Am Semmering, der Passregion an der Grenze von Niederösterreich und der Steiermark, bahnt sich nun jene Umweltkatastrophe an, vor der die Natur- und Landschaftsschutzorganisation „Alliance For Nature“ (AFN) bereits seit Jahrzehnten warnt: Durch den Bau des Semmering-Basistunnels wird der natürliche Wasserhaushalt der Semmering-Region massiv beeinträchtigt. Immer mehr Quellen versiegen – nicht nur auf der niederösterreichischen, jetzt auch auf der steiermärkischen Seite.
Schon vor drei Jahren kam es in mehreren Gemeinden Niederösterreichs aufgrund des Tunnelbaues zu veritablen Wasserproblemen. Laut Medienberichten fielen in Aue bei Gloggnitz, in Schottwien und in Otterthal, Bezirk Neunkirchen, lebensnotwendige Wasserquellen trocken bzw. erfuhren eine massive Schüttungsminderung.
Nun wandten sich weitere Anrainer an „Alliance For Nature“ mit folgender Mitteilung:
„Wir als verzweifelte Bürger wenden uns an Sie, um zu erfragen, wo wir eventuell Hilfe erhalten können. Wir sind direkte Anrainer neben der Baustelle des Semmering-Basistunnels. Wir wohnen in Göstritz/Schottwien. Der Tunnel ist ca. 800 m von unserem Grund entfernt. Wir haben einen kleinen Bergbauernhof, der seit über 200 Jahren durch eine eigene Quelle versorgt wird. Und von einem Tag auf den anderen war unsere Quelle plötzlich versiegt. Anscheinend war das auch bei anderen [Quellen] und sogar bei der Gemeindequelle der Fall. Nur bei uns putzen sich die ÖBB jetzt ab und sagen, es sei nicht deren Schuld, das ist der Klimawandel. Wir und unsere Tiere hatten jetzt wochenlang kein Trinkwasser. Deshalb mussten wir an die Gemeindewasserleitung anschließen. Leider interessiert das niemanden und wir bleiben auf den Kosten sitzen. Können Sie uns vielleicht sagen, wer uns da helfen könnte.“
Ähnliche Klagen werden jetzt auch aus der steiermärkischen Stadtgemeinde Mürzzuschlag an „Alliance For Nature“ herangetragen. Etliche Landwirte beklagen, dass ihre Wasserquellen im Gebiet Hinterleiten-Grautschenhof, Steinbachgraben und Schöneben-Auersbach erheblich an Schüttung verloren haben bzw. völlig trockengefallen sind.
Die ÖBB geben dafür dem Klimawandel die Schuld (https://www.ots.at/redirect/infrastruktur1).
Tatsächliche Ursachen des Wasserverlustes
Christian Schuhböck, gerichtlich zertifizierte Sachverständiger für Naturschutz und Landschaftsökologie, zeigt jedoch eine andere Ursache für das Versiegen der Quellen auf:
„Der Semmering ist ein geologisch äußerst komplexes Gebiet, in dem in dichter Abfolge wasserdurchlässige und wasserundurchlässige Gesteinsschichten aufeinandertreffen. Werden wasserführende Klüfte durch einen Tunnelvortrieb angeschnitten, spiegelt das in den Untergrund gesickerte Regenwasser nicht mehr an der Erdoberfläche in Form von Quellen auf, sondern strömt in den Tunnelstollen.
Da der Semmering-Basistunnel nicht vollständig abgedichtet wird, wird das in die beiden Tunnelröhren eindringende Wasser mittels Fächerdrainagen aufgefangen und über Rohre aus dem Berginneren künstlich ausgeleitet. Zahlreiche Quellen der Semmering-Region erleiden dadurch eine Schüttungsminderung oder versiegen vollständig.“
Verkarstung der Semmering-Region?
Unter dem Titel „Ist die Wasserversorgung in der Region gefährdet?“ in der o.g. Website halten die ÖBB fest: „In den Bereichen, in denen wir lokal tatsächlich für Wasserreduktionen im Bereich von Quellen oder Brunnen verantwortlich sind, haben wir entsprechend den Prognosen vor Baubeginn bereits Ersatzwasserlösungen gebaut und in Betrieb genommen, zum Beispiel in Schottwien, Semmering, Raach und Otterthal.“
Die ÖBB geben damit zu, dass sie durch den Bau des Semmering-Basistunnels für die Wasserverluste verantwortlich sind.
Doch für die Umweltorganisation „Alliance For Nature“ stellt sich die Frage, ob es auch für die Fauna und Flora entsprechende Ersatzwasserlösungen gibt. Sollen etwa all die Feuchtgebiete im Landschaftsschutzgebiet, die bislang mit Wasser ungefasster Quellen versorgt wurden, ebenfalls mit „Ersatzwasser“ dotiert werden?
„Alliance For Nature“, die im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren gegenüber den Behörden und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (unter dem vorsitzenden Richter Werner Andrä) vor dieser Gefahr ausdrücklich gewarnt hat, fürchtet infolge des Tunnelbaues eine Verkarstung der Region über kurz oder lang.
Schienengüterverkehr über den Semmering stagnierend
Aber nicht nur hinsichtlich der Natur- und Umweltbeeinträchtigung zeigt sich, dass das Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren zu diesem höchstumstrittenen und milliardenteuren Prestigeprojekt kläglich versagt hat.
Schon während der Genehmigungs- und Beschwerdeverfahren haben Tunnelkritiker aufgezeigt, dass die Tunnelbetreiber von falschen Prognosen ausgehen.
So stellt Franz Fally, Sprecher der ehemaligen „Vereinigten Bürgerinitiativen Schwarzatal – Region Semmering“, basierend auf der CAFT-Erhebung 2019 fest:
„Die regelmäßig durchgeführten, fünfjährigen Erhebungen über die Entwicklung des alpenquerenden Güterverkehrs werden oft erst mit großer Verzögerung veröffentlicht: Erst im Jahr 2022 wurden die Daten aus der Erhebung des Jahres 2019 publiziert. Somit sind die neuersten, verfügbaren Daten noch nicht von jenem Einbruch im (Schienen-)Güterverkehr geprägt, der durch die Corona-Krise bedingt war.
Ein Blick auf diese Daten zeigt, dass der Schienengüterverkehr über den Semmering im Zeitraum der Jahre 1995 bis 2019 – also über ein Vierteljahrhundert – stagniert hat (1995: 8,5 Millionen Tonnen; 1999: 9,3 Millionen Tonnen; 2004: 9,6 Millionen Tonnen; 2009: 9,3 Millionen Tonnen; 2015: 10,4 Millionen Tonnen; 2019: 8,5 Millionen Tonnen).
Im Jahr 2019 belief sich die transportierte Menge auf 8,5 Millionen Tonnen, was exakt auf dem Niveau des Jahres 1995 liegt! Die seit Jahren von Tunnelkritikern vorgebrachten Argumente, dass am Semmering der Bahngüterverkehr konstant ist, wurde mit der jüngsten CAFT-Erhebung in einmaliger Weise bestätigt.
Blamiert haben sich jene Gutachter, die die Grundlagen für die eisenbahnrechtliche Genehmigung erstellt haben: In diesen Gutachten wurden Steigerungen im Schienengüterverkehr am Semmering von über 50 % bis zum Jahr 2025 angenommen. Blamiert haben sich damit auch jene Gerichte (BVwG und VwGH), die diese Gutachten – wider aller Argumente – als Basis ihrer (falschen) Entscheidungen akzeptiert haben.
Für Tunnelkritiker sind die jüngsten Zahlen keine Überraschung. Leider werden aber auch diese Zahlen nicht dazu führen, dass die von Fakten und Rationalität losgelöste Bautätigkeit im Bereich der Schieneninfrastruktur seitens des zuständigen Ministeriums oder des Parlaments einer kritischen Überprüfung unterzogen werden wird. Das Interesse einer kleinen, aber überaus finanzstarken Lobby übertrumpft leider in Österreich sowohl die ökonomische (und ökologische) Vernunft wie auch die Interessen der Steuerzahler.“
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