TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Der Vergnügungspark ist woanders“, von Irene Rapp

Die teils skurrilen Alpinunfälle vom Wochenende sind auf eine Ursache zurückzuführen: Die Bergwelt Tirols wird vor allem von Urlaubern oft als Walt-Disney-Kulisse gesehen, wo der Menschenverstand nicht eingeschaltet ist.

Zunächst die gute Nachricht: In den vergangenen Jahren hat sich auf den Bergen viel getan. In Sachen Vorbereitung etwa, wenn Kurse besucht werden oder eine Tourenplanung erfolgt. Aber auch in Sachen Ausrüstung: Das Gros der Outdoor-Aktiven ist gut ausgestattet, was schon zu neuen Problemen führt – dass nämlich z. B. Wintersportler ihr LVS-Gerät nicht bedienen können. Doch schwarze Schafe gibt es immer noch genug und seit Corona um einiges mehr Menschen, die am Berg Abstand, Ruhe und Erholung suchen.

Ein Verlangen, das perfekt aufbereitete Bilder in TVB-Werbematerialien und sozialen Medien verstärken. Eines wird  dabei aber vor allem von Urlaubern gerne ausgeblendet: dass die Bergwelt Tirols keine Walt-Disney-Kulisse ist und auch kein Vergnügungspark, sondern ein potenzieller Gefahrenraum. Am Fels kann ein Griff ausbrechen, ein Steig durch ein Unwetter teilweise weggeschwemmt werden und in der Klamm ein Stein von oben herabfallen. 

Verschärft wird das Ganze durch den Faktor Mensch. Jener Bergsteiger, der am Freitag im Wilden Kaiser eine Bergungsaktion ausgelöst hatte, alarmierte etwa seine Verwandten, bevor nach Stunden die richtige Einsatzstelle informiert wurde. Offenbar wusste der lediglich in Jeans und T-Shirt gekleidete Deutsche nicht, dass es mit der 140 eine Nummer für alpine Notfälle gibt. Und jene deutsche Familie, die am Sonntag die letzte Talfahrt der Liftanlagen Rifflsee in St. Leonhard im Pitztal versäumte und zu Fuß versuchte, abzusteigen, unterlag wohl einem anderen Irrtum: dass der Weg um den Rifflsee auf 2300 Meter Seehöhe zwar mit Kinderwagen machbar ist, aber eben nicht auch noch jener ins Tal.

Tirols Bergretter könnten unzählige solcher Geschichten erzählen. Im Vorjahr musste die Einsatzorganisation zu so vielen Notfällen wie noch nie ausrücken. In diesem Sommer wird den freiwilligen Helfern ebenfalls nicht fad. Auch deswegen nicht, weil es mit der Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten bei vielen Berggehern hapert, und dann etwa mitten im Klettersteig ein Notruf abgesetzt werden muss.

Der gesunde Menschenverstand scheint so manches Mal im Tal zurückzubleiben. Und mitunter auch der wertschätzende Umgang untereinander. Die meisten Outdoor-Sportler sind zwar versichert und ihre Bergungskosten gedeckt, aber nicht alle. Wenn dann die Bergretter zu hören bekommen, warum denn der Einsatz nicht kostenlos sei bzw. versucht wird, über die Bergungskosten zu verhandeln, bleibt nur Fassungslosigkeit zurück. 

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender. Tiroler Tageszeitung

AlpinismusUnfälle
Comments (0)
Add Comment