(Österreichische Hagelversicherung, 11. September 2023): Wer durch das Land fährt, kennt sie zur Genüge: die Gewerbezentren, die in den vergangenen Jahrzehnten am Rande der Ortschaften auf der grünen Wiese entstanden sind – ein Supermarkt da, ein Möbelhaus oder gar eine leerstehende Ruine dort, dazwischen Baumärkte und Geschäfte für Bekleidung usw. Die Zufahrt geregelt über Kreisverkehre in weiterer Folge je Betrieb eine weitere Zufahrt zu einem riesigen Parkplatz. Das Maximum an denkbarem Bodenverbrauch wurde ausgenutzt. In den seltensten Fällen findet man zumindest Rasenziegel. Noch ineffizienter kann unsere Lebensgrundlage Boden kaum genutzt werden. Österreich ist beim Bodenverbrauch weiter Europameister im negativen Sinn. Dabei hat der heurige Sommer erneut vor Augen geführt, wie schnell sich Betonflächen in Hitzeinseln verwandeln und welche Kraft das Wasser im Fall von Starkniederschlägen und fehlender Versickerungsmöglichkeit hat. „Faktum ist: Der gegenwärtige Bodenverbrauch von mehr als 11 Hektar Äcker und Wiesen oder umgerechnet im Ausmaß von 16 Fußballfeldern pro Tag gefährdet nicht nur die heimische Lebensmittelproduktion, die Tier- und Pflanzenwelt, den Tourismus etc. Die Verbauung befeuert auch die Auswirkungen von Extremwetterereignissen wie Überschwemmungen. Daher besteht unverzüglicher Handlungsbedarf. Es braucht ein umfassendes Maßnahmenbündel von raumplanerischen Vorgaben bis hin zu fiskalischen Instrumenten, um das Bodenverbrauchsziel der österreichischen Bundesregierung von höchstens 2,5 Hektar pro Tag bis 2030 zu erreichen“, so der eingehende Appell des Vorstandsvorsitzenden der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger, des WIFO-Direktors Univ.-Prof. MMag. Gabriel Felbermayr, PhD und der Autorin der im Rahmen des Pressegesprächs präsentierten und im Auftrag der Österreichischen Hagelversicherung erstellten WIFO-Studie „Steuerpolitische Instrumente zur Verringerung des Bodenverbrauchs in Österreich“, Dr. Margit Schratzenstaller.
Felbermayr: Beim Bodenverbrauch haben wir es national selbst in der Hand
Der einflussreiche Ökonom Gabriel Felbermayr prognostiziert einen massiven Wohlstandsverlust und Abhängigkeiten, wenn die Eindämmung des hohen Bodenverbrauchs nicht jetzt in Angriff genommen wird: „Bereits in der WIFO-Studie „Bodenverbrauch nimmt uns Essen vom Teller“ von Dozent Dr. Franz Sinabell wird die Dringlichkeit der Begrenzung des Flächenverbrauchs dargestellt, um den Verlust der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln einzudämmen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Ackerland zwischen 1999 und 2020 um über 72.000 Hektar abgenommen hat. Umgerechnet in Versorgungsleistung bedeutet dieser Rückgang, dass in Österreich binnen 20 Jahren etwa 480.000 Menschen pro Jahr weniger ernährt werden können. Die Fehler der letzten Jahrzehnte können nicht wieder gut gemacht werden, die Zukunft muss aber anders aussehen. Das „Gute“ dabei: Es handelt sich beim Bodenverbrauch um ein rein nationales Umweltproblem. Es bringt also nichts, die Schuld fernab der nationalen Grenzen zu suchen. Dieser Umstand muss dringend national gelöst werden, um den Naturhaushalt und die Kulturlandschaft zu schützen sowie einen leistungsfähigen Agrarsektor mit einer produzierenden Landwirtschaft zu erhalten. Nur so können Abhängigkeiten in Form von Lebensmittelimporten verhindert werden. Ein Beispiel für eine konkrete Maßnahme ist die Einführung einer bundesweiten Leerstandsabgabe. Das würde dem Staat Mehreinnahmen einbringen, mit denen man die Grunderwerbsteuer senken kann, die die effiziente Verwendung von Grund und Gebäuden behindert. Letztendlich braucht es aber auch quantitative Messgrößen, um die Verbauung einzudämmen. Alles andere wäre vergleichbar mit einer gesetzlichen Regelung, mit der die Anzahl der Verkehrstoten durch Raserei reduziert werden sollte, dabei aber auf das Tempolimit vergessen und nur an die eigene Vernunft appelliert wird.“
Schratzenstaller: Gegenwärtige Grund- und Kommunalsteuer sind ein Anreiz für Verbauung
Eine Reihe bestehender Steuern sind ein Impulsgeber für den Bodenverbrauch. Das ist weder ökonomisch noch sozial vernünftig und geht auch zu Lasten der Umwelt. Eine Strukturreform kann eine Mehrfachdividende bringen: Indem man die bodenvernichtenden Gemeindesteuern adaptiert, erzielt man positive Umwelteffekte. „Es braucht beim Bodenverbrauch eine – im wahrsten Sinne des Wortes – bodenständige Reform, beispielsweise bei der Kommunalsteuer. So kann eine verpflichtende interkommunale Teilung des Kommunalsteueraufkommens helfen, Anreize für Umwidmungen zu verringern und Zersiedelung einzudämmen. Gegenwärtig werden ja bauwütige Gemeinden mit ihren Gewerbeparks etc. über die Kommunal- und Grundsteuer belohnt, dabei sollen aber bodenschonende Gemeinden honoriert werden. Eine weitere Tatsache: Wir haben in Österreich leerstehende Industrie-, Gewerbe- und Wohnimmobilien laut Schätzungen des Umweltbundesamtes im Ausmaß von 40.000 Hektar. Das entspricht in etwa der Fläche der Stadt Wien. Eine verpflichtende österreichweite Leerstandsabgabe sowie die Wiedereinführung der Zweckwidmung des Wohnbauförderungsbeitrages und die Verwendung eines Teils der Mittel für Altbausanierung können helfen, den Leerstand einzudämmen. Tatsache ist aber auch, dass fiskalische Aspekte nur eine Maßnahme innerhalb eines breiten Ansatzes sein können. Jedenfalls müssen auch raumplanerische Aspekte berücksichtigt werden: eine verpflichtende Leerstandsdatenbank sowie die gesetzliche Ausweisung von besonders wertvollen Agrarflächen wie in der Schweiz sind ebenso konkrete Vorschläge wie mögliche neue Instrumente im Zusammenhang mit handelbaren Flächenzertifikaten oder CO2-Emissionszertifikaten. Wenn ich mir die aktuelle Diskussion zum Eindämmen des Bodenverbrauchs anschaue, dann ist die Chance hier für eine Reform gar nicht so schlecht,“ ist die anerkannte Ökonomin Margit Schratzenstaller optimistisch.
Weinberger: Kommunalsteuer steuert falsch
Es braucht beim Bodenverbrauch einen Maßnahmenmix nach den Prinzipien Vermeiden, Wiederverwerten und Intensivieren. In dem Zusammenhang muss auch die Frage gestattet sein, ob die gegenwärtigen Steuern auch richtig steuern. „Bei der Kommunalsteuer, die auf Gemeindeebene eingehoben wird, sage ich ‚Nein‘“, so Kurt Weinberger, der erläutert: „Jeder Bürgermeister hat ein Anreizsystem, Genehmigungen für Gewerbezentren zu erteilen, weil er daraus Einnahmen lukriert. Wir haben aber in Österreich ohnedies bereits die höchste Anzahl an Supermärkten pro 100.000 Einwohner in Europa, nämlich 60. In Deutschland mit einer geordneteren Raumordnung sind es 40. Die Konsequenz: Bei uns sind die Lebensmittelpreise um 15 Prozent höher! Wir bezahlen also beim Einkauf für eine falsche Raumordnung. Die Lösung: Die Kommunalsteuer muss als Bundessteuer eingehoben und im Zuge des Finanzausgleichs an (ökologische) Kriterien gekoppelt verteilt werden. Weiters muss das jetzige zahnlose System der Flächenwidmungsabänderung auf Landesebene durch einen weisungsfreien Raumordnungsbeirat, der für die Gemeinden die Umwidmungen genehmigt, effizienter und unabhängiger geregelt werden.
Eine wichtige steuerliche Maßnahme wurde im Zusammenhang mit dem Leerstand von der Bundesregierung im Juli durch eine Änderung von § 6 Einkommensteuergesetz schon umgesetzt: Wird nun ein leerstehendes Betriebsgebäude eines Gewerbe- oder Landwirtschaftsbetriebes wegen Betriebsaufgabe vermietet, erfolgt die Überführung dieses Gebäudes aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen – wie auch bei Grund und Boden – zum Buchwert statt wie bisher zum Teilwert. Es müssen aber weitere konkrete Maßnahmen gesetzt werden, um die nationale Lebensmittelhoheit zu bewahren. Von Beton können wir jedenfalls nicht abbeißen.“
Finanzausgleich kann dem Bodenverbrauch entgegenwirken
Heuer ist wieder ein Jahr des Finanzausgleichs, wo zwischen Bund, Ländern und Gemeinden für die kommenden Jahre die Aufteilung von Steuereinnahmen verhandelt wird. Im Grunde eine große Chance, Dinge zum Besseren zu wenden, den Bodenverbrauch endlich gesetzlich zu limitieren und einen sorgsamen Umgang mit den Äckern und Wiesen in den Finanzausgleichsverhandlungen entsprechend zu berücksichtigen. „Tatsache ist: Der Boden ist das höchste Gut. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann haben wir in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr. Vielleicht haben wir dann einen wunderbaren Industriestandort, aber keinen Lebensstandort mehr. Ein Land ohne Äcker, zukunftslos, kann nicht die Zielsetzung sein. Daher muss der verbliebene Naturraum geschützt werden. Eine Vielzahl an Maßnahmen liegt mittlerweile auf dem Tisch. Die WIFO-Studie zeigt, dass steuerliche Maßnahmen zur Eindämmung des Bodenverbrauchs unerlässlich sind“, so Felbermayr, Schratzenstaller und Weinberger abschließend.
Die Studie zum Download finden Sie hier: https://www.hagel.at/presseaussendungen/bodenverbrauch-steuerliche-anreize/
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