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka fand am Nachmittag ein Symposium zum Thema Neugestaltung des Sanitätergesetzes statt, bei dem zunächst aus der Sicht von Expert:innen aus der Praxis die aktuellen Herausforderungen des Berufsstandes beleuchtet wurden. Am Abend werden dann herausragende Sanitäterinnen und Sanitäter vor den Vorhang geholt und mit dem "Camillo Award" ausgezeichnet.

Einig waren sich die Referent:innen im ersten Teil der Veranstaltung darin, dass nicht nur angesichts des zu erwartenden stark steigenden Bedarfs an Personal die Ausbildung für den Rettungsdienst sowohl qualitativ als auch quantitativ verbessert werden müsse. Durch die Entwicklung eines attraktiven Berufsbildes, das bundeseinheitlich gestaltet sein müsse und das mehr Entscheidungs- und Handlungskompetenzen umfasse, könnten mehr Menschen im Beruf gehalten und der präklinische Bereich sowie die Spitalsambulanzen deutlich entlastet werden, urteilten die Redner:innen. Dies kam auch in den Statements der Vertreter:innen des Roten Kreuzes und der Österreichischen Gesundheitskasse zum Ausdruck.

Zahorka: Die Zeit ist reif für ein neues Berufsbild

Florian Zahorka, der sich nicht nur als Wissenschaftler mit verschiedenen Themenfeldern an der Schnittstelle von Gesundheit und Sozialversorgung mit Fokus auf Rettungsdienst befasst, sondern selbst seit vielen Jahren als Sanitäter tätig ist, informierte in seinem Eingangsstatement über den Status Quo. Es gebe in Österreich knapp 500 Rettungsdienst-Stützpunkte, über 120 Notarztstützpunkte sowie rund 40 Rettungshubschrauber. Man gehe davon aus, dass rund 40.000 Personen als Sanitäter:innen tätig sind und dass über 7.500 jährlich eine Ausbildung absolvieren. Problematisch sei aus seiner Sicht die hohe Drop-Out-Rate aus dem Beruf, weil damit die so wichtige Erfahrung für Notfallsituationen langfristig gar nicht aufgebaut werden könne.

Die demographische Entwicklung zeige aber, dass es in der Zukunft einen hohen Bedarf an Personal geben werde. Schon jetzt würde ein überproportional hoher Anteil der Fahrten durch Menschen ausgelöst, die über 60 Jahre alt sind. Zudem würde die Gesamtzahl der Einsätze in allen Bundesländern seit Jahren deutlich ansteigen. Verglichen mit der Schweiz und Deutschland sei Österreich das Land mit den mit Abstand höchsten Einsatzzahlen in den Bereichen Rettung und Krankentransport. Als Gründe dafür ortete er unter anderem das umfassende "Transportversprechen" der Rettungsdienste, die Abhängigkeit der (geringen) Vergütung vom Transport sowie die Tatsache, dass der Rettungsdienst in der Bevölkerung als niederschwellige Gesundheitsressource für alle Problemlagen angesehen werde. Letztlich führe die geringe Fahrtenvergütung eben auch zum Bestreben, ein Vielfaches an Fahrten durchzuführen, wodurch der defizitäre Rettungsdienst mit dem Krankentransport querfinanziert werde. Gleichzeitig sei Österreich im internationalen Vergleich aber auch Schlusslicht, was die Ausbildungsdauer – derzeit nur ein Jahr – betrifft.

Es brauche innovative Alternativen zum aktuellen Modell, damit die Versorgung möglichst niederschwellig zu Hause erfolgen könne, regte Zahorka an, der dabei funktionierende Beispiele im Ausland anführte. Diese würde auszeichnen, dass Probleme vor Ort durch besonders geschulte Sanitäter:innen gelöst werden können, weil sie über ein größeres Handlungsrepertoire verfügen und ins niedergelassene Versorgungsnetz verweisen können. Auf gesetzlicher Ebene sollten bundeseinheitliche Vorgaben im Vordergrund stehen und die bestehenden "Insellösungen" ersetzen. Schließlich appellierte Zahorka noch, den vielen engagierten Menschen im Rettungsdienst zuzuhören, sie einzubinden und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

Kaltenberger: Zweistufiges Ausbildungsmodell und Weiterentwicklung zu einem "Point of Care Rettungsdienst"

Auch der Vizepräsident des Bundesverbandes Rettungsdienst Clemens Kaltenberger unterstrich, dass der Rettungsdienst weit mehr als ein Transportdienstleister sei. Viele der Probleme, die es aktuell gebe, würden sich  am besten über den Hebel der Ausbildung lösen lassen, war Kaltenberger überzeugt. Damit Sanitäter:innen in Zukunft ihre Schlüsselrolle in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung wahrnehmen können, schlägt der Bundesverband ein zweistufiges Ausbildungsmodell vor. Dieses bestehe aus dem Beruf der Rettungssanitäterin bzw. des Rettungssanitäters, der eine niederschwellige Einstiegsmöglichkeit für Ehrenamt, Zivildienst und künftiges Hauptamt darstellt. Neben der klassischen Sanitätshilfe sollten auch Medikamentengabe sowie Grundlagen der Pflege und erweiterten Hygiene vermittelt werden. Aufbauend darauf würde dann die Ausbildung zum Diplom-Notfallsanitäter bzw. der Diplom-Notfallsanitäterin erfolgen. Das Erlernen von praktischer Handlungs- und Entscheidungskompetenz stünde dabei im Fokus der Ausbildung, die eine eigenständige wissenschaftliche Vertiefung inkludieren müsse. Diese Sanitäter:innen würden dann in Zukunft die Hauptverantwortung in der Notfallrettung tragen. Der Bundesverband spreche sich zudem klar für eine sechssemestrige Ausbildung auf Hochschulniveau aus.

Das klare Ziel laute, dass Sanitäter:innen als Expert: innen für Akutsituationen und als Lotsen durch die verschiedenen Stufen des Gesundheitssystem agieren können, unterstrich Kaltenberger. Dafür soll ihnen künftig ein umfassendes Handlungsrepertoire aus Notfall- und Akutversorgung, Behandlung vor Ort, Hospitalisierung, Verweisung in die Primärversorgung und Weiterleitung hin zu sozialen Diensten zur Verfügung stehen. Im Fokus stehe dabei ein "Point of Care Rettungsdienst", der Interventionen dort vornehme, wo sie anfallen und der sich mit Gesundheitsberufen digital vernetze, um gemeinsam Probleme vor Ort zu lösen. Wenn das gelinge, dann könne man ein attraktives Berufsbild anbieten, welches die Beschäftigten im Gesundheitswesen langfristig halte. Außerdem würden alternative Verweisungsmöglichkeiten Hospitalisierungen ersparen und die Überfüllung der Ambulanzen reduzieren, führte Kaltenberger ins Treffen.

Trimmel: Ein Großteil der Einsätze könnten und sollten durch qualifizierte Rettungs- und Notfallsanitäter:innen übernommen werden

Die Akut- und Notfallversorgung in Österreich müsse dringend reformiert werden, forderte Helmut Trimmel, der Vorstand der Sektion Notfallmedizin der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Ein grundsätzliches Problem bestehe nämlich darin, dass immer häufiger Notärzt:innen gerufen werden, obwohl gar kein medizinischer Notfall vorliege. In zumindest 25 % bis 50 % der Fälle würde zudem der Einsatz während der Anfahrt wieder storniert, informierte Trimmel. An was es jedenfalls nicht scheitere sei der Versorgungsgrad, da Österreich über ein extrem gut ausgebautes Netz an notärztlicher Versorgung verfüge. Für besonders wichtig halte er, dass in Hinkunft ein großer Teil der Einsätze durch qualifizierte Rettungs- und Notfallsanitäter:innen übernommen werden. Er schätze, dass dies in 70 % der Fällen möglich sein würde. Auch sollten die "anachronistischen Finanzierungsmodelle" – Vergütung nur pro Transport ins Krankenhaus – überdacht werden.

Gleichzeitig müsse sichergestellt werden, dass ausreichend Notärzt:innen dort verfügbar sind, wo sie wirklich gebraucht werden. Weitere Empfehlungen der ÖGARI zielen zudem auf eine Reform des Versorgungsauftrags der niedergelassenen Ärzt:innen und die Einbindung weiterer Berufsgruppen in die  extramurale Versorgung ab. Um dies alles umzusetzen, müssten die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen und die Finanzierung einer quantitativ und qualitativ verbesserten Ausbildung der Rettungs- und Notfallsanitäter:innen gewährleistet werden. Es brauche zudem eine abgestufte und qualifizierte präklinische Versorgungsstruktur durch mobile Dienste, einen ärztlichen Bereitschaftsdienst sowie einen Rettungs- und Notarztdienst nach bundeseinheitlicher Vorgabe. Überdies müsste ein verbindlicher Indikationskatalogs zum Notarzteinsatz implementiert werden.

Halmich für Novellierung des Sanitätergesetzes  

Michael Halmich, Obmann der Österreichischen Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfallmedizin, pflichtete seinen Vorrednern in vielen Punkten bei. Es stand für ihn ebenso außer Streit, dass das vor rund 20 Jahren beschlossene Sanitätergesetz in die Jahre gekommen sei. Es reiche jedoch nicht, nur an ein paar Schrauben zu drehen, sondern man müsse wesentliche Änderungen vornehmen, etwa was die Frage des Berufsschutzes betrifft. Man sollte zudem die Sanitäter:innen in die Lage versetzen, sogenannte Triage-Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig würde schon die aktuelle rechtliche Grundlage einiges ermöglichen, wie etwa den Ausbau der Telemedizin oder den Einsatz der Sanitäter:innen außerhalb von Rettungsorganisationen, zeigte Halmich auf.

Vertreter:innen vom Roten Kreuz und der ÖGK unterstützen Forderungen nach einer Reform der Sanitäterausbildung

Alexandra Tanda, die Geschäftsführerin des Österreichischen Roten Kreuzes, stellte in ihrem Redebeitrag die Arbeitgebersicht zur Diskussion. Auch wenn das österreichische Gesundheitssystem weltweit zu den besten gehöre, stoße es derzeit an Grenzen. Diese reichten vom demographischen Wandel, komplexen medizinischen Diagnosen bis hin zu einem ausgedünnten Arbeitsmarkt. Eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen an aktuelle Gegebenheiten sei daher erforderlich, konstatierte Tanda. Dies gelte auch für den präklinischen Bereich, also den Rettungs- und Sanitätsdienst. Tanda schloss sich den Einschätzungen der Referent:innen an, wonach eine Reform der Ausbildung der sowohl haupt- als auch ehrenamtlichen Sanitäter:innen hoch an der Zeit sei. Orientieren sollte man sich dabei an internationalen Standards, betonte Tanda, die sich mit Nachdruck für bundeseinheitliche Regelungen einsetzte. Es brauche zudem eine längere Ausbildungsdauer sowie leichtere Umstiegsmöglichkeiten. Wenn Notfallsanitäter:innen mit höheren Kompetenzen ausgestattet werden, dann würden sie auch einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems leisten, resümierte Tanda, die zudem versprach, sich auch als Nationalratsabgeordnete entsprechend einbringen zu wollen.

Andreas Karl, der Geschäftsführer des Roten Kreuzes in Tirol, stellte zunächst außer Streit, dass er eine professionelle Ausbildung für Sanitäter:innen nach internationalen Standards ausdrücklich befürworte. Dafür müssten sich die Vertreter:innen aller Strömungen endlich an einen Tisch setzen. In seiner Rolle als Rettungsdienstbetreiber wolle er aber auch den Blick auf das bestehende Spannungsfeld zwischen einer möglichst hohen Versorgungsdichte und den Interessen der Kostenträger lenken. So stehe auch die Tatsache, dass Österreich "ein Land der Transporteure" sei im krassen Widerspruch zu der gewünschten Aufwertung des Berufs. Generell müsse die Gesundheitsversorgung gesamthaft betrachtet werden, weil die einzelnen Bereiche kommunizierende Gefäße darstellen.

ÖGK-Obmann Andreas Huss sah das solidarische Gesundheitssystem in Gefahr, da immer mehr Kosten auf die Privatpersonen übertragen würden. Der Anteil an Privatleistungen liege mittlerweile schon bei rund 23 % bis 25 %. Deshalb habe er im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen sehr stark darauf gedrängt, dass für den Ausbau der niedergelassenen Versorgung ausreichend Mittel bereitgestellt werden. Leider würde nun zu viel Geld in die Spitalsambulanzen fließen, bedauerte er. Ein zentrales Anliegen von ihm sei, dass "das richtige Mittel für den richtigen Zeitpunkt und für das richtige Problem" eingesetzt werden soll, und das gelte auch für den Rettungsdienst. Er würde sich weiters wünschen, dass man sich in Hinkunft auf einheitliche Leistungs- und Ausbildungsniveaus einigen könne. (Fortsetzung Symposium) sue

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.


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