Psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen: Therapiebedarf ist deutlich höher als erwartet

Auf Verlangen der NEOS hat der Nationalrat in seiner heutigen Sitzung auch über das Projekt "Gesund aus der Krise" diskutiert. Dieses war vom Gesundheitsministerium in Reaktion auf die hohe psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in Folge der Corona-Pandemie ins Leben gerufen worden. Nun liegen erstmals ausführlichere Daten über das Projekt in Form einer schriftlichen Anfragebeantwortung durch Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch vor. Mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche haben sich demnach bereits für das Projekt angemeldet, rund 8.800 davon konnten – mit Stand Anfang Februar – an Psychotherapeut:innen bzw. Psycholog:innen vermittelt werden. Dabei hat sich laut Rauch auch gezeigt, dass die Störungsbilder der betreuten Kinder und Jugendlichen zum Teil wesentlich schwerwiegender sind, als vorab erwartet. Eine notwendige weiterführende Behandlung in der Regelversorgung nach den maximal 15 bis 20 gewährten Therapieeinheiten gestaltet sich aufgrund der kapazitätsmäßig begrenzten Kassenleistungen aber oft schwierig.

Gestellt worden war die parlamentarische Anfrage von den NEOS. Abgeordneter Yannick Shetty nahm die Antwort des Ministers heute einmal mehr zum Anlass, um Psychotherapie auf Krankenschein zu fordern. Obwohl der Gesundheitsminister in der Anfragebeantwortung eingestanden habe, dass man fast 60.000 Kinder und Jugendliche im Regen stehen lasse, erkenne die Regierung den Ernst der Lage nicht, kritisierte er. Viele Kinder und Jugendliche würden mit Essstörungen und anderen Problemen alleine gelassen. Psychische Erkrankungen seien zu einer Volkskrankheit geworden, sie würden aber nicht als solche behandelt, so Shetty. Dabei sei eine "kranke Seele" ebenso eine Krankheit wie ein gebrochener Fuß. Shetty forderte Rauch in diesem Sinn auf, dem Thema Psychotherapie auf Krankenschein oberste Priorität einzuräumen.

Gesundheitsminister Rauch ließ den Vorwurf der Untätigkeit nicht gelten. Das Gesundheitsministerium habe in Reaktion auf die Zunahme psychischer Belastungen bei Kinder und Jugendlichen eine ganze Reihe von Initiativen gesetzt, bekräftigte er. So habe sich das Projekt "Gesund aus der Krise" zu einem der erfolgreichsten Projekte entwickelt, was einen niederschwelligen Zugang zu psychologischer und psychotherapeutischer Hilfe betrifft. Diese kurzfristige Maßnahme habe sehr rasch gewirkt. Durch eine Aufstockung der Budgetmittel im heurigen Jahr könnten außerdem zusätzlich 10.000 Kinder und Jugendliche erreicht werden.

Als weitere Maßnahmen nannte Rauch die Förderung 14 neuer psychosozialer Gesundheitsprojekte und die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zudem hätten junge Menschen mit finanzieller Unterstützung des Gesundheitsministeriums viele Eigeninitiativen gestartet. Aktuell sei eine Reform der Psychotherapieausbildung in Ausarbeitung. Rauch geht davon aus, dass ein entsprechender Gesetzentwurf noch heuer dem Nationalrat vorgelegt werden kann.

Opposition fordert mehr Budgetmittel

Als "hervorragende Initiative" und "Musterprojekt" wertete Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP) das Projekt "Gesund aus der Krise". Sie verstehe nicht, warum Abgeordneter Shetty das Projekt schlecht reden wolle, meinte sie. Aufgrund der großen Nachfrage habe man das Budget für heuer von 12 Mio. € auf 20 Mio. € erhöht. Klar sei aber auch, dass Essstörungen und Selbstverletzungen von Kindern und Jugendlichen schon vor der Pandemie im Ansteigen begriffen gewesen seien. "Wir haben alle das gleiche Ziel", betonte Scheucher-Pichler und rief die Abgeordneten zur Zusammenarbeit auf.

Das zur Verfügung stehende Budget sei ein Tropfen auf dem heißen Stein, hielt Elisabeth Feichtinger (SPÖ) Scheucher-Pichler entgegen. Das Projekt "Gesund aus der Krise" an sich sei "nicht schlecht", räumte sie ein, es bräuchte aber wesentlich mehr Mittel. Viele Familien könnten sich keine Therapie leisten. Konkret schilderte Feichtinger einen Fall, wo ein Kind erst nach einem Suizid-Versuch eine von der Kasse finanzierte Therapie bekommen habe. Sie wies zudem auf die Überlastung vieler Therapeut:innen durch den bestehenden Personalmangel hin.

"Zu wenig und zu spät" lautete auch das Resümee von FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. Keine Bevölkerungsgruppe habe in den letzten drei Jahren so stark unter den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung gelitten, wie Kinder und Jugendliche, meinte er. Schon im Sommer 2021 habe es erste Alarmsignale gegeben, dass sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen massiv verschlechtert habe. Das "Vorzeigeprojekt" "Gesund aus der Krise" kann für ihn in diesem Sinn nur ein erster Schritt sein, um die entstandenen Schäden zu beseitigen. Um eine Überführung der Betroffenen in die Regelversorgung zu ermöglichen, forderte Kaniak eine Verdreifachung oder Vervierfachung der zur Verfügung stehenden Mittel. Alle Menschen, die eine Therapie brauchen, müssten eine Behandlung auf Kassenkosten bekommen.

Ralph Schallmeiner (Grüne) führt die aktuelle Situation auf jahrzehntelange Versäumnisse zurück und bekräftigte, dass die Regierung auf die Probleme reagiert habe. Das Projekt "Gesund aus der Krise" funktioniere gut, man bekomme zumeist schnell einen Therapieplatz. Auch dass sich klinische Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen erstmals zusammengetan haben, sieht Schallmeiner als Vorbild für die Zukunft. Für eine der nun anstehenden Aufgaben hält er es, klinische Psycholog:innen in den Abrechnungsmodus der Krankenkassen hineinzubekommen.

NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler bekräftigte die Forderung ihrer Fraktion nach Psychotherapie auf Krankenschein. Schließlich würden schon seit Jahren höhere Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, um Psychotherapie-Leistungen zu finanzieren. "Wir müssen da schneller werden und in die Gänge kommen", forderte sie und verwies in diesem Zusammenhang, wie zuvor schon ihr Fraktionskollege Shetty, auf eine von den NEOS initiierte Petition. "Gesund aus der Krise" sei ein gutes Projekt, betonte Fiedler, es sei aber nicht ausreichend. (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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