"Die Demokratie ist etwas, das wir niemals aufgeben sollten", sagt Josefine Kothbauer. Die Wienerin wird heuer 99 Jahre alt. Sie zählt zu den ältesten Besucherinnen im frisch sanierten Parlament – und sie ist die hunderttausendste Besucherin. Politikerin zu werden, war für sie nicht möglich, denn "wir haben ein Gasthaus in Wien gehabt, seit ich denken kann", sagt sie. Josefine Kothbauer hat es nach dem Zweiten Weltkrieg von ihren Eltern übernommen und immer hart gearbeitet, gemeinsam mit ihrem Mann. Er war für die Küche zuständig, sie für den Gästebetrieb. Nachdem sich nach einem Bombentreffer das Haus gesenkt hatte, in dem ihr Fischrestaurant untergebracht war, musste das Ehepaar mit dem Restaurant in die Gonzagagasse übersiedeln. Die Kothbauers hatten sich auf Aale spezialisiert.
Vom sanierten Parlamentsgebäude ist Josefine Kothbauer begeistert. "Mir gefällt die Mischung aus der alten Pracht und den modernen Bereichen, wie zum Beispiel dem Nationalratssaal", sagt sie. Fasziniert ist sie von den vielen Details im historischen Sitzungssaal. "Es ist unglaublich, was die Architekten und Künstler früher gekonnt und geleistet haben."
Im Parlament empfing Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die hunderttausendste Besucherin. Er führte die rüstige Frau durch die Parlamentsbibliothek und zeigte ihr sein Büro. "Von da aus sieht man auf den Schmerlingplatz – da habe ich meinen Führerschein gemacht", sagt Josefine Kothbauer. "Das war 1950. Ich habe die Führerscheinnummer 1/1950 gehabt." Sie war die Erste, die 1950 die Führerscheinprüfung in Wien absolviert hatte.
"Da können wir stolz sein"
Auf das sanierte Parlament "können wir als Österreicher schon sehr stolz sein", meint die Besucherin. Parlamentsdirektor Harald Dossi ist das auch. "Wir haben schon damit gerechnet, dass das Interesse groß sein würde", sagt Dossi. "Aber dass es so überragend sein wird, hat mich überrascht." Ausgehend vom offiziellen Eröffnungstag, dem 16. Jänner 2023, wäre das Knacken der 100.000er-Besuchszahl erst für den Sommer erwartet gewesen. Nun war es schon am 29. März 2023 so weit – also in der Hälfte der Zeit.
"Das ist natürlich auf der einen Seite erfreulich", sagt der Parlamentsdirektor. "Auf der anderen Seite bedeutet es eine hohe Herausforderung für die Ressourcen-Situation im Haus, speziell für die Kolleginnen und Kollegen, die diesen Bereich betreuen." Hauptsächlich gelte es, die Kernaufgaben des Parlaments sicherzustellen – etwa die Ausschussarbeit oder den Plenarbetrieb. "Das muss reibungslos funktionieren – neben den hohen Besuchszahlen", betont Dossi.
Etwa 60.000 der 100.000 Besucherinnen und Besucher nahmen an einer Führung durch das Haus teil, die anderen verfolgten Plenarsitzungen von der Galerie aus, besuchten das Restaurant Kelsen oder besichtigten das neue Besucher:innenzentrum "Demokratikum – Erlebnis Parlament". 2.500 Schülerinnen und Schüler besuchten zudem Workshops der Demokratiewerkstatt im Plenarium im obersten Stockwerk des Hauses. Auch die Bibliothek verzeichnet hohe Steigerungsraten: Seit der Eröffnung wurden 754 Bücher entlehnt – im Vergleichszeitraum 2022 waren es 248 Bücher.
Bis zu acht Führungen pro Tag – "Da macht man Kilometer"
Besonders gefordert durch die hohen Besuchszahlen sind die Vermittlerinnen und Vermittler – von montags bis samstags. "An starken Tagen habe ich bis zu acht Führungen – da macht man Kilometer", schildert Kaspar Wohlleb. Die ersten Besuchsgruppen starten um 8.30 Uhr, die letzten verlassen gegen 19 Uhr das Haus. Besonders interessant findet Wohlleb Führungen mit Familien. "Da lässt sich oft nachvollziehen, ob und wie Demokratie bei ihnen zu Hause gelebt wird", erzählt er. "Und oft haben die Familienmitglieder so etwas wie die Erkenntnis, dass Demokratie schon in der Familie beginnt."
Wohlleb ist einer von derzeit 22 Vermittlerinnen und Vermittlern. Er ist seit 2012 staatlich geprüfter Fremdenführer und führt Gruppen und einzelne Personen durch Wien auf Stadtspaziergängen, im Bus und im Auto. Am liebsten sind ihm Führungen per Fahrrad. Derzeit spult er seine Kilometer aber hauptsächlich im Parlament herunter.
Parlamentsdirektor Dossi sieht es als "Bestätigung", dass man sich dafür entschieden hat, das Parlamentsgebäude zu sanieren. "Das hohe Interesse der Menschen am Parlament zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Verständnis dafür haben, dass man ein so wichtiges Gebäude generalsaniert." (Schluss) gb
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