Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat sich in seiner heutigen Sitzung auch mit zwei Neuwahlanträgen befasst. Sowohl die SPÖ als auch die FPÖ plädieren dafür, die laufende Gesetzgebungsperiode vorzeitig zu beenden und so den Weg für die Abhaltung von Neuwahlen zu ebnen. Auch die NEOS sind der Meinung, die Regierung sei "am Ende", etwa im Hinblick auf mangelnde Reformen, wie Nikolaus Scherak argumentierte. Eine Auflösung des Nationalrats ist allerdings nicht in Sicht: die beiden Anträge wurden mit den Stimmen der Koalitionsparteien abgelehnt. Auch mit weiteren Anträgen konnte sich die Opposition – zumindest vorerst – nicht durchsetzen. Konkret geht es den NEOS um die Möglichkeit zur Aberkennung von Ehrenzeichen, während die FPÖ eine Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention für notwendig hält.
Gebilligt hat der Verfassungsausschuss zwei Gesetzesanträge der Koalitionsparteien, mit dem einige coronabedingte Sonderregelungen verlängert werden. Dabei geht es etwa um Beschlüsse von Gemeinderäten im Fall von "außergewöhnlicher Umständen", den Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren, öffentliche Auftragsvergaben und das Fremdenrecht.
Opposition ortet fehlendes Vertrauen und mangelnde Reformen
Basis für die Neuwahldiskussion bildeten je ein Antrag der SPÖ (2896/A ) und der FPÖ (2733/A ), wobei die SPÖ ihre Initiative unter anderem mit den im Raum stehenden Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP begründet. Aber auch insgesamt sind Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und ihre Fraktionskolleg:innen mit der Regierungspolitik unzufrieden, etwa was die Inflationsbekämpfung betrifft. Neuwahlen würden die Chance eröffnen, die wirtschaftliche und soziale Existenz Österreichs zu sichern, Korruption durch volle Transparenz zu ersetzen und den Rechtsstaat und die Demokratie zu stärken, heißt es unter anderem im Antrag.
Ähnlich wie Michael Schnedlitz (FPÖ) warf Sabine Schatz (SPÖ) in der Debatte der Bundesregierung vor, dass etwa angesichts der "Korruptionsskandale" das Vertrauen nicht mehr gegeben sei. Das stelle ein demokratiepolitisches Problem dar. Es brauche in diesen Krisenzeiten eine Regierung, die glaubhaft und konsequent an Problemlösungen arbeite, so Schatz. Nikolaus Scherak (NEOS) sieht die Bundesregierung "am Ende", zumal beispielsweise nun auch das Erneuerbare-Wärme-Gesetz und die Änderungen zum Arbeitslosengesetz abgesagt worden seien. Auch im Zusammenhang mit dringenden Pensionsreformen gebe es keinen Fortschritt.
Wolfgang Gerstl (ÖVP) hielt dem entgegen, mit den Krisen habe man weltweit zu kämpfen, das betreffe nicht Österreich allein. Zudem seien von der Bundesregierung viele Maßnahmen beschlossen worden, die es früher nicht gegeben habe, etwa die Abschaffung der kalten Progression oder die Valorisierung der Sozialleistungen.
Volksbegehren "Rücktritt Bundesregierung "
Auch ein dem Verfassungsausschuss vorliegendes Volksbegehren (1661 d.B.) hat Neuwahlen zum Ziel: Exakt 172.712 Österreicher:innen bzw. 2,72 % der Wahlberechtigten haben die Forderung nach einer vorzeitigen Auflösung des Nationalrats und einem Rücktritt der Bundesregierung unterstützt, wobei vor allem die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in der Kritik stehen. Die Debatte über das Volksbegehren war heute nur kurz, die Beratungen wurden zum Zweck der Fristwahrung aufgenommen und anschließend vertagt.
Als Vertreter:innen der Initiative fungieren Elias Mühlbauer und Michael Dragomir. Mühlbauer zeigte sich aufgebracht, zumal die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen alle Österreicher:innen in Geiselhaft gehalten habe. Zudem habe sich herausgestellt, dass die Regierung "offensichtlich inkompetent" sei, auch was alle anderen Krisen betrifft. Die Emotionen nachvollziehen konnten Michael Schnedlitz (FPÖ) und Gerald Loacker (NEOS). An aus seiner Sicht überzogenen Maßnahmen nannte Loacker etwa, dass in Österreich die Schulen besonders lang geschlossen gewesen seien. Selma Yildirim meinte seitens der SPÖ, dass man zwar, was den Rechtsstaat und das Krisenmanagement betrifft, die Stoßrichtung des Volksbegehrens unterstütze, bei der Begründung würden die Meinungen aber auseinandergehen.
Wolfgang Gerstl (ÖVP) sieht demgegenüber den Rechtsstaat nicht in Gefahr. Ganz im Gegenteil stelle allein die Möglichkeit von solchen Verfahren, die zum Thema Corona am Verfassungsgerichtshof dazu geführt worden seien, den Beweis für die Rechtsstaatlichkeit dar.
Verlängerung coronabedingter Sonderregelungen
Für die von den Koalitionsparteien beantragte Verlängerung coronabedingter Sonderregelungen im Verwaltungs- und Vergaberecht bis Mitte 2023 stimmte neben den Koalitionsparteien auch die SPÖ, betonte aber, dies "ein letztes Mal" zu tun. Damit dürfte die im Plenum notwendige Zweidrittelmehrheit sichergestellt sein.
Die Sonderregelungen erlauben etwa den Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren und bei Verwaltungsgerichten sowie Einschränkungen beim Parteienverkehr, sollte es die Situation erfordern. Zudem werden die Mitglieder der Bundesregierung für Ministerratsbeschlüsse weiterhin nicht zwingend vor Ort anwesend sein müssen. Im Fall von außergewöhnlichen Umständen bleiben auch Gemeinderatsbeschlüsse per Videokonferenz bzw. im Umlaufweg möglich. Zudem sieht der von Wolfgang Gerstl (ÖVP) und Agnes Sirkka Prammer (Grüne) eingebrachte Gesetzentwurf (2981/A) eine Verlängerung vergaberechtlicher Sonderbestimmungen vor. Bei der Abstimmung wurde auch ein Abänderungsantrag berücksichtigt, der jedoch nur redaktionelle Korrekturen enthält.
Agnes Sirkka Prammer (Grüne) zufolge geht es um die Möglichkeiten, auch in Pandemiezeiten Verwaltungsverfahren durchführen zu können. Gerald Loacker (NEOS) kann nicht nachvollziehen, was mit dieser neuerlichen Verlängerung bezweckt werde, zumal man mittlerweile situationsangepasst reagieren könne. Kritisch sieht er dabei etwa Maßnahmen wie Umlaufbeschlüsse. Selma Yildirim meinte seitens der SPÖ, der Verlängerung noch ein letztes Mal zuzustimmen, aber kein weiteres Mal mehr. Mittlerweile gebe es die Erfahrungswerte, die zeigen würden, was als Dauerrecht sinnvoll wäre und was nicht.
Verlängert werden überdies Corona-Sonderregelungen im Fremdenrecht. Auch dieser Gesetzesnovelle (3003/A) stimmten ÖVP, SPÖ und Grüne zu, wobei es unter anderem um schriftliche Gelöbnisse bei Staatsbürgerschaftsverleihungen, Verlängerungs- und Zweckänderungsanträge im Rahmen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, den Verlust des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" und die Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge im Fall pandemiebedingter Schließungen von Erstaufnahmestellen geht. Sie sollen ebenfalls bis Mitte 2023 bzw. zum Teil bis 30. September 2023 gelten. Selma Yildirim (SPÖ) sprach sich dafür aus, sich insgesamt sinnvoll mit den Bestimmungen zum Daueraufenthalt auseinanderzusetzen und diese zu entschärfen.
Aberkennung von Ehrenzeichen: NEOS-Antrag neuerlich vertagt
Wiederaufgenommen hat der Verfassungsausschuss die Beratungen über eine von den NEOS bereits im November 2019 eingebrachte Gesetzesinitiative (76/A). NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper und ihre Fraktionskolleg:innen wollen damit sicherstellen, dass von der Republik Österreich vergebene Ehrenzeichen wieder aberkannt werden können. Das soll sowohl für die diversen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich als auch für sonstige besondere Auszeichnungen wie das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst gelten. Die Aberkennung soll nicht nur zu Lebzeiten des Geehrten möglich sein, sondern auch posthum.
Wie auch Ausschussvorsitzender Jörg Leichtfried (SPÖ) wies Nikolaus Scherak (NEOS) darauf hin, dass versichert worden sei, dass es bis Ende dieses Jahres bei dem Thema zu einer Lösung komme. Wolfgang Gerstl (ÖVP) meinte, auch er hätte das Gesetz gerne schon vorliegen. Es gebe Gespräche und Abstimmungen dazu, so Gerstl, der meinte, "geben Sie uns noch sechs Wochen". Es würden noch verschiedene Aspekte wie etwa die Verzeichnisse der Ehrenzeichen zwischen dem Bundeskanzleramt und der Bundespräsidentschaftskanzlei geprüft, erörterte Eva Blimlinger (Grüne) dazu. Sabine Schatz (SPÖ) bezeichnete es als beschämend, dass noch keine Lösung vorliege, zumal der Antrag bereits 2019 gestellt worden sei. Sie warte "gespannt" auf die Umsetzung, was die sechs Wochen betrifft.
FPÖ für Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention
Schließlich vertagte der Verfassungsausschuss einen Entschließungsantrag der FPÖ (3004/A(E)), der auf die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abzielt. Begründet wird diese Forderung mit Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser habe durch seine Judikatur "eine neue Völkerwanderung samt Asylwerberansturm auf Europa ausgelöst", sind die Antragsteller:innen Susanne Fürst und Michael Schnedlitz überzeugt. Konkret verweisen sie etwa auf Entscheidungen, wonach die Abschiebung von Drogendealern in Länder mit Todesstrafe für derartige Delikte verboten sei, Bootsflüchtlinge, die auf hoher See aufgegriffen werden, nicht nach Libyen zurückgebracht werden dürften, und Homosexualität ein anzuerkennender Asylgrund ist.
Um die ihrer Meinung nach drohende Gefahr der Aushöhlung der österreichischen Verfassung zu verhindern, regen Fürst und Schnedlitz die Schaffung eines eigenen "modernen" Grundrechtskatalogs an, der von der Bevölkerung mitgetragen werde. Ordne man diesen der EMRK – durch deren Abstufung zu einem einfachen Gesetz – vor, würde man für die Menschen in Österreich mehr erreichen, als nur zu versuchen, die EMRK zu ändern, heißt es in der Begründung des Entschließungsantrags.
Gegenüber Innenminister Gerhard Karner thematisierte Susanne Fürst (FPÖ) eine aktuelle Debatte zur EMRK, wonach auch Vertreter:innen der ÖVP Änderungsbedarf sehen würden und sprach die Situation in Großbritannien an, wo das Thema auch debattiert werde. Karner erläuterte dazu, man sehe sich die Erfahrungen in Großbritannien und Dänemark an, um den Zugang dann zu beurteilen. (Schluss Verfassungsausschuss) gs/mbu
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