Wien (OTS) – Skifahren und Fußball – schon in den 1930er Jahren österreichische Nationalsportarten. Mit dem „Anschluss“ 1938 ändert sich alles – jüdische Spitzensportler und Funktionäre werden verfolgt oder ermordet, die Sportverbände in den NS-Reichsbund für Leibesübungen eingegliedert, die „arischen“ Sportler erst als Draufgänger und Himmelhunde, dann als Kriegshelden inszeniert. Martin Betz geht für die neue „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Braune Brettln, braunes Leder“ am Dienstag, dem 4. April 2023, um 22.35 Uhr in ORF 2 auf Spurensuche: auf die Fußballplätze in Wien und die Skipisten von Kitzbühel und St. Anton; aber auch zu den versteckten Plätzen der Flucht und den verdrängten Orten von Verbrechen – bis nach Frankreich, Holland und Griechenland.
Der Film wurde gestern, am Donnerstag, dem 30. März, in Anwesenheit von ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz, ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher, des ehemaligen ORF-Generaldirektors und nunmehrigen Rapid-Präsidenten Alexander Wrabetz, von Österreichs Jahrhundertfußballer und Austria-Legende Herbert Prohaska, ORF-TV-Hauptabteilungsleiter Wissenschaft Tom Matzek und des früheren „Menschen & Mächte“-Redaktionsleiters Andreas Novak im ORF-Mediencampus präsentiert. Im Gespräch mit Moderatorin Karoline Rath-Zobernig erläuterten Robert Gokl (ORF-Wissenschaft) und Gerhard Lackner (ORF-Sport), Regisseur Martin Betz, Thomas Schwarz, Enkel des damaligen Austria-Präsidenten Emanuel „Michl“ Schwarz, und Franz Binder jun., Sohn von Rapid-Ikone Franz „Bimbo“ Binder, die Besonderheiten der ORF-Eigenproduktion, die als interdisziplinäre Zusammenarbeit der Hauptabteilungen Wissenschaft und Sport, gefördert von der Verwertungsgesellschaft Rundfunk, entstand.
ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz: „Man muss seine Geschichte kennen und sie verstehen, um aus ihr zu lernen und aktuelle Ereignisse und Mechanismen entsprechend einordnen zu können. Und genau darin liegt die Bedeutung der Reihe ‚Menschen & Mächte‘ und von Filmen wie ‚Braune Brettln, braunes Leder‘ für den ORF und sein öffentlich-rechtliches Selbstverständnis.“ Und weiter: „Besonders freut mich die richtungsweisende Kooperation von ORF-Wissenschaft und ORF-Sport bei dieser Dokumentation, die Geschichte spürbar macht. Die unterschiedlichen Fachkompetenzen der Redaktionen haben neue Zugänge und Sichtweisen auf das Thema ermöglicht. Ich danke allen am Zustandekommen der Dokumentation Beteiligten.“
Rapid-Präsident Alexander Wrabetz: „Zu einer großen Vereinsgeschichte und -tradition gehört, nicht nur die Sonnenseiten hervorzuheben, sondern sich auch mit den Schattenseiten differenziert auseinanderzusetzen. Und genau darin liegt das Verdienst dieser wichtigen ‚Menschen & Mächte‘-Dokumentation, zu der ich allen Beteiligten gratuliere, weil sie eine Sportgeschichte und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Bereich abbildet, wo – sehr fokussiert – alles drinnen ist, was sich damals in der Gesamtgesellschaft abgespielt hat.“
Robert Gokl, ORF-Wissenschaft: „Es ist das Kennzeichen eines totalitären Regimes, alle Lebensbereiche unter seine Gewalt zu bringen. Auch den Sport. Es konnte daher im NS-System keinen unpolitischen Sport, keinen unpolitischen Sportler geben. Die tiefen Spuren, die das NS-System auf Fußballfeldern und Ski-Pisten hinterlassen hat, zeigt die ‚Menschen & Mächte‘-Dokumentation auf. Und auch, wie weit diese Spuren in die Zweite Republik hineinreichen.“
Gerhard Lackner, ORF-Sport: „Als langjähriger redaktioneller Mitarbeiter des ORF SPORT war und ist mein Berufsalltag von der Aktualität bestimmt. In unterschiedlichen Funktionen – vom Reporter bis zum Sendungsverantwortlichen – macht für mich seit jeher das Reagieren auf aktuelle Ergebnisse und Ereignisse den besonderen Reiz meiner täglichen Arbeit aus. An der ‚Menschen & Mächte‘ Dokumentation ‚Braune Bretteln, braunes Leder‘ mitwirken zu können, eröffnete mir eine völlig neue Perspektive, wie man (auch) ,Fernsehen machen‘ kann. Über ein Jahr hinweg ein Projekt zu entwickeln und ständig weiterzutreiben, Hintergründe und Quellen zu recherchieren, Archivmaterial auszuwerten und in Einklang mit Interviews von Zeitzeugen und ExpertInnen zu bringen – all das neben vielen weiteren Arbeitsschritten unter einen Hut = in eine ebenso sehenswerte wie aufwühlende Dokumentation zu bringen, nötigt mit größten Respekt ab.“
Regisseur Martin Betz: „In den letzten Jahren haben Historiker verdienstvolle Arbeiten zur Aufarbeitung der Verstrickung des österreichischen Fußballs und Skisports mit dem Nationalsozialismus veröffentlicht. Dennoch gab es bisher kaum eine filmische Aufbereitung des Themas. Während der Recherchen wurde mir schnell klar, dass diese Verstrickung so umfassend war, dass eine filmische Dokumentation nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Zu viele Sportler und Funktionäre wurden zu Tätern, entsprechend groß war die Zahl der Opfer. Mir war daher daran gelegen, nachvollziehbar zu machen, wie sich die Verwerfungen im Sport nach dem ‚Anschluss‘ für jene anfühlten, die ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden. Und ich stieß dabei auch auf Geschichten von Tätern, die ebenso zu Opfern wurden: weil sie durch die politische Instrumentalisierung des Sports in einem sinnlos-blutigen Krieg ihr Leben lassen mussten.“
Menschen & Mächte: „Braune Brettln, braunes Leder“ – 4. April, 22.35 Uhr, ORF 2
Fußball und Skifahren – Nationalsportarten in Österreich, schon seit den 1930er Jahren. Mit dem „Anschluss“ 1938 wurden auch die Sportvereine in das NS-System eingegliedert. Jüdische Spitzensportler und Funktionäre wurden vertrieben oder ermordet. „Arische“ Sportler inszenierte die NS-Propaganda als Helden, Draufgänger, Himmelhunde. Im „totalen Krieg“ mussten auch sie an die Front, ihr größter Sieg hätte der „Endsieg“ werden sollen. Martin Betz analysiert, wie der Nationalsozialismus den Sport missbrauchte; wie viele bekannte Sportler begeistert daran mitwirkten; und wie nach 1945 unter rot-weiß-roten Fahnen weitergespielt und gesiegt wurde, als ob nichts geschehen wäre.
Details zur „Menschen & Mächte“-Neuproduktion sind unter presse.ORF.at abrufbar.
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