Fotostrecke von Messer-Attacke verletzt Ehrenkodex

Nach Ansicht des Senats 2 verstößt der Beitrag „Messermann stach auf YouTuber ein“, erschienen auf Seite 8 der Tageszeitung „Heute“ vom 13.10.2022, gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im Artikel wird darüber berichtet, dass ein Angreifer mit wuchtigen Stichen einen christlichen YouTuber in Klagenfurt schwer verletzt habe. Nun sei der Angreifer in Wien gefasst worden; er könnte beauftragt worden sein, das Opfer zu töten. Weiters wird angemerkt, dass der YouTuber schon öfter zur Zielscheibe von Gewalttaten geworden sei; der Hintergrund: Der 53-jährige Iraker sei Katholik und äußere sich auf YouTube schon seit Jahren kritisch zur Politik in seinem Heimatland sowie zu anderen Religionsgruppen.

Dem Artikel sind mehrere Bilder einer Überwachungskamera beigefügt, die den geschilderten Vorfall dokumentieren. Auf den ersten drei Fotos wird gezeigt, wie der Täter dem Opfer mit einem Messer in den Rücken sticht, wobei die Gesichter der Beteiligten unkenntlich gemacht wurden. Auf dem vierten Foto ist der blutverschmierte Rücken des Opfers unmittelbar nach der Tat zu sehen.

Ein Leser kritisierte die Veröffentlichung der Aufnahmen als medienethisch unzulässig. Die Medieninhaberin nahm am Verfahren vor dem Presserat teil: Der Chefredakteur des Mediums führte aus, dass die Aufnahmen zunächst von anderen Medien gebracht worden seien. Außerdem habe „Heute“ die Beteiligten unkenntlich gemacht, es sei auf weitgehend alle identifizierbaren Merkmale der Personen verzichtet worden. Schließlich handle sich um eine mutmaßlich religiös motivierte Tat, die Berichterstattung darüber sei auf großes öffentliches Interesse gestoßen.

Zunächst sind Medien dazu angehalten, jede Veröffentlichung auf einen möglichen Verstoß gegen den Ehrenkodex zu prüfen. Die Redaktionen müssen eigenständig darüber entscheiden, ob die zu veröffentlichenden Inhalte persönlichkeits-verletzend sind; dieser Grundsatz gilt insbesondere bei Bildmaterial, in dem brutale Gewalt zu sehen ist. Insofern spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob die kritisierten Aufnahmen zuvor von anderen Medien verbreitet wurden bzw. rechtfertigt dies die Veröffentlichung nicht automatisch.

Der Senat betont, dass Berichte über politisch bzw. religiös motivierte Attentate für die Öffentlichkeit von großem Interesse sind; es ist die Aufgabe der Medien, die Allgemeinheit über solche Ereignisse ausführlich und rasch zu informieren. Das öffentliche Interesse an einem gewaltsamen Attentat bezieht sich prinzipiell auch auf die Bildberichterstattung, wobei entscheidend ist, welches Bildmaterial verwendet und wie es aufbereitet wird. Gerade in Hinblick auf brutale bzw. verstörende Bilder ist es wichtig, dass Medien ihre Filterfunktion ernst nehmen (vgl. in dem Zusammenhang Punkt 5.4 des Ehrenkodex für die österreichische Presse).

Im vorliegenden Fall zeigen alle vier Fotos massive Gewalt und Brutalität; die Senate des Presserats haben bereits mehrmals festgehalten, dass derartige Aufnahmen die Würde und die Intimsphäre der abgebildeten Opfer verletzen. Das gilt sowohl für Bilder, auf denen unmittelbar die Tat gezeigt wird, als auch für Bilder, auf denen Blutspuren bzw. Blutflecken auf der Kleidung des Opfers zu sehen sind – unabhängig davon, ob das Opfer den Angriff überlebt hat oder nicht.

Nach Meinung des Senats ist die Veröffentlichung der vorliegenden Fotos zudem geeignet, das Leid des Opfers und seiner nahen Angehörigen zu vergrößern. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob andere Teile des Fotos bzw. die Gesichtszüge der Abgebildeten unkenntlich gemacht wurden, weil sich die Identifizierbarkeit hier bereits aufgrund des drastischen Vorfalls ergibt. Das unmittelbare Umfeld, möglicherweise aber auch Followerinnen und Follower des YouTube-Kanals des Opfers können die brutalen Bilder mit dem Opfer in Verbindung bringen.

Im Ergebnis kann der Senat an der Veröffentlichung der oben genannten Aufnahmen auch kein legitimes Informationsinteresse erkennen, die Veröffentlichung diente wohl in erster Linie der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationsinteressen gewisser Leserinnen und Leser (Punkt 10.3 des Ehrenkodex). Das Medium wurde seiner Filterfunktion nicht gerecht, es liegt daher sowohl eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes als auch der Intimsphäre des Opfers vor (Punkte 5 und 6 des Ehrenkodex). Die Medieninhaberin wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten. 

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS 

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der drei Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin der Tageszeitung „Heute“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht. 

Die Medieninhaberinnen der Tageszeitung „Heute“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

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