Wien (OTS) – Sie arbeiten als Erntehelfer/in, als Paketzusteller/in oder als Fahrradbote bzw. Fahrradbotin. Sie müssen sich im Forst besonderen Gefahren aussetzen oder schuften am Bau. Und trotzdem reicht das Geld, das sie auf österreichischen Feldern oder Baustellen verdienen, oft kaum zum Überleben. Die Rede ist von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor, meist aus Ost- und Südosteuropa kommend – ausgebeutet unter recht fragwürdigen Arbeitsbedingungen. Ohne deren Arbeitskraft wäre das in Österreich angebaute Obst- und Gemüse in den Regalen der Supermärkte um ein Vielfaches teuer. Sie kommen aus Ländern der EU, in denen die Durchschnittsgehälter weit niedriger sind als in Österreich. Die im Vergleich zu ihren Heimatländern höheren Löhne locken rund 15.000 Erntearbeiter/innen ins Land. Auch Eszter kam deswegen nach Österreich – doch am Ende wurde sie von ihrem Arbeitgeber, einem niederösterreichischen Bio-Bauern, um Teile des Lohns gebracht. Er zahlte ihr sechs Euro pro Stunde, Zuschläge für Überstunden gab es nicht. Was Eszter erlebte, berichtet sie am Mittwoch, dem 28. Dezember 2022, um 22.30 Uhr in ORF 2 in der neuen „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Ausgebeutet“ von Gregor Stuhlpfarrer. Er analysiert mit Betroffenen sowie mit Fachleuten aus unterschiedlichen Disziplinen die Mechanismen von Ausbeutung am österreichischen Arbeitsmarkt und die möglichen sozial- und arbeitspolitischen Gegenstrategien.
Am österreichischen Niedriglohnsektor sind auch Arbeitskräfte aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Syrien oder Afghanistan beschäftigt. Sie dürfen nur im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses arbeiten, wenn sie Asyl erhalten haben. Davor nur als Gewerbetreibende – und lediglich in gewissen Branchen. „Die Regelung in Österreich ist so, dass Asylwerber/innen selbständig tätig sein dürfen, zum Beispiel in der Prostitution“, sagt Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. „Das ist schwierig, denn das sind genau jene Branchen, wo die Menschen ganz besonders schnell auch in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse geraten.“ Auch Adil arbeitet als Asylwerber mit einem Gewerbeschein. Er trägt die grüne Arbeitskleidung des Essenszustellers Mjam. Als Unternehmer kann er allerdings keinen direkten Vertrag mit Mjam abschließen. Eine Rechnung aus dem Jahr 2022, die Adil an den Subunternehmer des Subunternehmers gestellt hat, zeigt, dass der Asylwerber pro Bestellung lediglich fünf Euro verdient. Davon muss er Steuern und die Kosten für die Krankenversicherung abführen. Ausbeutung erlebte auch Laith. Er arbeitete 2020/2021 für den österreichischen Maskenproduzenten Hygiene Austria. Als Leiharbeiter war er nicht bei „Hygiene Austria“ angestellt, sondern kam über eine beauftragte Leiharbeitsfirma in die Produktionshallen. Laith erinnert sich, dass er und andere Kollegen und Kolleginnen Teile des Gehalts „schwarz“ ausbezahlt bekommt haben, dass Doppelschichten absolviert wurden und dass es ob der schweren Arbeitsbelastung zu Arbeitsunfällen gekommen ist.
Johanna Neuhauser von der Universität Wien hat sich im Rahmen einer Studie mit der Arbeitssituation von Leiharbeitern bei Hygiene Austria auseinandergesetzt: „Einer unserer Interviewten hat uns berichtet:
‚Als ich diese Halle betreten habe, war ich wieder im Irak.‘ Er hat darauf angespielt, wie es sein kann, dass in einem Land wie Österreich solche Zustände herrschen.“ „Für viele Menschen aus dem globalen Süden gibt es einfach keine Möglichkeit, über ein legales Visum nach Österreich zu kommen. Wenn sie aber ohne gültigen Aufenthaltstitel einreisen, dann heißt das auch, sie werden häufig schwarz beschäftigt werden. Und da wiederum ist die Grenze nicht nur zur Arbeitsausbeutung, sondern zur Sklaverei, zur modernen Sklaverei, eine fließende“, meint Judith Kohlenberger.
Die EU ist zwar eine Wirtschaftsunion, aber die Sozialunion hinkt hinterher. Das konstatiert Ökonom Stephan Schulmeister im Zusammenhang mit Arbeitskräften aus ost- und südosteuropäischen EU-Ländern. Er vermisst – bezogen auf das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU – nachhaltige Konzepte aus Brüssel: „Es wäre Aufgabe der Europäischen Union zu sagen, wir haben unterschiedliche Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Entwicklungsniveaus. Welche politische Strategie braucht es, dass wir diese Länder rascher an das Niveau der alten EU-Länder heranführen? Solche Entwicklungsstrategien hat die Europäische Union im Wesentlichen nicht entwickelt.“
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