Das mumok trauert um Ilya Kabakov

Noch bevor der Eiserne Vorhang fiel und das Ende des Sowjetkommunismus besiegelt war, konnte man sich 1988 in einer Ausstellung in Graz von der hohen internationalen Qualität der Arbeiten von Ilya Kabakov überzeugen, der bis dahin eine Leitfigur in der russischen Untergrundszene war. Von dort hatte ihn Peter Pakesch, der damals neben seiner Galerie auch den Grazer Kunstverein leitete, eingeladen und damit zugleich die steile Karriere des Künstlers im Westen mitbegründet. Als Vertreter der inoffiziellen und systemkritischen Kunst hatte der aus der Ukraine stammende Kabakov bereits in der Sowjetunion einen Kreis Gleichgesinnter um sich versammelt, die im Rahmen des „Moskauer Konzeptualismus“ von der staatlichen Propagandakunst des Sozrealismus abwichen bzw. diesen kritisch aufs Korn genommen hatten. Dass er nach Graz ausreisen durfte, hat ihn daher selbst überrascht, ihn aber auch darin bestärkt, nicht mehr in die Sowjetunion zurückzukehren, sondern mit seiner Frau und künstlerischen Partnerin Emilia Kabakov in die USA zu emigrieren.

Das politische Tauwetter unter Michail Gorbatschow mit der Perestroika und das Engagement westlicher Fachleute ermöglichten dem stets in seiner Arbeit vom Wunsch nach Freiheit unter repressiven Umständen handelnden Künstler, nun auch tatsächlich in Freiheit arbeiten zu können und der westlichen Kunstszene die Augen für einen differenzierteren Blick auf die Kunst und die Gesellschaft der Sowjetunion zu öffnen. Diese Freiheit bedeutet auch, in großräumigen „totalen Installationen“ aus der zuvor aufoktroyierten Beengtheit in jeder Hinsicht ausbrechen zu können, um vom sowjetischen Alltag und dessen Rolle für die eigene Persönlichkeit wie auch für die Gesellschaft als Kollektiv künstlerisch zu handeln. Eine solche Auseinandersetzung mit biografischen und kollektiven Erfahrungen sowie die Absicht, diese Geschichte zugleich zu thematisieren, aber auch abzuschütteln, um sich davon zu befreien, erfolgt in der Installation „Die Zielscheiben“ (1991), einem zentralen Werk des Künstlers, das bereits 1992 von der Österreichischen Ludwig-Stiftung für die mumok Sammlung erworben wurde. Diese handelt von Kabakovs unterschiedlichen Wohnsitzen während der Sowjetzeit, die er in Form von Bildern innerhalb einer bewusst beengenden Bretterarchitektur anordnet und zum symbolischen Bewurf mit Papierknäueln, Holzstangen und Steinen freigibt. Er verleiht damit seiner eigenen Aufforderung „Ich bitte Euch – nehmt Steine, werft, werft, zerschlagt, zerbrecht alles, was mit mir und meinem Leben zusammenhängt“ bildhafte und räumliche Gestalt. Auch spricht er hier die aktive Rolle von Betrachter*innen an und wendet sich gegen eine Kunst des passiven Konsums und der bloßen Dekoration, die von der gesellschaftlichen Realität absieht. Einen solchen Sinn für die gesellschaftliche Verantwortung der Kunst, ihrer Produzent*innen und Rezipient*innen hat Kabakov in seinem Denken und den Arbeiten bis zum Schluss unter Beweis gestellt – auch indem er sich kritisch zum russischen Krieg gegen die Ukraine geäußert hat. Mit seinem Tod verliert daher nicht nur die Kunstwelt eine Persönlichkeit, die geschichtliche Erfahrung in künstlerisches Engagement mit gesellschaftlichen Perspektiven umzusetzen vermochte.  

Karola Kraus, Rainer Fuchs und das Team des mumok

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