Am Tag der Inklusion am 5. Mai veranstaltete die Interessensvereinigung für psychische Gesundheit IDEE Austria ein sogenanntes Living Library- Event in Wien. Dabei erzählten Betroffene als „lebende Bücher“ von ihrem Weg aus der psychischen Krise. IDEE Austria ruft damit zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen auf und schafft einen Safe Space für Betroffene und Angehörige.
Der heutige Tag der Inklusion stand im Wiener Billrothhaus ganz im Zeichen der psychischen Gesundheit. Angehörige, Betroffene und Interessierte konnten in einer „Living Library“ ein sogenanntes „lebendes Buch“ ausborgen und mit diesem für einen festgelegten Zeitraum in Dialog treten. Insgesamt zehn Menschen mit unterschiedlichen Krisenerfahrungen erzählten als lebende Bücher von ihrem persönlichen Weg aus der psychischen Krise.
Der Veranstalter IDEE Austria ruft damit zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen auf und schafft einen offenen Raum für Betroffene und Angehörige.
„Immer mehr Menschen in Österreich sind psychisch belastet. Gleichzeitig schrecken viele davor zurück, über ihre Erkrankungen zu sprechen. Sie halten ihre Krankheit zurück, fühlen sich als Versager:innen, haben außerdem Angst in Familie oder Arbeit ausgegrenzt zu werden oder gar den Job zu verlieren. Aus unserer tagtäglichen Arbeit wissen wir jedoch: Eine psychische Krise kann jeden und jede treffen. Es ist höchste Zeit für einen offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen in Österreich“
, sagt IDEE Austria – Vorsitzender Elmar Kennerth.
In einer Videobotschaft betont auch Gesundheitsminister Johannes Rauch, dass viele Menschen von psychischer Belastung bzw. Erkrankung betroffen sind. "Dennoch ist Stigmatisierung aufgrund psychischer Erkrankung und ihrer Folgen nach wie vor deutlich. Die Enttabuisierung psychischer Belastung und die Stärkung psychosozialer Gesundheit sind mir persönlich ein großes Anliegen"
, so Rauch.
Austausch mit Betroffenen gibt Hoffnung und Zuversicht
39 Prozent der Menschen in Österreich waren 2020 in der Vergangenheit oder Gegenwart von psychischen Erkrankungen betroffen. Vor allem auch Kinder und Jugendliche sind durch Pandemie, Krieg und Wirtschaftskrisen der letzten Jahre schwer belastet und brauchen Unterstützung. Laut einer Studie im Jahr 2021 denkt jede:r sechste Schüler:in ab 14 Jahren in Österreich über Suizid nach, jede:r zweite hat Anzeichen einer Depression.
Eine solche Jugendliche war auch die heute 37-Jährige Oana Iusco aus Graz. Als 18-Jährige war sie nach mehreren Suizidversuchen immer wieder stationär im Krankenhaus. Die Prognose der Ärzt:innen: Sie werde wegen ihrer psychischen Erkrankungen kein eigenständiges und stabiles Leben führen können. Oana schaffte jedoch genau das. Heute fühlt sie sich gesund und hat so viel Lebensqualität wie nie zuvor. Sie arbeitet als ausgebildete Peer-Beraterin bei der Selbsthilfeorganisation Achterbahn Steiermark und unterstützt junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen. Als lebendes Buch teilte sie bei der heutigen Veranstaltung ihren Genesungsweg: „Für mich persönlich war es am wichtigsten, mich von meinen Selbstvorwürfen zu befreien. Oft hat man ein beschämendes Druckgefühl, wenn man eine psychische Erkrankung hat oder eine Diagnose bekommt. Man ist davon überzeugt, dass es einen schlecht geht, weil man etwas falsch gemacht hat. Ich sehe häufig, dass in dem Moment, in dem man diese Gefühle teilt, auch der Druck von den Schultern fällt. Das macht Veranstaltungen wie diese so wichtig, weil man sich austauschen kann. Man fühlt sich nicht mehr wie ein Alien, sondern bekommt Mut, Hoffnung und Kraft.“
Politik ist gefordert: Mehr Peer- und Selbsthilfeangebote sowie existenzielle Absicherung
Veranstaltungen wie „Lebende Bücher erzählen“ können ein erster Schritt sein, um offener mit psychischen Erkrankungen umzugehen. Doch auch die Politik ist gefordert. In Österreich gibt es nach wie vor dramatische Versorgungslücken. Aktuell gibt es etwa 156 Kassenärzt:innen für Psychiatrie in Österreich. Das bedeutet, dass durchschnittlich ein:e Kassenpsychiater:in eine Bevölkerung von 58.000 Menschen (eine Stadt wie St. Pölten) versorgt. Laut ÖSG (Österreichischer Strukturplan Gesundheit) wäre eine Versorgungsdichte von ca. 35.000 pro Psychiater:in anzustreben. Das ergibt einen zusätzlichen Bedarf von ca. plus 60 Prozent. Patient:innen müssen aktuell jedoch bis zu sechs Monate auf ein Erstgespräch bei Kassenpsychiater:innen oder Kassenpsychotherapeut:innen warten. Für Menschen mit schweren Symptomen oder akuter Suizidgefahr unzumutbar und lebensbedrohlich. IDEE Austria Vorsitzender Elmar Kennerth: „Wichtig ist, dass die Existenzsicherung eine Basis für den Erhalt der psychischen Gesundheit bildet und umfassende psychosoziale Hilfestellung jedem Menschen kostenlos und niederschwellig zugänglich sein muss. Selbsthilfeangebote und Peer-Arbeit müssen dementsprechend finanziert werden. Der Ausbau des Ehrenamtes kann in diesem Zusammenhang nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
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Über IDEE Austria
Der Dachverband IDEE Austria ist die unabhängige Interessenvereinigung von Erfahrungsexpert:innen für psychische Gesundheit und besteht aus Interessensvertretungen und Selbsthilfegruppen in Österreich. IDEE Austria vertritt Anliegen und Aktivitäten rund um das Thema psychische Gesundheit gegenüber Entscheidungsträger:innen in Politik und Verwaltung, sowie gegenüber Leistungsträgern im Gesundheitswesen auf Bundesebene.
Ziel ist es, mit dem Erfahrungswissen der Mitgliedsorganisationen an Planungs- und Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Basis für die Arbeit ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).
Weitere Infos: www.dv-idee.at
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