Das Wahlrechtsänderungsgesetz 2023 hat den Bundesrat passiert. Die Mitglieder der Länderkammer folgten der Empfehlung des Verfassungsausschusses und stimmten in ihrer heutigen Sitzung einhellig dafür, keinen Einspruch gegen den entsprechenden Beschluss des Nationalrats zu erheben. Damit können die Änderung der Nationalratswahlordnung und anderer Wahlgesetze zeitnah kundgemacht werden. In Kraft treten sollen die neuen Bestimmungen Anfang 2024, also rechtzeitig vor den nächsten regulären Wahlen. Auch eine Novelle zum Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetz und das neue HinweisgeberInnenschutzgesetz blieben unbeeinsprucht.
Im Zuge der Diskussion über das HinweisgeberInnenschutzgesetz nahm Arbeitsminister Martin Kocher auch zur aktuellen Debatte über eine etwaige Kürzung von Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte Stellung, nachdem SPÖ-Fraktionsvorsitzende Korinna Schumann den Vorstoß Kochers massiv kritisiert hatte. Er wolle Frauen und Müttern nichts wegnehmen, versicherte Kocher, es gebe aber einen Trend bei jüngeren Menschen, nicht mehr Vollzeit zu arbeiten. Darüber müsse man eine Debatte "ohne Emotionen" führen. Schließlich brauche man die Beiträge arbeitender Menschen, um den "sehr gut funktionierenden" Sozialstaat abzusichern.
Breites Lob für Wahlrechtsreform
Kernziel der Wahlrechtsreform ist es, bereits am Wahltag ein Wahlergebnis zu haben, das nahe am Endergebnis liegt. Erreicht werden soll das insbesondere durch neue Zustellregeln für die Post und eine vorgezogene Auszählung von Briefwahlstimmen durch die Sprengelwahlbehörden. Zudem wird quasi ein individueller Vorwahltag eingeführt, indem es künftig österreichweit möglich sein wird, die Stimme bereits bei Abholung einer Wahlkarte am Gemeindeamt bzw. beim Magistrat abzugeben. Ebenso gehören höhere Entschädigungen für Wahlbeisitzer:innen, eine deutlich höhere Pauschalabgeltung des Wahlaufwands für die Gemeinden und verschiedene Verbesserungen für Menschen mit Behinderung zum Paket.
Bei den Bundesrät:innen stieß die Reform auf weitgehend positive Resonanz. Mit dem Paket werde ein modernes, den Lebensrealitäten angepasstes Wahlrecht geschaffen, hielt etwa der oberösterreichische ÖVP-Bundesrat Franz Ebner fest. So würden die vorgesehenen Verbesserungen für Menschen mit Behinderung auch vielen älteren Menschen das Wählen erleichtern. Der Wiener Marco Schreuder von den Grünen sprach von einem "alles in allem sehr guten Paket".
FPÖ drängt auf einheitliche Spielregeln für Wahlen
Im "Großen und Ganzen zufrieden" mit dem Gesetz zeigte sich auch der niederösterreichische FPÖ-Bundesrat Andreas Arthur Spanring. Vor allem dass "Manipulationsmöglichkeiten" bei der Briefwahl eingeschränkt würden, hob er als positiv hervor. In diesem Zusammenhang erwähnte er etwa die künftige Nachverfolgbarkeit von Wahlkarten und die Möglichkeit, gleich bei der Abholung einer Wahlkarte seine Stimme – geheim und unbeeinflusst – abzugeben. Wichtig sei der FPÖ auch gewesen, dass der Wahlbeisitz ein Ehrenamt bleibe und zugeklebte Stimmzettelkuverts nicht automatisch als ungültig eingestuft werden.
Für die Zukunft regte Spanring eine Vereinheitlichung der Spielregeln für Bundes-, Landtags- und Gemeinderatswahlen an. Die unterschiedlichen Vorgaben würden den Wahlablauf und die Stimmauszählung verkomplizieren, da jeweils andere Regeln gelten, meinte er. Als Beispiel nannte er etwa das niederösterreichische "Spezifikum", dass eine Vorzugsstimme die Parteistimme sticht.
Die künftige "Tracking"-Möglichkeit von Wahlkarten wurde auch von Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) begrüßt. Ein Punkt fehlt ihm aber im Gesetz: die Erleichterung der Abgabe einer Unterstützungserklärung für wahlwerbende Parteien. Vor allem für "Newcomer" sei es "eine unnötig große Hürde", dass Unterstützungserklärungen nur im Gemeindeamt des eigenen Hauptwohnsitzes abgegeben werden können, konstatierte er. Volksbegehren könne man hingegen mittlerweile auf jedem beliebigen Gemeindeamt und auch online unterzeichnen.
Seitens der SPÖ hob die steirische Bundesrätin Elisabeth Grossmann insbesondere die Art des Zustandekommens des Gesetzespakets hervor. Es handle sich um eines der "seltenen" Beispiele eines gelungenen Gesetzeswerdungsprozesses in der laufenden Legislaturperiode, meinte sie. Es habe nicht nur einen gut ausgearbeiteten Erstentwurf und eine "ordentliche" Begutachtung gegeben, vielmehr habe man auch Stellungnahmen berücksichtigt und die Oppositionsparteien in die Verhandlungen eingebunden.
Barrierefreiheit als Herausforderung für Gemeinden
Eine gewisse Herausforderung für manche Gemeinden sehen Ebner und Grossmann durch die Verpflichtung, alle Wahllokale bis 2028 barrierefrei zu gestalten. Gerade für finanzschwache Gemeinden sei das ein ambitioniertes Ziel, meinte Grossmann und mahnte entsprechende Unterstützung ein. Ergebnis dürfe jedenfalls nicht eine Reduzierung der Wahllokale sein. Ebner wies im Gegenzug aber auch auf viele Verbesserungen für Gemeinden hin, etwa die deutlich höheren Zahlungen zur Abgeltung des Wahlaufwands. Allgemeines Lob von den Bundesrät:innen gab es für die Wahlbeisitzer:innen, diese würden wertvolle Arbeit für die Gesellschaft leisten.
Von einem "schönen Paket" sprach auch der für Wahlen zuständige Innenminister Gerhard Karner. So erwartet er sich vom Umstand, dass Eintragungslokale für Volksbegehren in Hinkunft am Samstag geschlossen bleiben dürfen, erhebliche Erleichterungen vor allem für kleine Gemeinden. Zwei Drittel der Unterschriften für Volksbegehren würden mittlerweile ohnehin online geleistet, sagte er.
Einig waren sich die Bundesrät:innen auch in Bezug auf die vom Nationalrat beschlossene Novelle zum Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetz : Mit ihr wird die Zahl der Mitglieder der Kontrollkommission des Staatschutzes von drei auf fünf erhöht.
Opposition hält HinweisgeberInnenschutzgesetz für unzureichend
Weniger harmonisch verlief hingegen die Debatte zum neuen HinweisgeberInnenschutzgesetz, das die Länderkammer – samt begleitender Gesetzesänderungen – mit den Stimmen der Koalitionsparteien passierte. Die Opposition hält die Bestimmungen für unzureichend und stimmte in diesem Sinne wie im Nationalrat geschlossen gegen das Gesetzespaket.
So qualifizierte etwa der Wiener SPÖ-Bundesrat Sascha Obrecht den sachlichen Geltungsbereich des Gesetzes als "Witz". Viele Materien wie Betrug oder Veruntreuung würden nicht erfasst. Damit sei es etwa äußerst fraglich, ob ein Parteimitarbeiter, der die Überschreitung der Wahlkampfkostengrenze melden wolle, in den Schutzbereich des Gesetzes falle. Auch die Aufdeckung des Wirecard-Skandals durch einen Whistleblower wäre wahrscheinlich nicht umfasst. Obrechts Parteikollege Stefan Schennach sieht außerdem die von der EU vorgegebene Beweislastumkehr zugunsten von Hinweisgeber:innen unzureichend umgesetzt.
Ähnlich wie Obrecht argumentierte NEOS-Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky. Es sei zwar zu begrüßen, dass endlich ein Gesetz vorliege, dieses habe aber viele Mängel, meinte er. Durch die komplexe Formulierung gebe es viele Unsicherheiten, was den Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft. Es sei schwierig festzustellen, ob ein Hinweis in den Schutzbereich des Gesetzes fallen würde. Zudem seien außerhalb von EU-Recht nur einzelne innerstaatliche Straftaten umfasst, nicht aber etwa Mobbing, Diskriminierung, Menschenhandel oder Untreue. Arlamovsky hofft nun auf die für 2026 vorgesehene Evaluierung des Gesetzes, die seiner Ansicht nach die Chance bietet, die Unzulänglichkeiten des Gesetzes auszubessern.
Grüne: Gesetz geht in mehreren Punkten über EU-Vorgaben hinaus
Ausdrücklich begrüßt wurde das neue HinweisgeberInnenschutzgesetz hingegen von Elisabeth Kittl (Grüne/W) und Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S). Man gehe mit dem Gesetz in mehreren Punkten über die EU-Vorgaben hinaus, betonte Kittl. So habe man etwa auch Korruptionsstraftatbestände in den Geltungsbereich des Gesetzes aufgenommen. Zudem hätten die externen Meldestellen den ausdrücklichen Auftrag, Hinweisgeber:innen zu beraten. Ebenso sei eine Prozesskostenhilfe durch Interessenvertretungen vorgesehen.
Allgemein hob Kittl die Bedeutung des Schutzes von Hinweisgeber:innen hervor. Wer sich "mit den Mächtigen" anlege, würde viel riskieren, Beruf, Geld, Erfolg und Gesundheit. Zudem sieht sie das Gesetzespaket als wichtigen Schritt zur Korruptionsprävention im öffentlichen Bereich. Auch Eder-Gitschthaler hält es für notwendig, "alles zu tun", um Informantinnen und Informanten zu schützen.
Dass die einschlägige EU-Richtlinie erst mit einiger Verzögerung umgesetzt wird, begründete Eder-Gitschthaler mit der Komplexität der Materie. Auch sei es der ÖVP wichtig gewesen, kleine Unternehmen nicht mit bürokratischen Hindernissen zu überfordern.
SPÖ kritisiert Teilzeit-Debatte
SPÖ-Fraktionsvorsitzende Korinna Schumann nutzte die Debatte für massive Kritik an Arbeitsminister Martin Kocher. Ihrer Meinung nach hat dieser völlig unnötig eine "Privilegiendebatte" über Teilzeitarbeit angestoßen. 80 % der Teilzeitbeschäftigten seien Frauen, gab Schumann zu bedenken, und diese würden vor vielfältigen Problemen stehen. So gebe es immer noch keinen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz. Auch gebe es in manchen Bereichen wie der Pflege Arbeitsbedingungen, wo Vollzeitarbeit für viele nicht schaffbar sei. "Rudern Sie weiter zurück", forderte sie daher den Minister auf.
Kocher versichert: Frauen und Müttern wird nichts weggenommen
Arbeitsminister Martin Kocher wies darauf hin, dass nur vier EU-Staaten die Whistleblower-Richtlinie der EU fristgerecht umgesetzt hätten. Es handle sich um eine komplexe Materie, weil sowohl der öffentliche als auch der private Sektor betroffen seien. Zudem sei zu berücksichtigen gewesen, dass es in manchen Bereichen wie Geldwäsche und in manchen großen Konzernen bereits funktionierende Hinweisgebersysteme gebe. Ziel sei es jedenfalls, Whistleblower:innen vor Repressalien zu schützen.
Was den Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft, hob Kocher hervor, dass die erfassten Materien sowohl in Bezug auf Rechtsakte der EU als auch auf nationales Recht gelten. Außerdem habe man den Anwendungsbereich bewusst um Teile des Korruptionsstrafrechts ergänzt. Es werde auch Informationen für Unternehmen und Hinweisgeber:innen geben, kündigte er an. Zur vorgesehenen Evaluierung 2026 meinte er, es gebe von beiden Seiten Befürchtungen. Die einen glaubten, dass es keine, die anderen, dass es zu viele Meldungen geben werde.
In Bezug auf die Teilzeit-Debatte merkte Kocher an, dass Österreich ein "sehr gut funktionierender" Sozialstaat sei, den es zu erhalten gelte. Dazu brauche es Beiträge von arbeitenden Menschen, weshalb es notwendig sei, Vollzeitarbeit möglich und attraktiv zu machen. Er wolle Frauen und Müttern nichts wegnehmen, versicherte Kocher, es gebe aber einen Trend bei jüngeren Menschen, nicht mehr Vollzeit zu arbeiten. Darüber müsse eine Debatte ohne Emotionen geführt werden.
Ausdrücklich hob Kocher auch hervor, dass der Sozialstaat unter der aktuellen Regierung weiter ausgebaut worden sei. So habe man Sozialleistungen erstmals indexiert und den Ausgleichszulagenrichtsatz mehrfach überproportional erhöht. Auch bei den Anti-Teuerungspaketen sei besonders auf armutsgefährdete Menschen geachtet worden. Er selbst habe bei seinen bisherigen Entscheidungen immer einen Fokus auf Frauen gelegt.
Interne und externe Meldestellen
Intention des HinweisgeberInnenschutzgesetzes ist es, Personen, die Informationen über rechtlich fragwürdige Praktiken in ihrem beruflichen Umfeld wie Betrug, Korruption, Gesundheitsgefährdung oder Umweltgefährdung weitergeben, vor Repressalien am Arbeitsplatz und anderen negativen Konsequenzen wie existenzbedrohenden Gerichtsprozessen zu schützen. So werden unter anderem etwa Kündigungen, Suspendierungen, Gehaltskürzungen und Disziplinarmaßnahmen explizit verboten. Auch die vorzeitige Auflösung geschäftlicher Verträge oder anderer Vereinbarungen mit Geschäftspartner:innen wie der Entzug von Genehmigungen wird untersagt.
Wer gegen diese Bestimmungen verstößt oder etwa versucht, seine Mitarbeiter:innen bzw. Geschäftspartner:innen einzuschüchtern, kann auf Schadenersatz geklagt werden. Zudem werden Verwaltungsstrafen bis zu 20.000 € fällig. Letzteres gilt allerdings auch für wissentlich falsche Hinweise durch Whistleblower:innen. Ab 50 Mitarbeiter:innen ist die Einrichtung einer internen Meldestelle vorgeschrieben, und zwar für gemeinnützige Einrichtungen und Vereine ebenso wie für Unternehmen und Bundesdienststellen. Externe Meldestelle wird das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). (Fortsetzung Bundesrat) gs
HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.
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