Wien (PK) – Zahlreiche Neuerungen bringen Novellen zum Epidemiegesetz und zum COVID-19-Maßnahmengesetz, die heute im Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP und Grünen beschlossen wurden. Diese betreffen eine flexiblere Handhabung des Contact-Tracings, den Versand von Erinnerungsschreiben für Auffrischungsimpfungen sowie die Verfügung von Verkehrsbeschränkungen auf dem Verordnungsweg, um gänzliche Absonderungen hintanzuhalten. Auch wenn man im dritten Jahr der Pandemie einen Weg finden müsse, mit dem Virus zu leben, dürfe nicht jede Vorsicht aufgegeben werden, bekräftigte Bundesminister Johannes Rauch. Es sei absehbar, dass die Ansteckungszahlen in den nächsten beiden Wochen noch deutlich steigen werden und dass mit rund 10.000 Corona-Infektionen pro Tag zu rechnen sei. Dennoch soll nur das gelindeste Mittel eingesetzt werden, um eine Überlastung des Spitalsystems zu verhindern. Von diesem Gedanken sei auch die vorliegende Sammelnovelle getragen, die nur Instrumente enthalte, die rechtlich korrekt, verhältnismäßig und fachlich argumentierbar seien.
Wie schon im Gesundheitsausschuss legten ÖVP und Grüne kurzfristig einen umfassenden Abänderungsantrag vor, in dem nun die Möglichkeit zur automatischen Ausstellung von Absonderungsbescheiden bei Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2-Tests nicht mehr enthalten ist. Diese Vorgangsweise stieß bei der Opposition auf heftige Kritik. Das „Durchpeitschen“ von Gesetzen führe unter anderem dazu, dass teilweise nicht einmal das zuständige Ressort selbst einen Tag nach der Beschlussfassung im Ausschuss wisse, was genau geändert wurde, führte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher ins Treffen. Statt immer nur Notstandgesetze zu verlängern, sollte das Normensystem an die mittlerweile endemisch gewordene Pandemie angepasst werden, verlangte Gerhard Kaniak von der FPÖ. Auch NEOS-Vertreter Gerald Loacker drängte darauf, COVID-19 wie jede andere Krankheit zu behandeln und forderte eine Rückkehr zur Normalität. Die im Zuge der Sitzung eingebrachten Änderungsvorschläge würden keine inhaltlichen Neuerungen bringen, rechtfertigte Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne) die Vorgangsweise der Koalitionsparteien. Es handle sich um sinnvolle Adaptierungen, die zum Großteil auf die praktischen Erfahrungen der Verwaltungsorgane in den Bundesländern zurückzuführen seien.
Verlängerung von coronabedingten Sonderregelungen bis Ende des Jahres
Mehrheitlich angenommen wurden auch Änderungen im Suchtmittelgesetz, die darauf abzielen, eine Corona-Sonderregelung in Bezug auf Substitutions-Dauerverschreibungen ein weiteres Mal bis 30. Juni 2023 zu verlängern. Die behandelnden Ärzt:innen können damit die Dauerverschreibung für Ersatzmedikamente für Drogenkranke mit dem Vermerk „Vidierung nicht erforderlich“ versehen. Dadurch ist keine Beglaubigung durch Amtsärzt:innen mehr notwendig. Durch eine ebenso mit Stimmenmehrheit beschlossene Novellierung des ASVG sowie weiterer Sozialversicherungsgesetze in der Fassung eines Abänderungsantrags sollen ärztliche Hausapotheken bis Ende des Jahres ein pauschales Honorar in der Höhe von 15 € für die Abgabe von COVID-19-Heilmitteln erhalten. Bisher war dies nur für öffentliche Apotheken vorgesehen. Ebenfalls bis Ende Dezember 2022 verlängert wird die Regelung, wonach Ärzt:innen im niedergelassenen Bereich, in Gruppenpraxen, in Primärversorgungseinheiten sowie selbständigen Ambulatorien weiterhin Impfungen gegen SARS-CoV-2 auf Rechnung der Krankenversicherungsträger durchführen können, wobei der Bund die Kosten ersetzt.
Die zentralen Änderungen im Epidemiegesetz und im COVID-19-Maßnahmengesetz
Eine wesentliche Änderung betrifft die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsbehörden. Die Omikron-Welle im Frühjahr 2022 habe gezeigt, dass die Fallabklärung bei sehr hohen Infektionszahlen an ihre Grenzen stoße. Eine durchgängige Kontaktnachverfolgung sei auch bei mehr Ressourcen nicht möglich. Deshalb sollen Gesundheitsbehörden künftig die Fallabklärung einschränken und priorisieren dürfen -allerdings nur, wenn sie den Aufwand objektiv nicht bewältigen können, etwa während Spitzen von Infektionswellen.
Ebenfalls neu ist, dass der Gesundheitsminister künftig Verkehrsbeschränkungen allgemein per Verordnung verfügen darf. Bislang wurden Personen nur individuell per Bescheid in ihrem Verkehr mit der Außenwelt beschränkt oder abgesondert. Die Erfahrungen mit der Omikron-Variante hätten gezeigt, dass bei milden Krankheitsverläufen auch Verkehrsbeschränkungen ausreichen können. Statt einer gänzlichen Absonderung gelten dann Auflagen zum Betreten von gewissen Orten, wie das Tragen einer Maske oder die Einhaltung eines Abstandes. Mit der allgemeinen Verordnung von Verkehrsbeschränkungen will man auch auf den Umstand reagieren, dass in der Vergangenheit Absonderungsbescheide oft nicht rechtzeitig ausgestellt werden konnten. Außerdem werden die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, damit der Gesundheitsminister Personen mit einem Schreiben an ihre Auffrischungsimpfung gegen COVID-19 erinnern kann. Impfdaten sollen außerdem länger als bisher vorgesehen, mindestens bis Ende Juni 2023 gespeichert werden dürfen.
Grüne: Sinnvolle Adaptierungen, die auf den Erfahrungen aus der Praxis beruhen
Eine der Lehren, die man aus über zwei Jahren Pandemiemanagement gezogen habe, sei die Tatsache, dass sich die Rahmenbedingungen ständig verändern würden, unterstrich Ralph Schallmeiner (Grüne). Aus diesem Grund müssten auch die rechtlichen Grundlagen flexibel gestaltet werden, um auf alle realistischen Szenarien, die im Virusvarianten-Managementplan angeführt sind, rechtzeitig reagieren zu können. Das Epidemiegesetz schaffe daher nun die Basis für einen zielgerichteteren Einsatz des Contact-Tracings, die längere Abrufbarkeit der Impfzertifikate sowie den an das epidemiologische Geschehen angepassten Versand von Erinnerungsschreiben für Auffrischungsimpfungen. Außerdem sollen in Hinkunft nicht mehr alle infizierten Personen sofort abgesondert werden, sondern – wenn es das Virusgeschehen hergibt – nur mehr Verkehrsbeschränkungen auferlegt werden. In Richtung der Opposition stellte Schallmeiner fest, dass man auch auf Kritik eingegangen sei. So werde etwa die automatisierte Erstellung von Absonderungsbescheiden nicht eingeführt.
ÖVP: Flexible und praktikable Lösungen für geänderte Rahmenbedingungen
Beim Umgang mit der Pandemie stünden für ihn die Prinzipien Hausverstand, Gelassenheit, Wissenschaftlichkeit und ein Schuss Humor im Vordergrund, konstatierte Werner Saxinger (ÖVP). Nach über zwei Jahren haben sich aber viele Parameter geändert, man müsse daher raus aus der Eskalation der Worte und raus aus dem Krisenmodus. Dazu trage auch die heutige Sammelnovelle bei, die flexible und praktikable Lösungen gewährleiste. Sehr traurig sei für ihn aber die Tatsache, dass es noch immer zahlreiche Menschen gebe, die von der Notwendigkeit von Corona-Maßnahmen wie etwa dem Tragen von Masken oder dem Impfen unter keinen Umständen zu überzeugen seien.
Seine Fraktionskollegin Elisabeth Scheucher-Pichler bewertete die Gesetzesänderungen positiv, da es gelungen sei, die in der Omikron-Welle gewonnenen Erfahrungen miteinzubeziehen. Die diversen Maßnahmen werden zur Entlastung der Gesundheitsbehörden beitragen, zeigte sie sich überzeugt. Auch die Neuregelung der Verkehrsbeschränkungen auf dem Verordnungsweg hielt die Rednerin für sinnvoll, weil damit infizierten Personen das Betreten von Orten unter bestimmten Auflagen (z.B. das Tragen von Masken) ermöglicht werde.
SPÖ ortet Pannenserie beim Corona-Krisenmanagement und drängt auf Änderungen beim Tierschutzpaket
Trotz der massiven Kritik des Rechnungshofs am Pandemiemanagement der Regierung würden sich dieselben Fehler ständig wiederholen, urteilte Philip Kucher (SPÖ), eine Pannenserie folge auf die andere. Dies treffe auch auf den heutigen Beschluss zu, da nun schon zum zweiten Mal kurzfristig umfassende Abänderungen vorgelegt werden. Auf diese Weise sei kein seriöses Arbeiten möglich. Dieser Einschätzung schloss sich auch Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ) an. Besonders verärgert zeigte er sich darüber, dass eine ähnliche Vorgangsweise auch beim Tierschutzpaket gewählt werde, das offenbar nicht öffentlich im Rahmen eines Hearing diskutiert werden soll.
FPÖ kritisiert Verlängerung des Ausnahmezustands sowie Eingriffe in das Privatleben der Bürger:innen durch Verkehrsbeschränkungen
Gerhard Kaniak (FPÖ) zeigte sich froh darüber, dass der Passus bezüglich der Erstellung von automatisierten Bescheiden nun nicht mehr im Antrag enthalten sei. Dies wäre aus seiner Sicht rechtlich höchst problematisch gewesen. Was das Aussenden von Erinnerungsschreiben betrifft, so sei es bedenklich, dass erneut auf die ELGA-Daten zugegriffen werde. „Demokratiepolitisch nicht ganz sauber“ sei zudem, dass der Minister nun die Möglichkeit erhalte, gegen unliebsame Rechtsurteile eine Amtsrevision einlegen zu können. Das größte Ärgernis liege seiner Beurteilung nach bei den neuen Verkehrsbeschränkungen, die sogar als Erleichterungen verkauft werden sollen. Der Minister könne dadurch am Parlament vorbei, also per Verordnungsermächtigung, darüber bestimmen, ob jemand zur Geburtstagsfeier vom Nachbarn gehen darf oder nicht. Der freiheitliche Gesundheitssprecher vermisste generell konstruktive Vorschläge von Seiten der Regierung, wie sich Österreich auf mögliche neue Infektionswellen im Herbst vorbereiten könne. Die dazu vorliegenden Initiativen seiner Fraktion, die von einer Stärkung des niedergelassenen Bereichs bis hin zur Einrichtung von mobilen Visitendiensten reichen, wurden allesamt im Ausschuss vertagt.
Seine Fraktionskollegen Peter Wurm und Gerald Hauser erneuerten die Kritik am „stümperhaften“ Umgang mit wichtigen Gesetzesmaterien wie dem Epidemiegesetz, das aber einen ganz massiven Einfluss auf das Leben der Menschen habe. Die Neuregelung der Verkehrsbeschränkungen würden ihrer Meinung nach sogar Eingriffe in das Demonstrationsrecht ermöglichen; dies sei völlig inakzeptabel.
NEOS bemängeln Fortführung des Krisenmodus und Zugriff auf Gesundheitsdaten der Bevölkerung
Statt COVID-19 wie eine normale Krankheit zu behandeln, werden die Krisengesetze verlängert und die Verkehrsbeschränkungen sogar ausgeweitet, beklagte Gerald Loacker (NEOS). Offenbar brauche es sogar eine eigene Rechtsgrundlage für ein Erinnerungsschreiben für eine vierte Impfung, die noch gar nicht generell empfohlen wurde. Wie man aus der Praxis wisse, haben derartige Schreiben in der Vergangenheit sogar zu einem Rückgang der Impfbereitschaft geführt, gab Loacker zu bedenken. Dafür müsse der Minister natürlich wieder auf die Gesundheitsdaten zugreifen, was grundsätzlich bedenklich sei. Gröbere Mängel ortete Loacker auch bei der Verteilung der Corona-Medikamente in den Ländern, die um „teures Geld“ eingekauft wurden. (Fortsetzung Nationalrat) sue
HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.
———————————————————————
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender. Pressedienst der Parlamentsdirektion – Parlamentskorrespondenz