Die Coronapandemie hat digitale Versorgungsoptionen, wie Telekonsultationen, digitale Therapiebegleitung und Gesundheitsanwendungen (DIGAs) stärker in den Fokus der Gesundheitsversorgung gerückt. Weltweit werden immer mehr digitale Gesundheitsanwendungen entwickelt, sodass der Schwerpunkt nicht mehr so sehr auf den technischen Möglichkeiten liegt, sondern viel mehr auf deren sicherer Anwendung und der Erstattung durch das Gesundheitssystem. Welche Voraussetzungen dafür nötig sind, wurde im dritten Digital Health Gipfelgespräch im Rahmen der 8. PRAEVENIRE Gesundheitstage im Stift Seitenstetten erörtert. Die Gesprächsrunde in Seitenstetten ist eine Fortsetzung und Vertiefung des 5. PRAEVENIRE Digital Health Symposions „Shape the Future“, das Ende April in Wien unter der Leitung von Prof. Dr. Reinhard Riedl, Dozent an der Berner Fachhochschule, stattgefunden hat.
Digitale Angebote müssen Menschen erreichen
„Bei den digitalen Gesundheitsanwendungen fehlt die ‚Letzte Meile‘, – der Lückenschluss zwischen den diversen Systemen und den Anwendern“, erklärte Univ.-Prof Matthias Bolz vom Kepler Universitätsklinikum Linz. Um diese zu schließen, brauche es eine Hilfestellung in Form einer zentralen Übersicht, die zeigt, welche Anwendungen es gibt, damit Patient:innen und Gesundheitspersonal eine qualifizierte Entscheidung zum passendsten Angebot fällen können. Zudem müssen die Systeme kompatibel zu bestehenden Basissystemen wie ELGA sowie userfreundlich ausgestaltet sein. „Wir müssen die Menschen für digitale Gesundheitsanwendungen begeistern“, sagte Prof. (FH) Mona Dür, PhD, MSc, Geschäftsführerin Duervation GmbH. Dies betrifft das Personal der diversen Gesundheitsdienstleister:innen ebenso wie die Patient:innen und deren Angehörige. Sie appellierte zudem, bei diesem Thema sehr breitflächig zu denken und möglichst viele Berufs- und Personengruppen mitzudenken.
Man müsse in Österreich endlich ins Tun kommen, mahnt Susanne Erkens-Reck, Msc, General Manager, Roche Austria. Denn während man hierzulande noch nicht einmal die Rahmenbedingungen abgesteckt habe, seien digitale Gesundheitsanwendungen in anderen Ländern schon längst Teil der Regelversorgung. Um nicht den Anschluss zu verlieren und rasch bewährte Lösungen zu implementieren, schlägt sie vor, lokale Zulassungs- und Erstattungsprozesse rasch zu etablieren. „Dabei sollte man auf Doppelgleisigkeiten in der Prüfung verzichten und Nachweise aus einem vorangegangenen MDR oder CE-Prüfungsverfahren übernehmen“, so Erkens-Reck. Als unabdingliche Notwendigkeit sahen die Teilnehmenden des Gipfelgespräches in diesem Zusammenhang die Implementierung zumindest einer (besser zwei) sogenannten „benannten Stelle“, die eine EU-konforme Zulassung von Medizinprodukten in Österreich vornehmen kann.
Notwendige Schritte rasch setzen
Für eine erfolgreiche Implementierung digitaler Gesundheitsanwendungen sei, so die Teilnehmenden, eine verbindliche Zieldefinition nötig, welchen Nutzen man sich von Anwendung verspricht. Zudem sollte es eine Timeline geben, die in absehbarer Zukunft konkrete Realisierungsschritte vorsieht. Hier brauche es auch eine Priorisierung der einzelnen Schritte. Bei der Bewertung einzelner Anwendungen muss ein Umdenken stattfinden, da im Endeffekt nur die Patient:innen klar sagen können, ob eine digitale Lösung ihnen tatsächlich hilft. Hierzu bedarf es einer Erfassung qualifizierter Rückmeldungen. Um eine Ordnung in die Angebote zu bringen, erachteten die Expert:innen es als sinnvoll, eine klare Abgrenzung zwischen CE-zertifizierten Medizinprodukten und Lifestyle-Anwendungen zu treffen und entsprechende Qualitätskriterien, Anforderungen und Kompatibilitätsvoraussetzungen zu benennen.
DIGAs gute Ergänzung
Um die Chancen von Start-ups zu erhöhen, die Kriterien von Medizinprodukten zu erfüllen, wäre eine entsprechende Förderung notwendig. Dieses Regelwerk müsse so ausgestaltet sein, dass eine Erstattung durch das Sozialversicherungssystem möglich wäre. Grundsätzlich, so die Teilnehmenden, wären digitale Gesundheitsanwendungen eine gute Ergänzung zu bestehenden Angeboten, jedoch müsse man darauf achten, dass sie auch tatsächlich angewendet und nicht wie manche Medikamente nur verschrieben werden. Dazu müsse deren Nutzen für Patient:innen, Ärzt:innen wie Gesundheitspersonal klar kommuniziert werden. Aufräumen wolle man auch mit diversen Legenden und Fehlinformationen, wie beispielsweise, dass Telekonsultationen nicht abgerechnet werden können. Einig waren sich die Expert:innen, dass bei allen Möglichkeiten, die die Digitalisierung biete, dennoch der persönliche Kontakt mit den Patient:innen der Goldstandard bleiben muss.
„Neben einer benannten Stelle zur rascheren Zulassung in Österreich braucht es bei digitalen Anwendungen ein internationales Denken und einen pragmatischen Zugang bei der Zulassung. Zudem müssen der Bevölkerung der Nutzen sowie die schon bestehenden Möglichkeiten gut kommuniziert werden“, fasste DI Dr. Franz Leisch, Chief Digital Officer des Vereins PRAEVENIRE, die wichtigsten Punkte und Forderungen zusammen. Zudem kündigte er an, dass das Thema Digital Health bei den 10. PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen in Alpbach (6. bis 10. Juli 2023) weiter vorangetrieben wird.
Es diskutierten:
- Hon.-Prof. Dr. Gerhard Aigner, Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
- Dr. Clemens Billek, Founder und Geschäftsführer, drd doctors online GmbH
- Univ.-Prof. Dr. Matthias Bolz, Vorstand der Klinik für Augenheilkunde am Kepler Universitätsklinikum Linz, Gesellschafter Vivellio App, blockhealth GmbH
- Prof. (FH) Mona Dür, PhD, MSc, Geschäftsführerin Duervation GmbH, Präsidentin der Austrian Association of Occupational Science (AOS)
- Susanne Erkens-Reck, Msc, General Manager, Roche Austria
- MMag. Michael Hackl, cSPM, SPcM, Digitalisierungskoordinator, IT-Services der Sozialversicherung GmbH
- Dipl.Ing. (FH) Humayaun Kabir, MBA, Direktion Medizininformatik und Informationstech-nologie, Oberösterreichische Gesundheitsholding
- Sebastian Mörth, MSc, Principal Government Affairs Specialist Austria & Switzerland, Medtronic
- Sebastian Schneider, Geschäftsführung, heartfish GmbH
- Prof. Dr. Reinhard Riedl, Dozent an der Berner Fachhochschule
- Angelika Widhalm, Präsidentin, Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE)
Sehen Sie alle Gipfelgespräche hier: https://gesundheitstage.co.at/mediathek/
Siehe auch OTS0075 und OTS0169 vom 25.05.2023.
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