8. PRAEVENIRE Gesundheitstage: neuer Vertrag für mehr Gesundheit

Den Abschluss der 8. PRAEVENIRE Gesundheitstage im Stift Seitenstetten bildete der PRAEVENIRE Networking Brunch, der in bewährter Tradition auch der Bevölkerung der Gemeinde Seitenstetten offenstand. Zudem nahmen als weiteren Schritt der PRAEVENIRE Summerschool Schülerinnen und Schüler der Oberstufe des Stiftsgymnasiums Seitenstetten an der Veranstaltung und der Diskussion mit den Expertinnen und Experten teil.

Einen Einblick, wie primäre Gesundheitsversorgung in Dänemark funktioniert, gab Prof. Dr. Roar Maagaard, der in der Stad Aarhus eine allgemeinmedizinische Praxis, ähnlich einem Primärversorgungszentrum, betreibt. Die Hintergründe und Funktionsweise des seit 20 Jahren in Betrieb befindlichen dänischen Pendants zu ELGA, Sundhed, sowie der Gesundheitsapp Myhealth erläuterte Morten Elbæk Petersen der seit Gründung 2003 CEO des dänischen eHealth portal, sundhed.dk ist.

„Zu denken, man müsse nur die Opt-out-Möglichkeit abschaffen und schon könne man an die dänischen Verhältnisse herankommen, greift zu kurz“, warnt Prof Reinhard Riedl, Dozent an der Berner Fachhochschule und Gründer der PRAEVENIRE Digital Health Forums. Wie Morten Elbæk Petersen als Gast-Keynoter schon beim Digital Health Symposion im Vorjahr ausführte, hat Dänemark vor rund 20 Jahren viel in die Klärung der ethischen Perspektiven investiert. „Europaweit zeigt sich, dass all jene Länder, die sich früh mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben, heute nicht mehr mit datenschutzrechtlichen Bedenken und dem Mitmachen der Bevölkerung zu kämpfen haben“, so Riedl.    

Die vordinglichsten Forderungen

In einer abschließenden Podiumsdiskussion erläuterten die Teilnehmer:innen nochmals die wichtigsten Forderungen, die im Zuge einer Reform des österreichischen Gesundheitssystems zu berücksichtigen sind.

Prof. (FH) Mona Dür, PhD, MSc, Geschäftsführerin Duervation: Wichtig wäre eine einheitliche digitale Lösung für alle Bürger:innen, ähnlich wie die Grüne-Pass-App, die einen niederschwelligen Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten, aber auch zu Gesundheitsleistungen darstellt. Diese sollte auch in Verbindung mit ELGA stehen, der primären Gesundheitsdatenplattform in Österreich. Zudem bedarf es dringend der Meinungsbildung und Aufklärungsarbeit über den persönlichen Vorteil der Bürger:innen, wenn man Gesundheitsdaten teilt. Notwendig ist zudem eine Digitalisierungsstrategie für Österreich.

Dr. Thomas Czypionka, Institut für Höhere Studien, Leiter Health Economics & Health Policy: Man muss mehr in Vorsorge investieren, allerdings braucht es dazu auch eine entsprechende Struktur im Hintergrund. Speziell chronisch kranken Menschen müssen wir mehr integrierte Versorgung bieten – ausgehend von den Primärversorgungszentren über den fachärztlichen Bereich bis zu den Spezialambulanzen und den Spitälern. Auch auf die Policy- und Polityebene darf nicht vergessen werden nicht. Wir haben 2005 das Gesundheitstelematikgesetz in Österreich beschlossen, aber die Usability bei diesbezüglichen Anwendungssystemen lässt nach wie vor zu wünschen offen. Es fehle an Stringenz, Verantwortlichkeit und Management.

Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer für NÖ: Es gibt zwar am Papier viele Regelungen, die allerdings in der Praxis bedeutungslos sind. Das Einhalten von Verträgen und Vereinbarungen wäre allerdings gerade im Gesundheitswesen sehr wichtig, denn nur so lassen sich Qualität und Ergebnisse kontrollieren.

Dr. Erwin Rebhandl, Allgemeinmediziner, Präsident AM Plus: Es braucht eine umfassende Stärkung der Primärversorgung in Österreich sowie einen weiteren Ausbau der Primärversorgungseinheiten (PVZ) unter Einbeziehung aller Gesundheitsberufe. Dazu sollte es auch ein Anreizsystem für die Bevölkerung geben, diese Einrichtungen aufzusuchen und nicht frei mit der e-Card auf allen Ebenen in das Gesundheitssystem einzusteigen. Ebenso braucht es Maßnahmen, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung deutlich zu steigern. Flankierend müssen auch entsprechende Angebote in Prävention und Social Prescribing rasch implementiert werden.  

Andreas Huss, MBA, Obmann-Stv. der ÖGK: Durch die dramatische Personalsituation im Spitalssystem werden wir diesen Bereich in der bisher gewohnten Form nicht mehr aufrechterhalten können, es fehlen   sowohl die Ärzt:innen als auch Pflegekräfte. Das ist eine Chance, das österreichische Gesundheitssystem von einer starken Spitalslastigkeit endlich dorthin zu bekommen, dass in den Krankenhäusern nur mehr jene Personen stationär und in Spezialambulanzen behandelt werden, bei denen dies medizinisch geboten ist. Wir brauchen daher einen massiven Ausbau des niedergelassenen ambulanten Systems und hier im Besonderen das Hausarztsystem. Wir müssen den Menschen wieder klarmachen, dass der Ersteinstieg in der Gesundheitssystem verpflichtend die Hausarztpraxis ist. Wir hatten diese Regelung bis zur Einführung der e-card. Ergänzend und zusätzlich gibt es noch 1450, wo man schnell und niederschwellig rund um die Uhr sämtliche Gesundheitsinformationen bekommen kann. Generell braucht es mehr Geld in der Prävention. Dies muss allerdings auch richtig investiert werden.

DI Dr. Franz Leisch, PRAEVENIRE Chief Digital Officer: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Wichtig wäre auch in Österreich wieder eine breitere Einbindung aller Stakeholder. Heute besteht die Bundeszielsteuerungskommission nur noch aus Bund, Ländern und Sozialversicherungen. Ärzte-, Apotheker- oder Wirtschaftskammer sind darin nicht mehr vertreten. Die Digitalisierung sollte helfen, den akuten Personalbedarf abzufedern. Auch die ELGA könnte viel mehr, sie muss nur entsprechend befüllt werden. Ebenso muss sich Österreich mit der europäischen Initiative zur Datennutzung auseinandersetzen. Zusätzlich sollten auch noch digitale Versorgungsformen komplementär zum persönlichen Kontakt mit Ärzt:innen und anderen Gesundheitsdienstleistern zugelassen werden.

Dr. Alexander Biach, Direktor-Stv. der Wirtschaftskammer Wien: Im Vorfeld der PRAEVENIRE Gesundheitstage wurden die Teilnehmer:innen befragt, welche Themen besonders vordringlich sind. Dabei haben sich drei große Bereiche herauskristallisiert. Aus Expertensicht sollte das Gesundheitssystem im Rahmen des Finanzausgleichs finanziell wieder stabilisieren und dem Gesundheitspersonal wieder mehr Wertschätzung entgegenbringen. Den langen Wartezeiten muss mit Gruppenpraxen insbesondere Primärversorgungseinheiten unter Einbeziehung aller dort tätigen Gesundheitsberufe begegnet werden. Auch deren Gründung sollte vereinfacht und Leistung entsprechend honoriert werden. Österreich braucht bis zum Jahr 2030 rund 74.000 neue Pflegekräfte. Dies lässt sich einerseits, wie jetzt von der Regierung angestrebt, durch mehr Zuschüsse für den Pflegebereich erreichen. Andererseits tragen, so die Expertenmeinung in der Befragung, auch Maßnahmen wie der Best-Agers-Bonuspass dazu bei, dass die Menschen sich mehr bewegen und so weniger häufig auf Pflege angewiesen wären. 

Angelika Widhalm, Vorstandsvorsitzende Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE): Wir müssen an all diesen Forderungen dranbleiben. Mein Appell an die Politik: Wenn wir nicht sofort mit Präventionsmaßnahmen beginnen, haben wir in Zukunft nur eine geringe Chance, dass wir gesund bleiben und chronische Erkrankungen vermeiden.  

Welche Reformschritte im Gesundheitsbereich angegangen werden sollen und welche Lösungsvorschläge und Handlungsempfehlungen es dabei aus Expert:innensicht gibt, wird vom 6. bis 10. Juli bei den PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen in Alpbach diskutiert.

PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche Alpbach

Datum: 06.07.2023

Ort: Hotel Böglerhof
Alpbach 166, 6236 Alpbach, Österreich

Url: https://gesundheitsgespraeche.co.at/

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