Peter Weibel war bereits in den 1960er-Jahren, als mit den gesellschaftlichen Umbrüchen auch eine radikale Politisierung der Kunst erfolgte, einer der treibenden und auch mutigsten Kämpfer gegen Tradition und Spießertum. Die skandalträchtige Aktion Kunst und Revolution an der Wiener Uni 1968, die auch als Uni-Ferkelei in die Geschichte einging, zeigte ihn mit seinen Künstlerkollegen Günter Brus, Otto Muehl und Oswald Wiener, wie er buchstäblich eine Brandrede gegen die bigotte und geschichtsverdrängende staatliche Politik hält. Er spitzte auch die Sprachbezüge der Wiener Gruppe zu, wenn er über die neue konkrete Poesie sagte, dass ihn weniger die Beziehungen der Wörter zueinander interessierten, als vielmehr der Bezug der Sprache zur gesellschaftlichen Realität. Die im Poststrukturalismus von den französischen Philosophen vorangetriebene Sprachphilosophie fand in Weibel nicht einfach einen Rezipienten, sondern jemanden, der es verstand, Theorien in künstlerische Taten umzusetzen und damit wiederum die Theorie zu befeuern. Wenn die Konzeptkunst in Österreich stärker als anderswo politische und sprachliche Züge trägt, dann ist dies Weibels Verdienst. Das beweisen auch seine gemeinsam mit VALIE EXPORT durchgeführten Aktionen, die zeigen, dass feministische Kunst auch eine männliche Seite haben konnte. Sein Einfluss auf eine jüngere Generation medienaffiner Künstler*innen bestimmt die Kunstgeschichte hierzulande bis heute.
Weibel war an Vielseitigkeit nicht zu übertreffen. Er reklamierte alle erdenklichen Rollen innerhalb des Kunstfeldes für sich und erfand, wenn notwendig, auch neue. Als Universalist gab er neben dem Künstler auch den Kritiker, den Kurator, den Theoretiker, den Wissenschaftler, den Professor, den Museumsdirektor, den Musiker etc. Es wunderte bei seinem Wissen und seiner Energie nicht, dass er schneller sprach als so mancher verstehen konnte. Legendär sind unter seinen vielen epochalen Großausstellungen mit äußerst umfangreichen und detailgenauen Publikationen auch seine kuratorischen Beiträge zur Biennale in Venedig, wenn er etwa 1993 mit internationalen Künstler*innen das Konzept nationaler Selbstdarstellung sprengte oder 1997 der Wiener Gruppe erstmals die ihr gebührende internationale Wahrnehmung verschaffte. Als langjähriger Leiter des ZKM in Karlsruhe war Weibel die Galionsfigur medienbasierter Kunst und Theorie. Dass von seinen Leistungen als Medientheoretiker letztlich auch Malerei und Objektkunst profitierten, lässt sich an zahlreichen von ihm konzipierten oder auch praktizierten Ausstellungen ersehen, in denen mediale Querverbindungen neue Erkenntnisse vermittelten. Anlässlich der Eröffnung des mumok 2001 wurde seine geschichtskritische Arbeit Die Vertreibung der Vernunft präsentiert und in die Sammlung integriert, in der sich weitere zentrale Arbeiten des Künstlers befinden, die den internationalen Stellenwert österreichischer Kunst in den Präsentationen im mumok unter Beweis stellen.
Für die Szene hierzulande war und ist Weibel mit seinen Aktivitäten ein Fenster zur Welt und ein Avantgardist im besten Sinne, der sich nicht einfach mit Vergangenem aufhielt, sondern sich ständig als Prophet und Analytiker des Kommenden versuchte. Auch wenn er zuletzt mit seiner Haltung zum Ukrainekrieg und zur Rolle Russlands zurecht für Verwunderung sorgte, kann sein Spürsinn für die Zusammenhänge zwischen Politik und Geistesgeschichte und sein darauf basierendes Engagement für eine bessere und aufgeklärte Welt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mit dem Tod Weibels verliert die Kunstwelt einen Multiakteur, dessen Leistungen nicht nur bleiben, sondern Ansporn für Künftiges sind.
Karola Kraus, Rainer Fuchs und das Team des mumok
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