Digitalisierungsprojekt des Wiener Stadt- und Landesarchivs: Die Verstorbenen der Zwischenkriegszeit nun für die Forschung fassbar

Ein wichtiges Digitalisierungsprojekt hat das Wiener Stadt- und Landesarchiv abgeschlossen: Der Erfassung von Verstorbenen der Zwischenkriegszeit. Die zuständige Stadträtin Veronica Kaup-Hasler erläutert: „Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war geprägt durch eine Reihe von großen wirtschaftlichen als auch politischen Krisen. Armut, Krankheiten und zunehmende Gewalt prägten die damalige Gesellschaft und sind auch in den historischen Quellen dieser Zeit zu finden. Das Wiener Stadt- und Landesarchiv hat über eine halbe Millionen Datensätze zu in Wien während der Zwischenkriegszeit verstorbenen Personen angelegt. So lassen sich beispielsweise die Toten des Justizpalastbrandes ebenso wie die verstorbene Juden und Jüdinnen 1938 nachweisen. Ich gratuliere den Mitarbeiter*innen der MA8 zu dieser hervorragenden Leistung.“

Projekt zur Erfassung von Verstorbenen der Zwischenkriegszeit
Ein umfangreiches Projekt, das das Wiener Stadt- und Landesarchiv in der Corona-Pandemie begonnen hat, ist nun abgeschlossen. Innerhalb von drei Jahren wurden das Verzeichnis der Verstorbenen von 1919 bis 1927 und der Index der Totenbeschaubefunde von 1928 bis 1938 namentlich erfasst. Die entstandenen rund 523.600 Datensätze zu verstorbenen Personen in Wien decken die gesamte Zwischenkriegszeit ab und bieten eine reichhaltige Quelle für wissenschaftliche und genealogische Forschung. Die Daten lassen sich komfortabel im Archivinformationssystem abfragen und die entsprechenden Akten kann man online bestellen.

Der Totenbeschaubefund als Quelle für Einzelschicksale
Durch eine Recherche im Wiener Archivinformationssystem (WAIS) lässt sich feststellen, ob eine gesuchte Person tatsächlich in Wien verstorben ist. Wenn der Name bei einer Volltextsuche nach Vor- und Nachname aufscheint, besteht eine gute Chance, dass zu dieser Person auch ein Totenbeschaubefund vorhanden ist.

Der Totenbeschaubefund enthält die persönlichen Daten der verstorbenen Person, etwa letzter Wohnort, Sterbeort, Sterbedatum, Todesursache, Beerdigungsdatum und Friedhof. Diese Details zum Tod in Wien liefern wichtige Anhaltspunkte für weitere biografische Nachforschungen. Die ersten Schritte hierfür können nun bequem online gemacht werden.

Die tragischen Umstände des Todes sind nur in den seltensten Fällen in den amtlichen Unterlagen dokumentiert. Die Totenbeschau beschränkt sich auf die ärztlich feststellbaren Fakten. Historische Ereignisse lassen dennoch größere Zusammenhänge hinter den Einzelschicksalen erkennen. So führte etwa der „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 zu einer Reihe von Selbstmorden, die sich auch in dieser Quelle niederschlagen. Ein bekannter Fall ist etwa jener von Egon Friedell, der am 16. März 1938, als zwei SA-Männer sich Zugang zu seiner Wohnung verschaffen wollten, durch einen Sprung aus dem Fenster im dritten Stock den Tod fand.

Wichtige Archivalien für sozialgeschichtliche Forschungen
In ihrer Gesamtheit sind die Totenbeschaubefunde eine wertvolle sozial- und medizingeschichtliche Quelle, die wichtige Schlüsse auf das Leben und Sterben der Wiener Bevölkerung in der Zwischenkriegszeit zulassen. Sie ermöglichen Analysen der Säuglings- und Kindersterblichkeit, der Verbreitung der (Lungen-)Tuberkulose oder können auch auf außergewöhnliche Todesursachen wie Mord, Selbstmord oder Unfälle hin ausgewertet werden.

Eine Quelle mit Besonderheiten
Die erfassten über 500.000 Datensätze enthalten nicht nur die Sterbedaten von namentlich bekannten Wienerinnen und Wienern. Auch eher ungewöhnliche Einträge sind in den Akten zu finden, so etwa 71 Einträge zu nicht identifizierbaren Knochen, meist aus dem Gebiet von ehemaligen Friedhöfen, acht Einträge zu skelettierten Schädeln, aber auch 34 nicht identifizierte Wasserleichen sind verzeichnet. Überführungen von Verstorbenen, Exhumierungen und Grabzusammenlegungen sind ebenfalls verzeichnet. Auch Bestattungen in Armengräbern („Freileichen“), die sonst schwer nachweisbar sind, sind nun fassbar.

Verzeichnis der Verstorbenen (1920-1927)
Das Verzeichnis der Verstorbenen deckt den Zeitraum von 1868 bis 1942 ab, die Seiten des Verzeichnisses sind als über 81.000 Digitalisate online verfügbar. Namentlich erfasst sind die Einträge vom 19.12.1919 bis Ende 1927. Eingetragen wurden die Namen der Verstorbenen, das Todesdatum und das Alter, womit die Person für die Forschung eindeutig identifizierbar ist. Für weitere Informationen zur gesuchten Person stehen in der Folge die Totenbeschaubefunden zur Verfügung. Unter Angabe des Namens und des Todesdatums kann der Totenbeschaubefund zur Einsicht im Lesesaal bestellt werden.

Der Umfang dieser Quelle zeigt sich beispielsweise anhand der Toten des Justizpalastbrandes 1927. Im Verzeichnis der Verstorbenen finden sich für den 15. Juli 1927 unzählige Einträge zu den insgesamt 85 getöteten Demonstrierenden und den vier toten Polizisten. Die Namen von Verstorbenen mit Todesursachen wie „Oberschenkelschuss“, „Verblutung“, „Beckenschuss, Verblutung“, „Schuss durch das Herz“, „Schädelzertrümmerung (Hufschlag?)“ füllen ganze Seiten.

Link zum Eintrag: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Friedhofsbücher und Sterbeverzeichnisse, B1 – Verzeichnis der Verstorbenen: Band 58 

Index der Totenbeschau (1928-1938)
Der digitalisierte und erschlossene Index der Totenbeschau öffnet den Zugang zu den Totenbeschaubefunden und Grabanweisungen und besteht aus chronologisch und phonetisch geordneten Einträgen zu Verstorbenen von 1928 bis 1938. Im Index findet sich der Name der verstorbenen Person, der Sterbemonat und das Sterbejahr, der Friedhof und die Art des Grabes, sowie die sogenannte JA(Journalartikel)-Nummer, nach der die Akten geordnet und abgelegt sind.  

Links zu den Quellen – Beispiel der Volltextsuche

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Friedhofsbücher und Sterbeverzeichnisse, B1 – Verzeichnis der Verstorbenen

Index der Totenbeschau:

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Totenbeschreibamt, B2 – Totenbeschau: Index

Totenbeschaubefunde:

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Totenbeschreibamt, A1 – Totenbeschaubefunde; Grabanweisungen

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