TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 25. März 2023 von Wolfgang Sablatnig „Wenn die Freundschaft auf dem Spiel steht“

Im Streit um die Führung ist die SPÖ in eine tiefe Führungskrise hineingestolpert. Mitgliederbefragung und Parteitag können einen Ausweg weisen – wenn die Promis und die weniger bekannten Kandidaten dazu bereit sind.

So schnell kann es gehen. Nach der Kärntner Landtagswahl Anfang März suchte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im Streit um Führung und Ausrichtung der Partei die Entscheidung gegen Hans Peter Doskozil. Was aus ihrer Sicht gut begonnen hat, ist aber völlig aus dem Ruder gelaufen. Im Sog der Ereignisse dachte offenbar niemand mehr daran, was es bedeutet, wenn sogar künftige Mitglieder sich für den Vorsitz bewerben können.
Oder das Parteipräsidium traute sich einfach nicht mehr, Hürden einzuziehen – aus Angst, als undemokratisch gescholten zu werden. „Es kam, wie es kommen musste“, seufzte ein Mitglied der roten Führungsriege nach der Sitzung am Mittwoch. Dabei war zu diesem Zeitpunkt erst von fünf Kandidaturen die Rede. Erst später wuchs die Zahl auf mehr als ein Dutzend. Und erst später kam auch die Provokation eines rechten Polit- und Boulevardaktivisten, der in die SPÖ ein- und um den Chefsessel antreten wollte. Hier zog der steirische Parteisekretär die Notbremse und sprach dem umtriebigen Mann die ideologische Vertrauenswürdigkeit ab.
Dafür gibt es mit dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler in der Zwischenzeit einen ernsthaften Kandidaten, der auch über einen kleinen Kreis hinaus bekannt ist. 
Der Wiener Funktionär Nikolaus Kowall ist dafür schon wieder weg. Er hat dank Babler sein Ziel erreicht, eine Alternative zu Rendi-Wagner und Doskozil zu bieten. Weniger stolz sein kann er darauf, was seine Initiative sonst bewirkt hat. 
So weit der Stand gestern. Weitere Überraschungen waren nicht ausgeschlossen: Die Frist für Kandidaturen endete um Mitternacht.  Am Montag tagen die SPÖ-Granden wieder, um offene Fragen auf dem Weg zu Mitgliederbefragung und Parteitag zu klären. In einer idealen roten Welt bietet dieser Prozess die Chance, mit Mitgliedern und Öffentlichkeit sozialdemokratische Forderungen und Positionen zu diskutieren. 
In einer idealen roten Welt bleibt am Ende jene Person übrig, welche diese Ideale am glaubwürdigsten vertritt. Es kommt jene Person in den Vorsitz, der die Menschen abnehmen, sich für Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Schutz für die Schwachen einzusetzen. Jene Person, die mit Leidenschaft Politik macht und die Öffentlichkeit nicht mit hohlen Phrasen zumüllt.
So weit ist die SPÖ aber nicht. Zuerst müssen sich die Granden auf die „Freundschaft“ besinnen. Im Gruß tragen sie diese vor sich her. Danach gelebt haben sie zuletzt nicht. Leider. Denn die Krise der ihrem Anspruch nach staatstragenden und stolzen Partei schadet der ganzen Demokratie.

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