Angesichts der alarmierenden Folgen der Corona-Pandemie brauche es ein Bündel an Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sind die Unterzeichner:innen des "Mental Health Jugendvolksbegehrens" (1639 d.B.) überzeugt. Der Familienausschuss hielt zu dem von Schülerinnen und Schülern angestoßenen Volksbegehren heute ein Expert:innenhearing ab in dessen Fokus stand, das Thema zu enttabuisieren und Kinder und Jugendliche zu ermutigen, über psychische Belastungen zu sprechen. Das Volksbegehren erzielte über 138.000 Unterschriften. Die Expert:innen waren sich weitgehend einig, was die Gefahr für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen angeht, ebenso darüber, dass Handlungsbedarf besteht.
Seitens der Regierung wurde das Thema ernst genommen. Gesundheitsminister Johannes Rauch und Staatssekretärin Claudia Plakolm sprachen sich für eine nachhaltige Etablierung des Vorzeigeprojekts "Gesund aus der Krise" aus. Bildungsminister Martin Polaschek hob in seinem Zuständigkeitsbereich den Ausbau der Schulsozialarbeiter:innen ebenso hervor, wie Workshopangebote an Schulen. Für die fachliche Hilfe seien jedoch die Expert:innen in den Kliniken erforderlich, hielt er fest.
Mission: Enttabuisieren, Bewusstsein schaffen, Betroffene unterstützen
Die Mission sei, zu enttabuisieren, Bewusstsein für die hohe Zahl an Menschen mit depressiven Symptomen und Suizidgedanken zu schaffen und Betroffene zielgerichtet zu unterstützen, so die Bevollmächtigte des Volksbegehrens, Carina Reithmaier. Bei einer Klasse mit 24 Schüler:innen hätten zwölf Kinder bzw. Jugendliche depressive Symptome und vier hätten Suizidgedanken, zeigte sie auf. Das Volksbegehren fordert daher leicht zugängliche, unbürokratische und flächendeckende Angebote zur Prävention und Früherkennung psychischer Belastungen, sowohl für Lehrer:innen und Erziehungsberechtigte als auch für Kinder und Jugendliche. Als Beispiele werden Infomaterial und spezielle Workshops sowie ein Ausbau des Schulsupportpersonals in Form von Schulpsycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, Vertrauenslehrer:innen und Jugend-Coaches genannt. Zudem müsse das Thema psychische Gesundheit im Unterricht möglichst breit und in allen Schulstufen – unter Einbindung von Expert:innen – thematisiert werden. Reithmaier merkte im Zuge der Debatte an, dass es in dem Volksbegehren nicht um das Thema gehe, wie sinnvoll die Corona-Maßnahmen gewesen seien. Sie sprach sich nachdrücklich dafür aus, dass es "alle hier im Raum" brauche, um gemeinsam für Veränderungen zu sorgen. Es gelte, die Kräfte zu bündeln und parteiübergreifend das Thema auch weiterhin "nicht unter den Tisch fallen" zu lassen.
Würden Kinder und Jugendliche gezielt über Themen wie Mobbing, Ausgrenzung, Rassismus und Suchtmittel aufgeklärt, könne viel Leid in der Zukunft vermieden werden, unterstrich Paul Freysinger, Vertretender des Volksbegehrens. Seine Fokus galt dem Schulsupportpersonal, das aus seiner Sicht umgehend ausgebaut gehört, um dramatische Entwicklungen zu verhindern. Mira Lobnig, ebenfalls Vertreterin des Volksbegehrens, trat für Veränderung ein, denn "kranke Kinder sind später kranke Erwachsene, sind eine kranke Gesellschaft". Daher liege es in der Verantwortung der gesamten Gesellschaft, betroffenen Kindern die Hand zu reichen und sie nicht alleine zu lassen.
Expert:innen gegen Kontingentierung von kassenfinanzierten Psychotherapieplätzen
Betroffene Kinder wünschen sich professionelle Hilfe, jemanden zum Reden und Verständnis für psychische Probleme, hielt Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, fest. Notwendige Einschränkungen in der Krise hätten Spuren hinterlassen. Die Zahl psychischer Erkrankungen war bereits vor der Pandemie im Steigen und wurde durch die Pandemie weiter verstärkt, so Haid, die einen einheitlichen Masterplan für psychische Gesundheit von Jugendlichen statt vieler Einzelplayer forderte. Eine klar zuständige Stelle sei notwendig, betonte sie. In diesem Sinne trat sie dafür ein, das Projekt "Gesund aus der Krise" auszubauen. Wichtig war Haid die Aufhebung der Kontingentierung von Psychotherapie. Jeder in dem Bereich der psychischen Gesundheit investierte Euro spare langfristig erhebliche volkswirtschaftliche Kosten, unterstrich die Expertin.
Fiona Herzog, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, verdeutlichte, dass hinter den drastischen Zahlen junge kranke Menschen stehen, die derzeit nicht die notwendige Hilfe erhalten. Es handle sich um eine dramatische Situation, die auch schon vor der Pandemie unzureichend war, führte Herzog aus und unterstütze das Volksbegehren mit aller Zustimmung. Die Schule sei ein zentraler Ort, um anzusetzen, warb sie für zusätzliche Stellen. Jeder heute investierte Euro spare langfristig eine Menge Geld, ist auch Herzog überzeugt. Daher forderte sie die volle Kostenübernahme für Psychotherapie. Es dürfe keine Kontingentierung bei den Angeboten geben, denn Hilfe für Jugendliche dürfe nicht limitiert werden.
Investitionen in Frühintervention wirken kosteneffektiver
Der Mediziner Hannes Strasser betrachtete die Sache aus einem anderen Blickwinkel. Junge gesunde Kinder sterben nicht an Corona, dafür sei das Risiko für Nebenwirkungen der Impfung größer, warnte er vor Kollateralschäden der Corona-Maßnahmen. Kleinkinder seien aufgrund der COVID-19-Politik in der Entwicklung massiv zurückgefallen, sagte Strasser mit Blick auf die negativen Auswirkungen des Maskentragens auf die Sprachentwicklung. Die gesamte Entwicklung sei dadurch behindert worden; als Folge hätten Kleinkinder ein vermindertes Selbstvertrauen, seien ängstlicher und der Wortschatz sei begrenzter. Durch die Schulschließungen seien den Kindern und Jugendlichen soziale Kontakte vorenthalten worden. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen habe sich massiv zugespitzt und durch COVID-19 einen alarmierenden Höhepunkt erreicht.Strasser empfand es daher als das Mindeste, nun Maßnahmen zu ergreifen, "um zu retten, was noch zu retten ist".
Caroline Culen von der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit nahm die Jugendphase als empfindsame Phase ins Visier. Auch vor der Pandemie seien die Versorgungspfade defizitär gewesen, stufte sie ein. Im Zentrum ihrer Botschaft stand, keinen Unterschied zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit zu machen. "Es geht um ganze Familien, die Unterstützungsbedarf haben", machte sie auf den Belastungszustand aufmerksam. Eine Vielzahl an Kindern bleibe unversorgt, denn Psychiatrien sein überlastet. Dennoch sei Österreich im OECD-Vergleich vorne. Es wurde in der Krise schnell auf Belastungssituationen reagiert indem beispielsweise Hotlines ausgebaut wurden, hob sie hervor.
Strategisch riet Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie AKH der Med-Uni Wien, beim Stellenausbau anzusetzen und Investitionen in Hilfeanbieter für Kinder und Jugendliche zu tätigen. Bestehende Angebote empfahl er umzugestalten, um die Schwellen zur Inanspruchnahme zu senken. Von besonderer Bedeutung sind dem Experten zufolge Investitionen in Frühintervention, da diese kosteneffektiver wirken. Plener sprach auch von der Verbesserung der systemübergreifenden Kooperation und Vernetzung auf regionaler Ebene. Er setzte sich für den Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Kinder- und Jugendhilfe ein. Gegenüber den Familienausschussmitgliedern brach er eine Lanze für mehr kassenfinanzierte Psychotherapie. Ihm zufolge müsste auch in digitale Angebote, niedrigschwellige Anlaufstellen, Beratung, Schulsozialarbeit, Schulpsychologie, School-Nurses, Schulärzt:innen, evidenzbasierte Präventionsprogramme und Sport investiert werden.
Projekt "Gesund aus der Krise" hilft rasch und unbürokratisch
Gesundheitsminister Rauch räumte Nachholbedarf ein. Er nehme die Unterzeichner:innen ernst, unterstrich er, Bewusstsein für die Anliegen des Volksbegehrens bestehe, sagte Rauch in aller Deutlichkeit. Mit dem Projekt "Gesund aus der Krise" (www.gesundausderkrise.at) sei ein internationales Vorzeigeprojekt gelungen, das betroffenen Kindern und Jugendlichen kostenlos, rasch und unbürokratisch psychologische Unterstützung biete. Zudem wurden alle Sozialleistungen an die Inflation angepasst und Maßnahmen gesetzt, um Delogierungen zu vermeiden. "Wir ziehen Lehren aus der Pandemie und treffen Vorsorge für die Zukunft", betonte Rauch während er den "Reformstau seit 30 Jahren" für die bestehenden Systemdefizite verantwortlich machte.
Staatssekretärin Plakolm knüpfte weitgehend an Gesundheitsminister Rauch an. Das Volksbegehren trage zur Sensibilisierung der Gesellschaft bei, lobte sie den Schritt, das Thema zu einem Volksbegehren zu machen. Die Herausforderungen der letzten drei Jahre seien unbestritten. Nun sei es wichtig, ressortübergreifend psychische und mentale Gesundheit zu thematisieren. Das Projekt "Gesund aus der Krise" habe im vergangenen Jahr über 8.000 Menschen geholfen und diene als internationales Vorbild. Plakolm will nun an dem Projekt weiterarbeiten. Beim Thema Prävention setzte die Staatssekretärin auf außerschulische Jugendarbeit, die aus ihrer Sicht einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit junger Menschen leiste.
"Wir nehmen das Thema Mental Health ernst", betonte Bildungsminister Polaschek. An Schulen würden beispielsweise Workshops zum Thema Mental Health angeboten und auch das Ausbildungsangebot für das Lehrpersonal soll dahingehend angepasst werden. Unterstützung an Schulen gebe es auch im Bereich der Schulsozialarbeiter:innen. Um die Länder dabei zu stützen, werden jährlich 7 Mio. € zur Kofinanzierung bereitgestellt, hob der Unterrichtsminister hervor. Auch die Schulpsychologie wurde in den letzten Jahren vermehrt aufgestockt, betonte Polaschek. Zudem sprach er den Beratungslehrer:innen große Bedeutung zu und wollte das System stärker nutzen. Für die erforderliche fachliche Hilfe seien jedoch die Expert:innen in den Kliniken erforderlich.
Der Familienausschuss schloss die Ausschussberatungen zu dem Mental-Health-Volksbegehren ab. Eine weitere Diskussion wird im Nationalratsplenum erfolgen. Das gesamte Hearing wurde via Livestream übertragen und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.
Vor Ende der Ausschusssitzung nahm der Familienausschuss die Beratungen zum "Kinderrechte-Volksbegehren" (1796 d.B.) auf und vertagte diese einstimmig ohne Diskussion. (Schluss Familienausschuss) gla/mbu
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