Die Österreichische Gesellschaft für Knochen und Mineralstoffwechsel (ÖGKM) nimmt Stellung:
Wir erkennen an, dass in Bezug auf Vitamin D ein gewisser „Hype“ zu beobachten ist, bei dürftiger Beweislage werden von in der Regel selbst ernannten ExpertInnen unüblich hohe Dosen Vitamin D als Prophylaxe oder Behandlung vieler Erkrankungen unreflektiert verordnet und konsumiert. Das deutsche Giftinformationszentrum berichtet im Jahr 2022 über 162 Fälle einer Vitamin D Überdosierung (gegenüber 131 im Jahr 2021). Dies ist nicht im Sinne unserer Patientinnen und Patienten. Eine generelle Vitamin D – Substitution aller Menschen ist tatsächlich weder wissenschaftlich belegt noch wird sie von wissenschaftlichen Gesellschaften empfohlen.
Allerdings müssen wir anmerken, dass von anderen Meinungsbildnern und Medien unreflektiert viele bekannte und potentiell positive Effekte einer Vitamin D-Gabe unter den Tisch gekehrt werden – wir möchten daher in Übereinstimmung mit allen maßgeblichen internationalen Fachgesellschaften Folgendes klarstellen:
1) Ein Vitamin D-Mangel ist ein Faktum. Eine Vitamin D-Defizienz ist definiert als 25(OH)D Blutspiegel unter 12 ng/ml oder 30nmol/l, eine Vitamin D-Insuffizienz ist definiert als 25(OH)D Spiegel unter 20ng/ml oder 50nmol/l. Deutsche/europäische Daten in der Allgemeinbevölkerung belegen eine hohe Prävalenz eines schweren Vitamin D Mangels in der Allgemeinbevölkerung zwischen 13 und 30%. Diese Werte haben gewisse Schwankungen (wie jeder Laborwert), sind aber keine „Hausnummern“, denn sie haben definierte biologische Folgen in Form eines Anstiegs des Calcium-Regulationshormones Parathormon aus den Nebenschilddrüsen und – wie in einer großen deutschen Autopsiestudie gezeigt – unzureichender Mineralisierung des Skeletts (bereits bei 25(OH)D Spiegeln unter 30ng/ml oder 75 nmol/l!).
Im Rahmen einer Insuffizienz kann es besonders bei älteren und in Pflege- einrichtungen lebenden Menschen zu einer Verschlechterung der Muskelfunktion und zu einer drastischen Erhöhung des Sturz- und Knochenbruchrisikos kommen.
Eine Gabe von Vitamin D und Calcium kann nachgewiesenermaßen bei diesen älteren Menschen mit insuffizienten Vitamin D – Spiegeln das Sturz- und Frakturrisiko senken.
Bei längerem Bestehen einer Vitamin D- Defizienz kann es zu massiven Knochenveränderungen und einer klar definierten Knochenerkrankung – der sogenannten Osteomalazie bei Erwachsenen, und Rachitis bei Kindern – kommen, die mit schweren Symptomen und vielfachen Frakturen einhergeht. Auch wenn es keine offiziellen Zahlen zu diesen Erkrankungen gibt, sehen wir und unsere kinderärztlichen und orthopädischen KollegInnen diese Krankheitsbilder durchaus regelmäßig, sodass von einer deutlich höheren Fallzahl im Vergleich zu den registrierten Überdosierungen ausgegangen werden kann.
2) Es ist unbestritten, dass eine Rachitisprophylaxe – also die Gabe von niedrig dosiertem Vitamin D bei Neugeborenen und Kleinkindern – sinnvoll ist. Die Empfehlung von 400 IU täglich findet sich daher in allen entsprechenden und wissenschaftlich fundierten Leitlinien. Die Rachitis ist aus diesem Grund auch eine selten gewordene Erkrankung, ähnlich der Masernerkrankung, welche durch die Masernimpfung ebenfalls selten geworden, aber eben nicht ganz verschwunden ist.
3) Bei PatientInnen mit Osteoporose ist die Behandlung dieser Erkrankung an einen funktionierenden Knochenstoffwechsel gekoppelt, welcher wiederum eine ausreichende Versorgung mit Calcium und Vitamin D voraussetzt. Eine Gabe von Vitamin D und Calcium bei unzureichender Versorgung ist als Basistherapie bei allen zugelassenen Osteoporose-Medikamenten notwendig und war daher auch Bestandteil aller entsprechenden Zulassungsstudien. Auf eine ausreichende Calcium- und Vitamin Zufuhr zu verzichten, wäre daher ein Behandlungsfehler.
4) Bei einigen Erkrankungen könnte eine Vitamin D – Gabe positive Effekte bewirken – Diabetes, Infekte, kritische Erkrankungen und bestimmte Krebserkrankungen stehen hier im Fokus. Es liegen hierzu interessante Daten vor, obwohl die Studienlage bisher nicht als abschließend oder eindeutig bezeichnet werden kann. Diese Effekte sind vermutlich klein und nur in Risikogruppen mit Vitamin D Mangel zu zeigen. Es sind daher weitere wissenschaftliche Untersuchungen in diesen Risikopopulationen nötig, um ein abschließendes Urteil fällen zu können. Auch ein kleiner Effekt wäre wichtig und sinnvoll aufgrund der niedrigen Kosten und hervorragenden Verträglichkeit von Vitamin D. Viele der großen Vitamin D Studien der letzten Jahre schlossen hauptsächlich Menschen OHNE Vitamin D Mangel ein.
5) Nicht erst seit der COVID-Pandemie ist es ratsam, für journalistische Anfragen fachspezifische ExpertInnen heranzuziehen, die die Komplexität eines Themas wie Vitamin D in ihrer Gesamtheit erfassen können.
Zusammenfassend stehen wir als wissenschaftliche Gesellschaft dem „Hype um Vitamin D“ durchaus kritisch gegenüber, ersuchen aber auch, sich der journalistischen Verantwortung bewusst zu sein und das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Die Vitamin D – Gabe für alle gesunden Menschen, egal welchen Alters, wird von uns nicht befürwortet; für bestimmte Patientinnen und Patienten sowie bei Neugeborenen/Kleinkindern und andere Risikogruppen gibt es klare, wissenschaftlich unumstrittene Kriterien, Vitamin D in adäquater und nicht extrem überhöhter Dosierung zu verabreichen.
Der Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Knochen und Mineralstoffwechsel (ÖGKM):
Univ.Prof. Dr. Astrid Fahrleitner-Pammer, Präsidentin, Meduni Graz
Assoz.Prof. Dr. Georg Pfeiler, Meduni Wien
Univ.Prof. Dr. Hans Peter Dimai, Meduni Graz
Priv. Doz. Dr. Christian Muschitz, KH der Barmherzigen Schwestern Wien
Univ.Prof. Dr. Katharina Kerschan-Schindl
Prim. Dr. Peter Bernecker, Pflege Leopoldstadt, Wien
Priv. Doz. Dr. Karin Amrein, Meduni Graz
FÄ Dr. Judith Haschka, Hanusch-Krankenhaus Wien
Univ.Prof. Dr. Peter Pietschmann, Meduni Wien
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender. Österreichische Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel